Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
„Für
meine Eltern ist das brutal. Sie schämen sich für ihr Kind“
Er kickte
überirdisch, ist Weltmeister, Weltfußballer, Rekordnationalspieler.
Lothar Matthäus könnte eigentlich eine Lichtgestalt sein, einer wie
Max Schmeling oder Franz Beckenbauer. Aber das ist er nicht. Wie geht
es einem, über den sich die Nation nur noch amüsiert?Arno Luik im
Gespräch mit Lothar Matthäus
Arno Luik, Stern,
19.08.2010
?:Herr Matthäus,
was sind Sie bloß für einer?
!:Was ist denn das
für eine Frage?
Das müssen andere
beurteilen.
?:Das machen die ja
und sagen: Lothar Matthäus ist eine Witzfigur, ein tragischer, ein
erledigter Fall.
!:Die Leute sagen
das, weil sie mich nicht kennen. Aber sie täuschen sich. Sie glauben
den Schlagzeilen, und sie sehen zurzeit lei- der sehr viele
Matthäus-Schlagzeilen.
?:Zum Beispiel:
"Lothar, das Seitensprungbrett" oder ein bisschen weniger
böse: "Irrwege eines Idols" oder etwas zynischer:
"Betrügst du mich mit einem Jüngeren?"
!:Das ist doch alles
billig. Mein Leben ist anders, als es scheint. Ich sehe das Leben wie
ein Fußballspiel.
Es gibt nicht nur
Siege. In einer richtigen Biografie gibt es auch Niederlagen. Und
gerade habe ich eine Niederlage kassiert.
Aber mich haben
Niederlagen immer gestärkt, mich motiviert, neu und besser
anzugreifen.
?:Sie wurden gerade
von Ihrer Frau ...
!:Meiner Noch-Frau.
?:... Liliana vom
Platz gegrätscht. Man sieht Ihre Frau auf einem Boot vor Sardinien
...
!:... mit einem
anderen Mann fremdknutschen.
?:Sie bieten großes
Theater. Man weiß nur nicht: Ist es Kasperletheater oder ein
Trauerspiel.
!:Weder noch. Ich
habe ein Spiel verloren. Das war ein Foul hinter dem Rücken des
Schiedsrichters.
Rote Karte.
?:Aber Sie tragen
noch den Ehering.
!:Nein, das ist ein
anderer. Den Ehering habe ich schon vor ein paar Tagen vom Finger
gezogen, als mir klar war, wie Liliana mich betrogen hat. Manchmal
schaut man dann schon in den Spiegel und denkt: Was ist das für eine
Welt? Was für eine schmutzige Welt! Da spricht man von Liebe, Treue,
Sehnsucht, macht Pläne, will in Paris eine Wohnung einrichten - und
dann ist das alles plötzlich bloß noch ein Traum, der platzt. Meine
Noch- Frau lässt sich auf einem Boot von einem andern Mann küssen,
sie lässt sich dabei fotografieren.
Und dann sagt sie zu
mir:
"Ich hab
gedacht, mich erkennt keiner."
?:Herr Matthäus,
Sie ...
!:Im letzten halben
Jahr habe ich gemerkt, dass Liliana mich wohl nicht aus Liebe heraus
geheiratet hat. War es Berechnung? Darüber will ich nicht
nachdenken, bringt ja nichts. Sie will als Modell Karriere machen,
und ich habe ihr Türen aufgemacht, man kannte sie ja nicht. Meine
Frauen hatten - was mir gar nicht wichtig ist - diese Lust auf den
roten Teppich, diesen Drang zur Glitzerwelt, eine riesige Sehnsucht
nach Glamour.
?:Wie erklären Sie
sich das?
!:Ich weiß es
nicht. Ich bin da auch ein bisschen ratlos. Ich sag nur, wie es ist.
?:Vielleicht ist es
ja so: Sie fallen immer auf den gleichen Typ Frau herein.
!:Nein.
?:Gangster wie Al
Capone imitierten in ihrem Leben Hollywoodfilme, sie wollten so sein
wie die Gangster auf der Leinwand. Bei Ihnen habe ich den Verdacht,
Sie versuchen das Leben aus der "Bunten" nachzuleben.
