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Wie man's macht

Mathias Mesenhöller „"Es gilt, den Leser zu verführen"

"Eine historische Reportage", sagt Mathias Mesenhöller, "macht die Vergangenheit zur Gegenwart. Sie personalisiert und dramatisiert – versucht aber trotzdem, eine Epoche oder einen größeren Zusammenhang zu vermitteln. Am wichtigsten aber: Eine historische Reportage unterhält. Das ist unerlässlich. Deshalb gilt für historische, mehr noch als für „normale“ Reportagen: den Leser einzuladen, ihn zu verführen, ihn auch in den Hintergrundpassagen niemals zu belehren."

Ein ganz besonderes Schmankerl: Mesenhöller war so souverän, uns auch die erste, nicht gedruckte Fassung jener Reportage zur Verfügung zu stellen, um die es hier geht. Die zweite Fassung erschien dann unter dem Titel "Jagd auf die Silberflotte" im GEO Epoche-Heft "Der Dreißigjährige Krieg".

RF: Lieber Mathias Mesenhöller, Sie schreiben historische Reportagen, die sich so spannend lesen wie ein Krimi. Ihre Geschichte „Jagd auf die Silberflotte“ beginnt so:

Fast unsichtbar treibt die „Witte Leeuw“ durch die Nacht vor der Küste Kubas. Die Lunte, die tagsüber für die Pfeifenraucher an Deck aushängt, ist gelöscht und verstaut. Schiff und Besatzung sind gerüstet, Musketen, Enterbeile und Spieße an die Männer ausgegeben. Unterhalb der Wasserlinie liegen Bleiplatten bereit, um im Ernstfall Einschusslöcher zu flicken.

In den Hängematten der Mannschaftsquartiere, versucht zu schlafen, wer von den rund 150 Mann Besatzung keine Wache hat. Es ist schwül und eng. Da sie mit Alarm rechnen, ruhen die Männer in ihren Kleidern. Längst hat die Unwettersaison begonnen. Von Nacht zu Nacht wird es wahrscheinlicher, dass ein Hurrikan die Mannschaft aus dem Schlaf reißt. Und immer noch hält ihr Admiral sie auf diesem Meer. Neben die Enttäuschung tritt Sorge.

Piet Heyn auf seinem Flaggschiff „Amsterdam“ hat dafür wenig Sinn. Der erfolgreichste Kaperadmiral der Niederlande verfolgt ein großes Ziel: jenen Silberschatz zu rauben, den die Spanier jeden Herbst nach Europa bringen – und er will es in diesem 1628. Jahr nach der Geburt seines Herrn endlich erreichen. [...]

Gegen Mitternacht hört die Wache der „Witte Leeuw“ Stimmen vorm Bug. Der Kapitän fürchtet, gegen ein anderes Schiff der niederländischen Flotte zu treiben. Er ruft in die Dunkelheit.

„Qué queréis?“, kommt es zurück: „Was wollt ihr?“

Spanier!

Der Schrei der Wachen dringt bis in die stickigen Quartiere vorschiffs. Soldaten und Matrosen greifen nach ihren Waffen, stürmen an Deck. Von der „Witte Leeuw“ gehen Boote zu Wasser.


Kompliment. Das ist wirklich ein grandioser – und vor allem sehr spannender – Anfang. Weshalb haben Sie ihn auf diese Weise konstruiert?

Mathias Mesenhöller: Nun, ich denke, das ist ein klassischer, szenischer Einstieg, um die Geschichte in Raum und Zeit zu verorten: möglichst sinnlich, möglichst detailreich. Die Anfangsszene endet dann mit einem Cliffhanger, auch das ist ein klassisches Muster. Denn was auf diesen recht rasanten Anfang folgt, ist ja deutlich weniger aufregend: eine Schilderung all jener Umstände, die das Phänomen der Kaperfahrer hervorgebracht haben.

RF: Braucht eine historische Reportage einen solchen Cliffhanger, der den Leser in den Text hineinzieht und ihn, quer durch die ganzen Hintergrundpassagen, durch den Text trägt?

Mesenhöller: Nein. Aber es ist ein schönes Mittel. Es ginge auch elegisch, zum Beispiel so: „Er war der größte Kaperfahrer seiner Zeit. Er hat einen Weg in die unzugänglichsten Häfen zwischen Ostafrika und Amerika gefunden, unermessliche Prisen genommen, seine Beute Dschungelflüsse hinauf verfolgt – stets lieber das Enterbeil in der Hand als den feinen Degen. Strenger Calvinist. Er teilt gerecht. Seewolf einer freien Republik: ein großer Admiral – mit einer nagenden Wut im Bauch.“ – Naja, oder so ähnlich.

RF: Warum haben Sie sich für die knappe Sprache, die unvollständigen Sätze entschieden?

Mesenhöller: Reine Geschmackssache. Irgendwann habe ich angefangen, Sprache zu reduzieren. Vor allem Konjunktionen weggelassen, mehr mit Interpunktion gearbeitet, bei jedem Satz gefragt: Brauche ich die Vervollständigung noch – oder ist das Bild da, die Information, und ich kann weiter? Ich wollte meine Texte entschlacken. Das lässt sich nicht durchhalten, natürlich, wenn man die Leser nicht irre machen will, passt auch nicht zu jedem Stoff, vieles kommt in der Redaktion wieder rein, manchem Wort vertraue ich inzwischen mehr. Historische Reportagen können und müssen ohnehin etwas mehr ausmalen. Aber grundsätzlich mag ich diesen Stil.

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Mathias Mesenhöller


Geboren 1969 in Herne / Westfalen. Seit 2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am "Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas" in Leipzig. Seit 2005 freie Beiträge in „Merian“, „GeoEpoche“ und „Geo“.
Dokumente
Interview mit Mathias Mesenhöller (pdf)
Mathias Mesenhöller: Jagd auf die Silberflotte (pdf)
Mesenhöller: Silberflotte (erste, unveröffentliche Fassung)

erschienen in:
Reporter-Forum,
am 26.06.2009

 

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