Dieser Text wurde ausgezeichnet mit dem Deutschen Reporterpreis 2011 in der Kategorie Interview
„Ein
Leben wie im Fegefeuer“
Der
an Alzheimer erkrankte Psychologieprofessor Richard Taylor über
seinen langen Weg ins Vergessen
Beate Lakotta,
Spiegel, 01.03.2010
Ein Vorort von
Houston, Texas, eine typische Einfamilienhausgegend, Mittelschicht.
Hier lebt Richard Taylor, der prominenteste Alzheimer-Aktivist der
USA. Er war Psychologieprofessor und 58 Jahre alt, als er 2001 seine
Diagnose bekam. Bald darauf begann er, täglich zu schreiben, um
besser zu verstehen, was mit ihm vorging. Aus diesen Dokumenten
entstand sein Buch: "Alzheimer und Ich".
Dem Verlag zufolge
schreitet Taylors Krankheit sehr langsam fort, er sei immer noch ein
gefragter Redner bei Fachkonferenzen. Alle Antworten auf E-Mails, um
dieses Gespräch zu verabreden, kamen jedoch von Taylors Frau Linda.
Wie würde Taylors aktuelle Verfassung beim SPIEGEL-Gespräch sein?
Vorsichtshalber war es auf zwei Tage angesetzt.
Zehn Uhr morgens,
Dr. Taylor selbst öffnet die Tür. Er ist fast zwei Meter groß,
graue Haare, Bart, Brille. Er trägt ein blau-weiß gestreiftes Hemd,
Jackett, Stoffhose und Wollsocken. Er sieht so aus, wie man sich
einen Universitätsprofessor vorstellt.
SPIEGEL: Guten
Morgen, Dr. Taylor. Schön, Sie zu sehen.
Taylor: Hallo, guten
Morgen. Kommen Sie rein. Danke, dass Sie von so weit her gekommen
sind. Gibt es denn bei Ihnen in Deutschland keine Alzheimer-Kranken,
die Sie interviewen könnten?
SPIEGEL: Es gibt
ungefähr 1,3 Millionen. Aber noch keiner von ihnen hat so
anschaulich über sein Leben mit Alzheimer geschrieben wie Sie.
Im Haus ist alles
penibel aufgeräumt. Keine gelben Post-it-Zettel an den Schranktüren,
keine Wegweiser zur Toilette oder zum Schlafzimmer, wie man sie in
der Wohnung von Menschen mit schwerer Demenz manchmal findet. Taylor
bittet an den Tisch im Esszimmer mit offener Küche. Am Herd fehlen
die Knöpfe. Er stellt einen abgepackten Kuchen auf den Tisch, dazu
ein Messer und zwei Servietten.
Taylor: Man kann
jedem, der Demenz hat, nur raten zu schreiben. Ich habe damit
angefangen, weil ich unglaubliche Angst hatte, dass ich eines Morgens
aufwache, und eine Art von Vorhang trennt mich vom Rest der Welt. Ich
dachte, wenn ich jeden Tag lese, was ich am Tag zuvor geschrieben
habe, wüsste ich immer, ob mit mir noch alles okay ist.
SPIEGEL: Sie waren
sich dessen nicht sicher?
Taylor: Nein. Weil
man seine Erinnerungen verliert. Man verwandelt sich nach und nach in
einen Menschen, den man noch nicht kennt. Und der, den man kannte,
verschwindet.
SPIEGEL: Ist Ihnen
das ständig präsent?
Taylor: Ja. Demenz
kann man nicht einfach verdrängen. Sie können nicht ignorieren,
dass Sie durcheinander sind oder andauernd Sachen vergessen. Das sind
ja Sie!
SPIEGEL: Haben Sie
selbst gemerkt, dass etwas nicht mit Ihnen stimmte?
Taylor: Linda hat es
gemerkt. Sie hat mir gesagt, dass ich mich verfahre, dass ich mein
Jackett liegengelassen hatte, dass ich auf einmal unpünktlich wurde.
Das hat mich beunruhigt, und ich wollte wissen, was los war. Es hat
ein Jahr gedauert, bis ich die Diagnose bekam. Die nehmen sich Zeit
für die vielen Untersuchungen. Aber die Ungewissheit war wie leben
im Fegefeuer. Danach kam die Hölle.
SPIEGEL: Sie meinen,
nach der Diagnose?
Taylor: Ja. Als es
hieß: "Demenz, wahrscheinlich vom Alzheimer-Typ", war ich
so geschockt. Ich bin in den Garten gelaufen und habe geweint. So
laut, dass Linda gesagt hat: "Komm rein, alle Nachbarn hören
dich." Ich habe drei Wochen lang geweint. Der smarte Dr. Taylor
verstand nicht mehr, was los war! Ich wurde depressiv. Ich habe
aufgehört zu arbeiten und Auto zu fahren. Ich hing nur noch zu Hause
rum. Ich hatte das Gefühl, ich würde sehr bald sterben. Ich hatte
gelesen, dass die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Diagnose rein
statistisch noch zehn Jahre beträgt.
SPIEGEL: Tatsächlich
verläuft bei Ihnen die Krankheit erstaunlich langsam. Wie erklären
Sie sich das?