!:Und Sie wollen
mich in eine Ecke schieben. Mir ist Luxus nicht wichtig. Schauen Sie
mich doch an, ist das Luxus? Bluejeans, ein einfaches T-Shirt! Mir
sind Partys nicht wichtig. Ich brauch das Klackern der Fotoapparate
nicht.
Wegen meiner letzten
Partnerinnen bin ich in den Schlagzeilen.
Sie freuen sich,
ihre Namen in der "Bunten" zu sehen, ich bin nicht scharf
darauf, Bilder von mir in der Klatschpresse zu finden.
?:Wenn Sie
unscheinbarere Frauen lieben würden, würde das seltener passieren.
!:Man kann doch
nichts dafür, in wen man sich verliebt. Es ist ein Blick, ein
Lächeln. Ich bin eigentlich ein sehr bodenständiger Mensch.
?:Aha.
!:Ja, so ist es. Ich
bin sehr gewissenhaft.
Auf mich kann man
sich verlassen.
Ich bin treu.
?:Treu?
!:Ja. Ich bin ein
Familienmensch.
Ich will mich fallen
lassen können.
Ich will
Geborgenheit. Vertrauen.
Ich bin für
Ehrlichkeit.
Ich glaube, dass ich
ein sehr korrekter Mensch bin. Für mich gelten die Werte, die ich in
meinem Elternhaus mitbekommen habe: dass man ordentlich arbeitet,
verlässlich, diszipliniert ist.
?:Und dann lesen
Ihre Eltern in der Zeitung, wie Sie sich mit Ihrer Frau wegen
Brustvergrößerungen zoffen, sie hören Ihre Frau im Fernsehen
klagen: "Ich habe ihm meine Jungfräulichkeit geschenkt."
!:Hören Sie auf,
Lüge.
?:Ihre Eltern müssen
lesen, wie Sie sagen:
"Ich habe bei
Liliana vieles erlebt, aber weiß Gott keine Jungfräulichkeit."
Warum halten Sie nicht einfach den Mund?
!:Ich kann es nicht,
weil ich ehrlich sein will. Wenn ich gefragt werde, antworte ich
offen und ohne Hintergedanken. Vielleicht ist das mein Problem. Ich
weiß ja, dass mein Leben sehr weit weg ist von meinen Eltern. Das
sind einfache, ehrliche Menschen.
Für sie ist das
alles brutal. Ich weiß, wenn sie einkaufen gehen, dass in ihrem
Städtchen dann diese Blicke sind, das Getuschel.
Es tut mir so leid
für sie, sie schämen sich für ihr Kind, und ich würde mich gerne
bei ihnen entschuldigen.
?:Und Sie? Schämen
Sie sich auch?
!:Ich ärgere mich.
Und es macht mich traurig. Ich versuche, ihnen alles zu erklären,
aber das Leben, das ich führe, kann ich meinen Eltern kaum mehr
vermitteln.
?:Das verstehe ich.
!:Es ist ein
Jetset-Leben, ich sag das ohne Wertung, ohne Stolz.
?:In Herzogenaurach
sind Sie aufgewachsen, Sie haben in Italien Fußball gespielt, auch
in den USA, Sie haben in Serbien gelebt, kurz in Brasilien und Israel
gearbeitet.
Wenn man Ihnen sagen
würde: "Geh heim!": Wo würden Sie hingehen?
!:Ich hab gerade
keine Heimat.
Also, hier,
Budapest, das ist im Augenblick mein Ruhepol. Hier fühl ich mich
sehr wohl. Ich sitze gern dort unten auf dem Fährschiff in der
Donau, abends, der Blick auf die Stadt, die Burg, die Matthiaskirche,
dieses wunderbare Panorama genieße ich, mir gefallen die Brücken.
Morgens jogge ich auf der Margareteninsel, da ist es ruhig, keine
Autos, nur das Gekreische der Möwen. Ich kann mich gut in der Stadt
bewegen, und ich spüre, wie die Leute mich mögen und auch schätzen,
was ich als Trainer ihrer Nationalmannschaft erreicht habe.
?:Der Sie zwei Jahre
lang waren.