Taylor: Ich habe
meine Diagnose in einem extrem frühen Stadium bekommen. Damals
hatten sie noch nicht einmal die-ses … Sie haben es erst danach
erfunden, sie nennen es Leichte Kognitive …
SPIEGEL: …
Beeinträchtigung?
Taylor:
Beeinträchtigung! Genau. Das zeigt mal wieder, dass eine Sache erst
dann anfängt zu existieren, wenn man ein Wort dafür hat. Im
Rückblick glaube ich, auch mein Vater hatte Demenz. Aber ich habe es
damals nicht so genannt. Er war einfach alt und senil.
SPIEGEL: Selbst wenn
Sie damals erst eine Vorstufe der Demenz hatten - fast zehn Jahre
später bemerkt man bei Ihnen erst mal verblüffend wenig Symptome.
Taylor: Ja,
wahrscheinlich weil ich eine ziemlich große kognitive Reserve habe.
Weil ich ein riesiges Vokabular hatte und schon immer ein sehr guter
Redner war. Ich bin neugierig, ich denke mehr über das Denken nach
als die meisten. Das hilft mir, gegen die Symptome zu kämpfen. Und
ich kann damit auch eine Menge vertuschen. Aber selbst jetzt, während
wir sprechen, bemerke ich, dass ich Fragen anders beantworte, als ich
es tun würde, wenn ich nur könnte.
Taylor spricht
langsam und etwas schleppend, aber druckreif. Er hat den Butterkuchen
ausgepackt, für sich selbst ein Stück abgeschnitten und beginnt zu
essen. Ist das unhöflich? Eine Folge der Demenz? Oder in Texas
normal? Seine Frau schlafe noch, sagt Taylor, weil sie Nachtdienst im
Krankenhaus hatte, sie ist Hebamme. Mit dem Kaffee müsse man leider
warten, bis sie wach sei, da er selbst nie die Kaffeemaschine
bediene.
SPIEGEL: Es ist
wirklich erstaunlich: Sie haben ein Buch geschrieben, Sie reisen als
Alzheimer-Aktivist durch die Gegend und halten Vorträge, Sie reden
ganz normal - wo ist eigentlich das Problem?
Taylor: Ich habe
schon erlebt, dass Ärzte sagen: "Ich habe eben Ihren Vortrag
gehört. Sie können kein Alzheimer haben." Für die geht es
schon damit los, dass ich nicht aussehe wie jemand aus einem Heim.
Ich sage dann: "Haben Sie mich vor zwölf Jahren schon mal reden
gehört? Wenn Sie mit mir leben würden, wüssten Sie, dass ich die
Fernbedienung ins Eisfach lege und vergesse, die Haustür hinter mir
zuzumachen, wenn ich gehe." Ich habe schon ein paarmal fast das
Haus abgebrannt. Ich habe mir gesagt: Ich koche einfach nicht mehr.
Aber dann habe ich trotzdem gekocht. Deswegen hat der Herd keine
Knöpfe mehr.
SPIEGEL: Weil Sie
vergessen hatten, dass Sie es nicht mehr tun wollten?
Taylor: Vergessen
ist das falsche Wort. Es impliziert: Etwas ist verschwunden.
Tatsächlich ist es noch da, aber man kommt nicht ran. Es ist ein
Fehlen von Aufmerksamkeit und Bewusstheit.
In der Zwischenzeit
ist Linda Taylor aufgestanden. Sie hat die Kaffeemaschine in Gang
gesetzt und den Kuchen in Stücke geschnitten. Sie hat ein bisschen
Zeit und setzt sich dazu. Sie weiß, dass Fremde oft nicht glauben
können, dass ihr Mann krank ist.
Linda: Hat er Ihnen
schon erzählt, was an Weihnachten los war?
SPIEGEL: Nein, was
denn?
Linda: (zu Richard)
Erzähl das mal!
Taylor: Ich brauchte
ein Teil für meinen Computer. Mein Sohn hatte versprochen, es zu
besorgen, und mich dann immer wieder vertröstet … Deshalb bin ich
einfach losgelaufen. In irgendeine Richtung.
Linda: Es war
Heiligabend! Es war schon dunkel. Alles war zu. Es fror. Auf einmal
war er weg. Wir sind alle ausgeschwärmt. Wir haben nach ihm gerufen,
haben an alle Türen geklopft, ob er sich irgendwo festgeplaudert
hat. Am Ende hat die halbe Nachbarschaft nach ihm gesucht.
Taylor: Irgendwann
hielt mein Sohn mit seinem Auto neben mir und sagte: "Los Dad,
steig ein, ich bringe dich heim." Als wir ankamen, standen die
Nachbarn hier rum. Ich hab gar nichts kapiert. Ich kam in die Küche,
und meine Frau fragte mich, wo ich gewesen war. Ich habe ihr gesagt,
dass ich nur ein Teil für den Computer kaufen wollte. Da fing sie an
zu weinen. Sie schnitt gerade Zwiebeln. Und ich habe gesagt: "Wow,
das sind ja wohl die schärfsten Zwiebeln, die ich je gesehen habe."