!:Ja, aber wir haben
in der Zeit viel erreicht, wir haben die deutsche Nationalmannschaft
geschlagen, und ich habe dort viele junge Spieler rausgebracht. Ich
habe ja in vielen Ländern als Trainer gearbeitet, war, was man in
Deutschland aber merkwürdigerweise nicht akzeptieren will,
erfolgreich.
?:In Deutschland
sind Sie ein Aussätziger.
!:Das bin ich nicht.
Ich hab zurzeit eine schlechte Presse in Deutschland, mein Image
könnte besser sein. Aber wenn ich in München bin, kommen die
Menschen freundlich auf mich zu, da fühle ich keine Ablehnung.
?:Doch kein
deutscher Verein will mit Ihnen zu tun haben.
!:Sie übertreiben.
Es gibt immer wieder Gespräche. Aber ich muss jetzt nicht in
Deutschland leben, ich weiß, dass ich im Moment etwas verbrannt bin.
?:Wegen Liliana.
Wegen all Ihrer Frauengeschichten.
!:Na gut. Aber ich
habe Pläne. Niederlagen, wie gesagt, motivieren mich. Ich werde
demnächst nach England umziehen, ich möchte mich dort als Trainer
weiterbilden, ich möchte Arsène Wenger aus der Nähe erleben, den
Trainer von FC Arsenal schätze ich sehr. Schon als Spieler, das war
eine meiner Stärken, konnte ich Spiele lesen, hab erkannt, wo man
ansetzen muss, um ein Spiel zu gestalten, es zu drehen. Ich möchte
dieses Wissen als Trainer einbringen und weitergeben.
?:Sie sind ein
Unerlöster.
!:Warum denn? Weil
ich im Augenblick keinen Job habe?
?:Sie möchten schon
lange in Deutschland arbeiten, aber O-Ton Matthäus:
"Gewollt hab
ich schon gemocht, aber gedurft ham sie mich nicht gelassen."
!:Soll ich mir
deshalb "Sand in den Kopf stecken"? Darf ich jetzt auch Sie
mal attackieren, Herr Luik?
?:Nichts dagegen.
!:Wissen Sie, was
mich nervt? Mir werden seit vielen Jahren Sprüche, die ich gemacht
habe, gemacht haben soll, die mir unterstellt werden, Sprüche, die
ich nicht gemacht habe, aufs Brot geschmiert, und jetzt kommen Sie
und machen es schon wieder.
?:Tja, "wir
sind eben eine gut intrigierte Truppe".
!:Das sag ich nur
mit Matthäus:
"Ein Wort gibt
das andere - wir haben uns nichts zu sagen." Aber so ist es mit
mir: Kein Versprecher wird vergessen oder verziehen.
Immer will man was
Schlechtes mit mir machen. Haben Sie noch niemals Unsinn geredet?
?:Sie klingen sehr
genervt.
!:Ich hab mich
irgendwie daran gewöhnt, in einer Schublade zu stecken, obwohl man
sich nicht daran gewöhnen kann. Bei mir wird immer das Negative
gesucht, ganz unbarmherzig. Nehmen Sie doch mal Franz Beckenbauer,
der, ach, nein ...
?:Der hatte auch
Affären, Liebschaften, uneheliche Kinder, hat aus Frust die Fans mal
mit obszönen Gesten beleidigt.
Aber er ist die
Lichtgestalt.
!:Ja, ich gönne ihm
das, er ist mein Freund. An ihm perlt alles ab, alles wird verziehen
und vergessen.
Oder nehmen Sie
Diego Maradona, wie der sich bei der Weltmeisterschaft in Südafrika
aufgeführt hat.
?:Er hat
Menschlichkeit in das kalte Fußballgeschäft gebracht.
!:Menschlichkeit
nennen Sie das?
Das war doch ein
Witz. Schauspielerei.
Jeder konnte sehen,
dass er kein Trainer ist, keiner ist, der Spiele lesen kann, kein
Verständnis von Taktik hat. Er hat seine Mannschaft ja so
aufgestellt, dass sie verlieren musste.
Und seine zwei
Uhren. Seine Brillanten.
Sein Rosenkranz.
Seine Auftritte. Wenn ich mich so benommen hätte - ich wäre
tatsächlich ein erledigter Fall. Er aber wird vergöttert,
angehimmelt.
?:Das ist doch
tragisch für Sie: Der Ex- Kokser, der Ex-Säufer, der Typ, der mit
einem Luftgewehr auf Journalisten geschossen hat, steht als Trainer
am Fußballrand, Sie aber sitzen irgendwo weit oben im Stadionrund.
!:Das ist doch keine
Tragödie. Duisburg und die 21 Toten, das ist eine Tragödie. Sie
wollen mir einreden, ich müsste mit meinem Leben unzufrieden sein.
Ich bin es nicht.
?:Sie haben als
Raumausstatter angefangen, Sie waren ein Weltstar, und heute sind Sie
Deutschlands bekanntester Arbeitsloser.
!:Das ist eine
eigentümliche Zusammenfassung meines Lebens.
?:Okay, ich muss
tief Luft holen: Sie haben überirdisch gekickt, Sie waren
Weltmeister, Rekordnationalspieler, Weltfußballer, Weltsportler des
Jahres, deutscher und italienischer Fußballmeister und ...
!:... noch einiges
mehr, ich weiß.
Aber das ist
Vergangenheit. Auf den Auszeichnungen und dem Ruhm kann man nicht
ausruhen, das Leben geht weiter.
?:Es gibt zwei
Ex-Stars, um die man sich Sorgen macht: Boris Becker, dem jenseits
vom Tennisplatz nichts gelingt, der mit peinlichen Frauengeschichten
in die Schlagzeilen kommt, beruflich nur Flops landet, und da sind
Sie, der ...
!:Was: der?
?:Sagen wir es mal
so: Der abseits vom Rasen Schwierigkeiten mit dem Leben hat.
!:So sehen Sie das?
Aber das ist nicht die Wahrheit. Das Leben auf dem Fußballfeld ist
einfach.
Da gibt es Regeln,
die werden nicht eingehalten, es wird gefoult, getrickst, der
Schiedsrichter pfeift, und letztendlich wissen alle, wie sie sich zu
verhalten haben. Das Leben draußen ist komplizierter,
undurchsichtiger, wie ein Dschungel.
?:Es ist Kampf?
!:Ja, klar. Wie im
Straßenverkehr, wo man versucht, die richtige Lücke zu finden, um
schneller voranzukommen.
Aber machen Sie sich
um mich mal keine Sorgen.
Das Leben läuft
nicht immer gerade nach oben, das habe ich im Fußball gelernt. Es
gibt immer Abstürze.
Der Preis für ein
Fußballerleben ist hoch. 22 Jahre hatte ich einen aufregenden Job,
20 Jahre lang spielte ich für die Nationalmannschaft.
?:Das ist vorbei.
!:Ja, das sag ich
doch. Aus ist es mit dem Jubel, dem Überschwang, dem Beifall. Der
Fußball hat mir viel gegeben. Aber das Brutale in dem Geschäft ist,
und das muss jeder erst mal mental für sich verarbeiten:
Auf einmal ist alles
vorbei. Du bist, wenn du die Kickschuhe an den Nagel hängst, noch
relativ jung, bist so um die 35 oder 40, stehst voll im Saft, bist in
der Mitte des Lebens, und das Leben ist noch lang. Du willst etwas
Sinnvolles machen, dich nicht in der Leere verlieren. Aber für das
Spiel hast du deine Ausbildung vernachlässigt, ich kann nicht mehr
zurück in meinen alten Job, ich muss also von null anfangen, etwas
Neues finden. Das ist schwer.
?:Das Neue ist für
Sie das Alte: Fußball.
!:Korrekt. Weil ich
viel Erfahrung habe. Weil ich weiß, dass ich diesem Sport etwas
geben kann, ich kann mit jungen Leuten gut arbeiten.
?:Da gibt es nur ein
großes Problem:
Niemand will Sie.
!:Unsinn. Wahr ist,
dass man als Trainer immer Phasen ohne Arbeit hat, und in den letzten
14 Monaten hatte ich keinen Job, auch weil ich auf mein Privatleben
Rücksicht genommen habe. Und dass ich in Kamerun ...