Aber da weinte sie nur noch mehr.
SPIEGEL: Immerhin
können Sie heute noch darüber reden.
Taylor: Ja. Weil ich
mir von Linda immer wieder habe erzählen lassen, was passiert war.
Trotzdem bin ich schon jetzt nicht mehr der Partner, der ich mal war.
Linda kümmert sich um mich, aber ich kann mich nicht um sie kümmern.
Das macht mich traurig. Aber ich fühle mich noch immer getröstet
und unterstützt und geliebt.
SPIEGEL: Wie
verändert Alzheimer Beziehungen?
Linda: Es verändert
alles: die Intimität, das Vertrauen, die Verantwortlichkeit.
Taylor: Natürlich
hatten wir die romantische Vorstellung, im Alter zusammen zu reisen.
Wir tun manchmal immer noch so, als ob wir uns auf die gleiche Reise
begeben hätten. Tatsächlich geht aber jeder seinen Weg. Meiner ist
eine Sackgasse.
Die beiden sind
gewohnt, offen miteinander zu reden. Linda sagt, seine Krankheit habe
ihren Mann ungeduldig und ichbezogen gemacht. Im ganzen Haus verteile
er seine Listen mit Aufträgen. Es sei hart, das Gedächtnis für
zwei zu sein. Ständig gebe es Streit um Geld, weil er keine Grenzen
mehr kenne. Und sosehr sie sich bemühe, nie habe sie das Gefühl,
genug für ihn zu tun. Während sie erzählt, ist ihr Mann ohne
erkennbaren Anlass aufgestanden und aus dem Zimmer gegangen.
SPIEGEL: Wo ist er
eigentlich? Er kommt gar nicht wieder.
Linda: Er ist
definitiv nicht nach draußen gegangen. (Von nebenan sind Schritte zu
hören, jemand raschelt mit Papier)
Linda: Was machst du
da, Honey?
Taylor: Ich laufe
rum und schaue, wo die Journalistin ist.
Linda: Sie ist hier.
Sie wartet auf dich, damit ihr weitermachen könnt.
Taylor: Oh! Ach so.
Was wollen Sie denn sehen: meine Pillen? Hier! (Schüttet eine
Pillenschachtel aus) Das ist für morgens, das für den Abend. Das
ist Fisch-Öl, Vitamin B …
SPIEGEL: Und die
rote da?
Taylor: Weiß ich
nicht. Es muss wohl was Wichtiges sein, sonst wäre sie nicht rot.
Ich nehme ein Antidepressivum, aber in geringer Dosis. Ginkgo habe
ich nie probiert. Ich habe eine Zeitlang unglaubli-che Mengen Vitamin
E genommen. Das schadet nie. Und einen Cholesterinsenker nehme ich
noch, obwohl ich eigentlich nicht weiß, warum. Seit kurzem
verschreiben sie hier auch ein Parkinson-Medikament gegen Demenz. Ich
habe es probiert, aber nicht vertragen. (Schüttet alle Pillen wieder
durcheinander in die Schachtel)
SPIEGEL: Müssen Sie
die nicht in der richtigen Reihenfolge nehmen?
Taylor: Nein. Ich
nehme einfach eine Handvoll. Ehrlich gesagt, halte ich nicht viel
davon.
SPIEGEL: Weil man
Ihre Krankheit nicht heilen und auch kaum behandeln kann?
Taylor: Es ist gar
keine Krankheit. Ich bezeichne es als Zustand. Unser Begriff von
Krankheit passt einfach nicht auf die Demenz. Aber die Demenz ist
medikalisiert worden. Die Ärzte verschreiben Pillen dagegen. Sie
besitzen die Krankheit, und die Leute lassen das zu. Ich aber sage
immer: Wir brauchen keine Pharma-Zeutika, sondern Sozio-Zeutika.
Eigentlich müsste der Arzt auf das Rezept die Telefonnummer von
jemandem schreiben, der in einer vergleichbaren Situation ist: "Ruf
ihn an, verabredet euch. Damit du siehst: Leute mit Demenz sind
normal. Sie sind wie du."
SPIEGEL: Was tun Sie
gegen die Symptome?
Taylor: Ich
versuche, mich vernünftig zu ernähren. Ich bewege mich. Aber das
Wichtigste ist, in Kontakt zu bleiben. Meine Enkelin kommt mich jeden
Tag besuchen. Wir malen oder spielen Wii zusammen. Wenn ich mit ihr
Karten spiele, rege ich mich manchmal fürchterlich auf, wenn ich die
Regeln vergesse. Aber sie nimmt das sehr gut! Kleine Kinder
akzeptieren so vieles selbstverständlich. Das war auch das Schöne,
als wir noch unsere Hündin hatten, Annie. Sie ist gestorben. An
Altersschwäche.
Linda: Der Hund ist
unser größtes Streitthema. Ich verstehe, dass Richard unbedingt
einen neuen will: Annie liebte ihn und ist ihm überallhin gefolgt.
Aber mir wird das zu viel. Als sie alt wurde, hat sie überall
hingemacht. Sie hätte rausgemusst, aber er hat es nicht mitgekriegt.
Es fing hier drin an zu riechen. Ehrlich gesagt, ich glaube, Richard
hat ein bisschen sich selbst in Annie gesehen.
Taylor: Wuff, wuff!
Hahaha! - - - Meine Frau hat mir Frösche und Fische als Ersatz
genehmigt. Aber das ist nicht dasselbe. Wollen Sie sie mal sehen?
Von der Küche führt
eine Tür in den kleinen Garten. Richard ist ein begeisterter
Gärtner, aber er habe längst den Überblick verloren, sagt er. In
einer Ecke steht das Terrarium mit Fröschen und Echsen. Auf dem
Rasen davor liegen ein paar tote, vertrocknete Aquariumfische herum.
SPIEGEL: Wir
sprachen ja eigentlich gerade über Ihre Beziehungen. Warum wollen
Sie unbedingt wieder einen Hund?
Taylor: Ich bin so
allein. Meine Enkel gehen zur Schule, Linda geht zur Arbeit, und ich
bin ans Haus gefesselt. Dem Hund ist es egal, ob du Alzheimer hast.
Er liebt dich bedingungslos. Ich wünsche mir so sehr ein Wesen, das
mich auch dann noch akzeptiert, wenn ich nicht mehr weiß, wie ich
heiße. Wenn ich Windeln trage und nur noch stammele.
SPIEGEL: Haben Sie
Angst, dass die Menschen um Sie herum Sie verlassen?
Taylor: Das
Versprechen, das Linda und ich uns einmal gegeben haben, beruht
darauf, dass wir uns lieben. Aber weil ich die Verbindung zu meiner
Vergangenheit verliere, kann ich auch die Gefühle nicht mehr
hervorbringen, die auf dieser Vergangenheit basieren. Eines Tages
werde ich nicht mehr wissen, wie man Liebe ausdrückt. Nach und nach
wird alles verschwinden, was uns verbindet. Und ich vermute, dass ich
es nicht einmal vermissen werde. Aber Linda.
SPIEGEL: Werden Sie
den Punkt erkennen, an dem es kippt?
Taylor: Ich höre
oft, dass es ein Wendepunkt ist, wenn Sie den Namen desjenigen
vergessen, mit dem Sie verheiratet sind. Ich glaube aber, Sie haben
nur den Namen vergessen, nicht den Menschen. Ich werde auch dann noch
das Bedürfnis haben, geliebt zu werden. Ich werde nur die Fähigkeit
verlieren, das auszudrücken.
SPIEGEL: Wie hat
sich das Verhältnis zu Ihren Kindern verändert?
Taylor: Sie nehmen
einem einfach Sachen aus der Hand und sagen: "Lass mich das
machen!" Sie tun das in guter Absicht. Aber da ist kein "Danke"
und "Bitte" mehr. Kein "Darf ich" oder "Möchtest
du". Immer dieses: "Lass mich das machen."
SPIEGEL: Fällt es
Ihnen schwer, um Hilfe zu bitten?
Taylor: Ach, die
anderen sind immer sooo beschäftigt. Nachdem ich nicht mehr Auto
fahren konnte, habe ich angefangen, Listen zu schreiben mit den
Dingen, die sie mir besorgen sollten oder wo ich bitte hingefahren
werden möchte. Irgendwann habe ich Daten dazugeschrieben, weil ich
nicht wusste, ob ich Linda glauben sollte, wenn sie sagte, dass ich
sie zum ersten Mal um etwas so Wichtiges bat wie Ketchup oder
Cracker. Ohne Auto und Portemonnaie kann ich nicht mal mehr ein Stück
Butter allein kaufen.
SPIEGEL: Vermissen
Sie das Einkaufen?
Taylor: Und wie!
Neulich hat sie mich zum ersten Mal seit Monaten wieder mit in den
Supermarkt genommen. Ich erinnere mich, wie großartig sich das
anfühlte: die Freiheit, einfach herumzulaufen und alles in den Korb
zu tun, was ich haben wollte. Es war ein unglaubliches Glücksgefühl.
SPIEGEL: Fühlen Sie
sich bevormundet?
Taylor: Klar.
Stellen Sie sich vor, jemand sagt: "Gib mir deinen
Autoschlüssel, dein Geld, einfach alles." Ich habe protestiert,
als Linda Türschlösser einbauen ließ, die man nicht automatisch
von innen aufkriegt. Ich will nicht eingesperrt sein. Aber
wahrscheinlich hat sie recht. Alle behandeln mich wie ein Kind.
Irgendwann werde ich wohl der Sohn meiner Frau sein. Davor habe ich
unglaubliche Angst. Ich versuche immer zu warten, bis sie abends von
der Arbeit kommt …
Linda: … und wenn
ich komme, brennen alle Lichter, der Fernseher läuft in voller
Lautstärke, die Haustür steht offen. Und er liegt im Bett und hat
die Brille noch auf.
Taylor: Dann schaut
sie unter die Decke, um zu sehen, ob ich noch alle Klamotten anhabe.
Hahaha!
Linda: Das hab ich
heute Nacht gemacht. Kommst du deshalb jetzt darauf?