?:Kamerun!
!:Was haben Sie denn
dagegen? So eine Aufgabe reizt mich - ein anderer Kontinent, ein
neues Land, Herausforderungen, ich bin offen, ich will lernen. Dass
mein Job in Kamerun geplatzt ist, verdanke ich vermutlich meiner
Noch-Frau und ihren Abenteuern, ihrem Fremdgehen. Die Frau des
Staatspräsidenten, der mich unbedingt engagieren wollte, fand das
alles nicht gut - die Tratschereien wegen der jungen Dame haben mich
einen Job gekostet.
?:Ich muss immer
lachen, wenn ich die Münteferings, die Fischers sehe, alte Männer
mit jungen Frauen - und jeder weiß, dass jeder denkt: Geld und Macht
kaufen Schönheit und Jugendlichkeit.
Und jeder weiß,
dass diese Alten in der Angst leben, bald zu alt für ihre jungen
Frauen zu sein.
!:Hören Sie mal, so
alt bin ich ja noch nicht, und optisch, würde ich mal sagen, komme
ich nicht wie ein 49-Jähriger daher. Ich fühl mich jünger. Aber
klar, mich irritierte es auch, wenn ich den alten, kleinen Bernie
Ecclestone mit seiner jungen, großen Frau sah.
?:Sie sind fast 27
Jahre älter als Ihre Frau.
!:Ja, ich könnte
ihr Vater sein. Ich habe ja Kinder in ihrem Alter, aber ich empfand
den Altersunterschied nicht als störend. Wir haben uns Zeit
gelassen, uns langsam kennengelernt, wir hatten gute Gespräche, sie
schien sehr reif zu sein.
?:Ja?
!:Ja. Zu spät
merkte ich, was ihr wirklich wichtig ist: die Glitzerwelt.
Partys, schöne
Schuhe, Shopping, Nightlife.
?:Der Verdacht kam
Ihnen vorher nie?
Was für ein
merkwürdiges Leben Sie doch führen.
!:Das ist doch nicht
mein Leben.
Das ist ihr Leben!
?:Einen Auftritt von
Ihnen und Ihrer Frau bei einem Spiel der Nationalmannschaft hat die
"Zeit" so beschrieben:
"Lothar und die
Dings.
Liliana. Er hat das
schwarze Haar getränkt mit Gel. Sie im Pelz, heute mal blond und
eine High-Heels-Etage höher als er. Wie das Königspaar eines
Karpatenstaates schreiten sie durch das Fußballvolk."
!:Das ist Häme pur.
Sie erreicht mich nicht. Das ist dieser typisch deutsche Sarkasmus,
der mir das Leben in Deutschland so schwer macht. Man darf keine
Ecken haben.
Die wollen alle,
dass man bieder und stromlinienförmig ist.
?:Oder einfach: dass
man nicht peinlich ist.
!:Was ist denn
peinlich, wenn eine Frau High Heels trägt? Und sie dann 15
Zentimeter größer ist als ich? Mein Selbstbewusstsein hält diesen
Höhenunterschied gut aus.
Stöckelschuhe
machen die Beine länger, attraktiver. Und ich mag Schönheit. Ich
war immer stolz auf meine Frau, wenn Männer ihr nachgeguckt haben.
Aber gut, das ist vorbei. Was ich jetzt will, ist, dass man Privates
vom Beruflichen trennt, mir da Gerechtigkeit zukommen lässt.
?:Was heißt denn
das?
!:Ich möchte gern
als Fußballtrainer arbeiten, in Ruhe zeigen, was ich kann.
?:Die Erlösung für
Sie wäre, wenn nun das Telefon klingelte und Uli Hoeneß wäre dran
und sagte:
"Komm, Lothar,
komm zu uns zum FC Bayern, wir brauchen dich!"
!:Das wird nicht
passieren, ich bin Realist, und es wäre auch nicht die Erlösung.
Ich brauch keine Erlösung.