Taylor: Ich weiß
nicht. - - - Hast du das gemacht?
Linda: Ja.
Taylor: Oh.
SPIEGEL: Erschreckt
Sie das?
Taylor: Sehr. Man
fragt sich ja andauernd, wie viel Zeit einem noch bleibt. Deswegen
habe ich anfangs auch bei einer Alzheimer-Studie an der Uni
mitgemacht. Ein Test besteht zum Beispiel darin, dass man Karten auf
Stapel sortieren muss. Nach welchen Regeln, muss man selbst
herausfinden. Aber mitten im Test ändern sie die Regeln, ohne es dir
zu sagen. Plötzlich heißt es: "Falsch! Falsch! Falsch!"
Als Gesunder kapiert man irgendwann die neue Regel, aber ich konnte
nicht umschalten. Ich habe angefangen zu weinen, weil ich so oft
"falsch" bekommen habe.
Linda: Und dann hat
er geübt.
SPIEGEL: Die Tests
geübt?
Linda: Den
Uhrentest.
Taylor: Es ist ein
blödsinniger Test.
Linda: Sie machen
ihn jedes Mal: Man muss immer zehn vor oder zehn nach der vollen
Stunde zeichnen. Also hat er geübt: zehn vor, zehn nach.
Taylor: Ich brauche
diese Tests nicht. Ich weiß auch so, dass ich Probleme habe.
Linda: Für mich war
es wichtig, weil ich es nicht glauben konnte, dass er Alzheimer hat.
Erst als mir der Arzt seine Testergebnisse erklärt hat, habe ich es
begriffen.
SPIEGEL: Welche
Rolle spielt Intelligenz?
Taylor: Die meisten
Leute kennen ihren IQ gar nicht. Aber für mich war das etwas
Wichtiges. Es war Teil meiner Identität.
SPIEGEL: In Ihrem
Buch haben Sie beschrieben, wie Sie nach einem Test das Gefühl
hatten, ins Bodenlose zu stürzen: "Mein IQ ist von 148 auf 114
gefallen. Meine Verarbeitungsgeschwindigkeit ist kaum schneller als
die eines Backsteins, und das Bewusstsein meiner selbst ist nahe an
dem einer Eidechse." Man hört die Demütigung heraus.
Taylor: Wenn man als
Psychologe auf Testergebnisse schaut, sieht man nicht nur Zahlen. Ich
bin diese Zahlen. Man sieht, wie es abwärtsgeht. Das traf mich tief,
obwohl es ja kein so extremer Abfall war.
SPIEGEL: Von 148 auf
114? Hm.
Taylor: Außerdem
greift Alzheimer die Intelligenz nicht wirklich an. Es greift nur die
Fähigkeit an, Intelligenz auszudrücken.
SPIEGEL: Für Ihre
Umwelt macht das keinen Unterschied, oder?
Taylor: Ich bin
immer noch engagiert, witzig und charmant. Auch wenn ich nicht mehr
all die Fakten ausspucke, wie ich es früher konnte. Aber von dem
Moment an, wo die Leute wissen, dass man Alzheimer hat, trauen sie
einem nicht mehr zu, dass man etwas zu sagen hat.
SPIEGEL: Wie drückt
sich das aus?
Taylor: Einmal habe
ich mit meiner Schwiegertochter meine Frau ins Krankenhaus begleitet.
Sie hatte eine Rücken-OP. Die Ärzte kannten uns und wussten, dass
ich Alzheimer habe. Als bei Linda die Betäubung anfing zu wirken,
haben sie automatisch alle Fragen an meine Schwiegertochter
gerichtet. Ich war für sie praktisch nicht vorhanden. Dann musste
meine Schwiegertochter kurz raus, und ein neuer Arzt kam rein, der
mich nicht kannte. Er hat mich alles Mögliche gefragt, wir haben
ganz normal geredet. Keine verstohlenen Blicke hinüber zu jemand
anderem, um sich zu vergewissern, ob es stimmt, was ich sage. Als mir
das bewusst wurde, war es überwältigend. Es fühlte sich so gut an,
wie ein vollwertiger Mensch behandelt zu werden.
SPIEGEL: Spüren Sie
diesen Kontrast oft?
Taylor: Ständig.
Ich war mal beim Friseur, mein Bruder war mit dabei. Wir plauderten,
und die Friseurin erzählte, bei ihrem Vater sei kürzlich Alzheimer
diagnostiziert worden. Ich sagte: "Ich habe auch Alzheimer."
Da drehte sie sich zu meinem Bruder und fragte ihn: "Was für
einen Schnitt will er denn eigentlich haben?"
SPIEGEL: Wie haben
Ihre Kollegen an der Uni reagiert, als sie von Ihrer Diagnose
erfuhren?
Taylor: Hilflos. Sie
rufen nicht mehr an. Sie wollen mich nicht in peinliche Situationen
bringen. Sagen sie. Vielleicht haben sie Angst, dass ich auf einem
Empfang meine Hose runterlasse und auf den Boden pinkle.
SPIEGEL: Und Ihre
Freunde?
Taylor: Melden sich
auch nicht mehr. Ich habe sie angerufen und gefragt, wie es sein
kann, dass wir uns seit zwei Monaten nicht gesehen haben. Sie haben
gesagt, sie wüssten nicht, was sie zu mir sagen sollen. Ich hab
gesagt: "Sag doch einfach hallo!" - "Aber worüber
sollen wir reden?" - "Warum reden wir nicht über George W.
Bush? Über den Weltfrieden, die Klimaerwärmung oder deine
Eheprobleme wie sonst immer?"
SPIEGEL: Was haben
sie geantwortet?
Taylor: "Ich
wusste nicht, dass du dich dafür noch interessieren würdest."
Sie sehen mich schon als jemanden im Verschwinden. Sie erwarten, dass
ich vor ihren Augen verdampfe. Dabei bin ich noch immer ein ganzer
Ozean.
Zwischendurch
erkundigt sich Taylor, ob er die Fragen eigentlich gut beantworte.
Als er davon spricht, wie ihn alle fallengelassen haben, ringt er um
Fassung. Seine Sprache ist während der letzten Stunde immer
verwaschener geworden. Es reicht für heute. Wir verabreden uns für
den nächsten Morgen. Als Taylor diesmal die Tür öffnet, trägt er
statt des Professoren-Outfits Freizeitkleidung.
SPIEGEL: Guten
Morgen, wie geht's?
Taylor: Danke, ich
bin ein bisschen müde, Ich habe noch bis um drei Uhr morgens
gearbeitet, an einem neuen Buch. Es soll "75 Fragen zu
Alzheimer" heißen. Mein Bruder organisiert das. Er schickt mir
jeden Tag drei Fragen und kontrolliert, dass ich etwas schreibe. Ich
fürchte sowieso, ich werde das nicht mehr lange können.
SPIEGEL: Woran
machen Sie das fest?
Taylor: Die Qualität
meines Ausdrucksvermögens lässt nach. Ich kämpfe mit diesen
Gedächtnisproblemen. Meine Gedanken sind so desorganisiert, dass ich
schnell abgeschnitten bin von meinem eigentlichen Ziel. Auch das
Telefonieren fällt mir schwer. Ich sehe die Ziffern, aber ich kann
sie auf dem Telefon nicht mehr in der richtigen Reihenfolge drücken.
SPIEGEL: Aber
schreiben können Sie noch?
Taylor: Das geht
besser. Ohne Diktier- und Rechtschreibprogramme wäre ich aber schon
lange verloren.
SPIEGEL: Mit welcher
der 75 Fragen haben Sie sich gestern befasst?
Taylor: Das weiß
ich nicht mehr. Aber ich könnte nachsehen …
Taylor geht hinüber
in sein kleines Büro, das vollgestopft ist mit Computerzubehör,
Büchern, Fotos und Auszeichnungen, sowohl aus der Vor- als auch aus
der Nach-Alzheimer-Periode, und kommt nicht wieder. Etwa eine
Viertelstunde vergeht. Hat er das Gespräch vergessen?
SPIEGEL: Richard? Wo
sind Sie?
Taylor: Oh, habe ich
Sie warten lassen? Ich habe noch mal nachgesehen. Gestern ging es um
Einsamkeit.
SPIEGEL: Fühlen Sie
sich oft einsam?
Taylor: Dauernd. Ich
spüre Trauer in mir, und ich glaube nicht, dass sie noch mal
weggeht. Ich spüre, wie die Kluft zwischen mir und den anderen
täglich größer wird.
SPIEGEL: In welchen
Momenten sind Sie sich dessen besonders bewusst?
Taylor: Ich spüre
es jetzt in meiner Magengrube, während wir darüber sprechen. Oder
wenn ich unter Leuten bin, alle reden, die Stimmung ist toll, aber
ich kann dem Gespräch nicht folgen. Meine Gedanken schweifen ab. Ich
vergesse, was ich gerade sagen oder kommentieren wollte. Minuten
später, wenn die anderen schon bei etwas ganz anderem sind, fällt
es mir dann ein. Ich platze damit heraus, und alle starren mich an.
Es ist, als hielten sie ein Schild hoch: DU HAST ALZHEIMER!
SPIEGEL: Passiert
Ihnen so was häufig?
Taylor: Ja, ich
falle jetzt öfter aus der Rolle. Meine Tochter brachte mich zum
Beispiel einmal zum Gate am Flughafen. Beim Einchecken gab es eine
lange Schlange. Nur beim First-Class-Schalter stand niemand. Ich habe
ziemlich laut gesagt: "Hey, Leute, es sind ja gerade keine
Reichen da. Könnt ihr so lange vielleicht bitte uns bedienen?"
Erst fanden die Leute das lustig. Aber ich redete einfach weiter:
"Keine Sorge, wenn noch reiche Pinkel kommen, verdrücken wir
uns, schließlich wissen wir, wo unser Platz ist", so in dem
Stil. Auf einmal sagte meine Tochter in einem sehr ruppigen Ton zu
mir: "Dad, kannst du BITTE die Klappe halten?" Sie hatte
noch nie im Leben so mit mir geredet. Und ich habe ganz erwachsen
reagiert: Ich habe geschmollt. Erst eine halbe Stunde später habe
ich sie gefragt: "Shannon, warum hast du das gesagt?" Und
sie sagte: "Du hast einfach nicht mehr aufgehört. Das habe ich
an dir noch nie erlebt."