Ich bin mit meinem
Leben nicht unzufrieden. Ich hab viel erreicht. Ich bin gesund, ich
kann mich, obwohl ich zwölf Operationen hatte, ohne Schmerzen
bewegen, kann Ski fahren, Tennis spielen. Gut, ab und zu gibt es
einen seelischen Tiefschlag.
Ich kann nicht
sagen, dass ich im Moment mein Leben genieße, aber der Schmerz wird
vergehen. Sie müssen sich Lothar Matthäus als einen optimistischen
Menschen vorstellen. Ich verliere mich nicht in Grübeleien.
?:Sie verdanken dem
Ball alles.
!:Manchmal, ganz
selten, denke ich, vielleicht wäre ich ohne den Ball glücklicher.
Ich hatte ja einen interessanten Job als Innenarchitekt.
?:Als
Raumausstatter.
!:Es ging Richtung
Innenarchitekt, mich hat es sehr interessiert, Ideen aufs Blatt zu
bringen und in die Realität umzusetzen. Ich denke, auch ohne Ball
wäre aus mir etwas geworden. Ich war immer ehrgeizig, ich wollte
immer mehr aus mir herausholen. Aber der Ball war meine Leidenschaft.
?:Der Ball, hat
Diego Maradona mal gesagt, ist für ihn "Mutter und Geliebte
zugleich".
!:Das ist eine
schöne Beschreibung.
Wenn ich das aber so
sagen würde, hieße es sofort: Matthäus hat eine perverse Beziehung
zum Ball. Mich hat der Ball immer fasziniert, ich war erstaunt, wie
ich ihn steuern konnte. Der Ball hat mich aus Herzogenaurach
herausgeführt.
Er hat mich
emanzipiert.
Befreit. Aber auch
gefangen. Ein Leben jenseits der Schlagzeilen stelle ich mir schön
vor, nur: Es ist nicht mehr möglich. Ich habe einen Namen und ein
Gesicht, und die Boulevardpresse weiß, dass sie mit mir Auflage
machen kann.
?:Bei Ihnen hat man
den Eindruck, dass Sie noch im Vollrausch die Nummern von "Bild"
und "Bunte" im Kopf haben, um über Ihr Privatleben zu
informieren.
!:Lieber Herr Luik,
herzlichen Dank für Ihre Vorurteile. Mir wird immer eine Nähe zu
diesen Blättern unterstellt, die ich nie hatte. Sie unterstellen
mir, dass ich viele Fehler gemacht habe. Ja, mein Gott, das stimmt!
Sie nicht, haben Sie denn nie Fehler gemacht?
Ich kann manche
Dinge nicht mehr zurückholen. Aber ich akzeptiere auch, wie ich bin.
?:Sie wirken
getrieben.
!:Wie bitte?
?:Es war schwierig,
Sie zu treffen.
Sie sind ständig
unterwegs, ruhe-, rastlos.
!:So ist es nicht.
Ich war 22 Jahre lang Profifußballer, in mir ist wohl noch dieser
Rhythmus, dass man ständig woanders ist. Es stimmt, ich hab nicht
die Ruhe, dicke Bücher zu lesen. Ruhe finde ich eher beim
Autofahren. Ich fahre gern nachts, weil dann keine Sonntagsfahrer
stören. Ich fahre gern schnell, höre leise, leichte Musik,
konzentriere mich aufs Auto, fahre von hier nach München, 700
Kilometer, ich mag das, ich fahre nach Monte Carlo, vier, fünf,
sechs Stunden - nachts, das Geräusch des Motors, der dunkle Himmel,
der Asphalt. Wunderbar beruhigend, optimal zum Nachdenken.
?:Und was kommt
dabei heraus?
!:Das muss nichts
Besonderes sein.
Gedankensplitter.
Dass ich nicht mit Misstrauen und Angst durchs Leben gehen möchte,
dass ich offen bleiben möchte - obwohl ich so häufig eins ins
Gesicht bekommen habe. Und dass ich immer noch auf die große Liebe
hoffe, auf die Frau treffe, mit der ich bis zum Tode zusammenbleiben
kann.
?:Und Ihre fünfte
Frau? Darf die nun älter als 25 sein?
!:Auf eine so junge
Frau wie Liliana falle ich nicht mehr herein. Zurück |