SPIEGEL: Haben Sie
sich geschämt?
Taylor: Sehr. Es war
mir peinlich, und ich hatte Angst. Weil ich erkannte, dass ich meine
Gefühle nicht mehr kontrollieren kann. Man selbst denkt immer, man
verhalte sich ganz normal. Aber der Vorfall hat mir gezeigt, dass ich
mir meiner selbst kein bisschen bewusst war.
SPIEGEL: Wenn ich
Sie jetzt fragen würde: Wie ging es Ihnen gestern?
Taylor: Na ja, ich
würde irgendetwas antworten. Aber verlassen Sie sich nicht allzu
sehr darauf, dass es stimmt. Hahaha!
SPIEGEL: Sie finden
das nicht wirklich lustig, oder? Unser Ich-Gefühl ist davon
abhängig, dass wir uns als Kontinuum verstehen. Wir sind unsere
Erinnerungen.
Taylor: Klar, das
berührt lauter existentielle Fragen. Die wichtigste ist: Wer bin
ich?
SPIEGEL: Sind Sie
noch der alte Richard Taylor?
Taylor: Nein. Ich
bin der Richard, der ich jetzt gerade bin. Wir alle verändern uns ja
ständig und leben nur in der Illusion, immer die Gleichen zu sein.
Diese Illusion wird allerdings ziemlich erschüttert, wenn man
Alzheimer hat.
Für mich gibt es
jetzt vier Dinge, die mir wichtig sind. Erstens: Du musst deine ganze
Aufmerksamkeit auf das Heute richten. Zweitens: Du musst … hm …
ich weiß jetzt nicht mehr genau, welches die vier Sachen sind. Sie
ändern sich auch von Tag zu Tag. Aber die Leute wollen immer gern
die gleichen Geschichten hören. Zum Beispiel die mit dem
Spitzenvorhang. Habe ich die schon erzählt?
SPIEGEL: Nein.
Taylor: Wenn Leute
mich fragen, wie es ist, mit Alzheimer zu leben, dann sage ich immer:
Es ist ein Gefühl, als säße ich im Wohnzimmer meiner Großmutter.
Ich betrachte die Straße draußen durch ihre Spitzenvorhänge. Die
Vorhänge haben Muster mit dicken Knoten, die mir die Sicht
versperren. Manchmal bewegen sich die Vorhänge im Luftzug, und ich
sehe etwas wieder, und dann schwingt die Gardine zurück, und ich bin
wieder abgetrennt von meinen Erinnerungen.
SPIEGEL: Ein schönes
Bild.
Taylor: Ich habe
übrigens Lust auf Leberwurst, Sie auch? Irgendwo muss doch noch
dieser tolle deutsche Senf sein … (Steht auf und sucht im Schrank)
SPIEGEL: Eines Tages
werden Sie vielleicht nicht mehr schlucken können, wie viele
Alzheimer-Kranke…
Taylor: Dann werde
ich wohl verhungern. Ich will keine Magensonde, niemals.
SPIEGEL: Haben Sie
je an Suizid gedacht?
Taylor: Nur
theoretisch. In der Praxis verlieren Menschen mit Demenz irgendwann
die Fähigkeit, das zu tun. Und ich würde das Recht, mich zu töten,
an niemand anders delegieren wollen.
SPIEGEL: Sie gehen
oft in Pflegeheime. Warum tun Sie sich das an?
Taylor: Weil sie
mich einladen, dort zu sprechen. Einmal sagte eine Frau danach zu
mir: "Ich gehe jetzt nach Hause und nehme meinen Mann in den
Arm. Das habe ich seit Jahren nicht mehr gemacht. Ich bin seine
Pflegerin, Krankenschwester, Haushälterin geworden."
Aber wissen Sie, ich
gehe dort auch hin, um eine Bestätigung für meine Hoffnung zu
finden, dass es immer noch Menschen sind, die dort drinnen leben.
SPIEGEL: Und, finden
Sie sie?
Taylor: Ja. Selbst
im letzten Stadium misst man mit dem EEG noch Hirnströme. Wenn Sie
zum Beispiel meine Schulter streicheln, dann gibt es eine Antwort. Ob
das Bewusstsein ist? Keine Ahnung. Aber ich glaube, dass da etwas
ist. Ich muss das glauben, sonst wären wir lebende Tote.
SPIEGEL: Linda sagte
gestern, sie werde Sie niemals in ein Heim geben. Aber wenn Sie
desorientiert herumlaufen und zur Gefahr für sich selbst werden?
Taylor: Dann wird
nur eine solche Institution bleiben. Ich weiß das. Linda hat einen
starken Willen. Sie denkt, sie schafft alles. Aber ich bin Realist.
Sie ist jünger als ich. Wenn sie mich in ein Heim gibt, dann kann
sie ein anderes Leben anpacken, ohne mich. Sie kann mich ja besuchen.
SPIEGEL: Wie stellen
Sie sich Ihr Leben dort vor?
Taylor: Die Experten
sagen: Bingo spielen, kleine Bastelarbeiten machen, Lieder singen –
das ist es, was Richard glücklich machen wird. Statt einem zu
helfen, noch das Beste aus dem eigenen Leben herauszuholen. Aber
dafür müssten sie einen kennen. Menschen mit Demenz haben ja noch
enorme Ressourcen, wenn man sie anregt: Es gibt phantastische
Alzheimer-Chöre und Rhythmusgruppen. Die einen lernen "Bam,
bam, bam", die anderen "Babam, babam", und sie haben
einen Riesenspaß …
SPIEGEL: Wäre das
was für Sie?
Taylor: Okay. Heute
kann ich mir das schwer vorstellen. Heute höre ich Mozart, ab und zu
spiele ich noch auf meinem Banjo. Aber wenn die Alternative wäre, in
meinem Rollstuhl vor dem Fernseher geparkt zu werden? Das ist doch
das Problem: Wir brauchen Leute, die unsere Kreativität fördern.
Aber was wir kriegen, sind Reinigungsfachkräfte.
SPIEGEL: Wie geht es
Ihnen bei der Vorstellung, dass man Sie eines Tages womöglich ans
Bett fesseln und alleinlassen wird?
Taylor: Es macht mir
eine Scheißangst. Aber vielleicht werde ich als derjenige, der ich
dann sein werde, diese Angst nicht mehr haben?
Linda Taylor sagt
hallo. Sie stellt etwas zum Essen hin, bevor sie zum Dienst geht. Sie
sagt, sie habe Angst, Richard werde bald gar nicht mehr allein
fliegen können, selbst wenn man ihn bis zum Gate bringe. Dann werde
er auch nicht mehr zu Vorträgen reisen können. Die Auftritte, hatte
Taylor gesagt, seien die Quelle seines Lebensmuts. Sie knüpfen da
an, wo an der Uni Schluss war.
SPIEGEL: Was ist an
der Uni passiert, als bekannt wurde, dass Sie Demenz haben?
Taylor: Ich habe es
ein paar Jahre geheim gehalten. Ich habe zwei Studenten gebeten, ein
Kärtchen hochzuheben, wenn ich abschweife. Ich hatte ihnen erklärt,
es sei ein Experiment. Aber dann hatte ich solche Schwierigkeiten mit
dem komplizierten Punktesystem. Ich habe alle Noten
durcheinandergebracht. Irgendwann habe ich entschieden, es wäre
besser aufzuhören. Ich habe den Dekanen gesagt …
Linda: Sie haben
dich dazu gezwungen.
Taylor: Was sagst
du?
Linda: Du wolltest,
dass sie dir eine Hilfskraft geben. Aber das wollten sie nicht.
Deshalb musstest du gehen.
Taylor: O Gott. Ich
glaube, du hast recht. Ich habe die Geschichte lange Zeit anders
erzählt. Aber du hast recht, verdammt. So sind sie mit mir
umgesprungen. Sie haben mich gefeuert. Oh, verdammt!
SPIEGEL: Sie hatten
nicht damit gerechnet?
Taylor: Ich war ein
hervorragender Lehrer. Ich war gerade zum zweiten Mal zum Lehrer des
Jahres gewählt worden. Aber das bedeutete plötzlich nichts mehr.
Bumm! Das war's. Kein Geld mehr, kein Unterrichten. Kein Job. Einfach
so.
SPIEGEL: Das
verletzt Sie bis heute.
Taylor: Ach, ich
habe jetzt einen neuen Lebenssinn gefunden: Alzheimer. Ich habe 13
000 Leute auf meinem E-Mail-Verteiler. Sie schreiben mir von überall
her.
SPIEGEL: Wofür
setzen Sie sich ein?
Taylor: Ich stelle
simple Fragen. Warum zum Beispiel gibt meine Regierung doppelt so
viel für die Aidsforschung aus wie für Alzheimer? Weil die
Aidskranken irgendwann auf den Tisch gestiegen sind und Rabatz
gemacht haben. Das sollten alle mit Demenz auch tun.
SPIEGEL: Sie wären
ohne Alzheimer nicht so prominent geworden.
Taylor: Stimmt. Ich
bin eine der frühen Stimmen der Bewegung geworden. So gesehen hat
das Ganze auch Vorteile. Trotzdem würde ich lieber ohne Alzheimer
leben. Jedes Mal, wenn ich ein Wort nicht finde, habe ich wahnsinnige
Angst. Was werde ich fühlen, wenn ich keine Worte mehr habe?
Manchmal, vor allem wenn ich müde bin, klingen meine Sätze für
mich, als würde ich im Dunkeln würfeln. Ich weiß, ich habe
gewürfelt, ich höre es auf dem Tisch klacken, aber ich weiß nicht,
was ich gewürfelt habe, weil ich im Dunkeln stehe.
SPIEGEL: Werden Sie
sich morgen an unser Gespräch erinnern?
Taylor: An nichts
Spezielles. Ich werde wissen, dass wir geredet haben.
SPIEGEL: Alles Gute,
Richard. Dr. Taylor, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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