Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Beachtung
"Bescheidenheit
und Höflichkeit kommen für mich nicht in Frage": Russell
Brand, britischer Comedian und künftiger Ehemann von Sängerin Katy
Perry, über Heroin, Sexsucht und seinen Hang zum Exhibitionismus.
Antje Wewer,
Süddeutsche Zeitung,, 21.08.2010
Russell Brand
tritt nicht ins Hotelzimmer; er tänzelt herein, was bei seiner Größe
von knapp 1,90 Meter interessant aussieht. Er reißt die Fenster auf
und geht auf minimale Distanz. Plötzlich sehr nahe: perlweiße
Zähne, umrandete Augen, Jesuslocken. Sein Aufzug: metrosexuell.
Seine Ausstrahlung: überraschend männlich. Ein Oscar Wilde im
Piratenlook, der blitzgescheit und anzüglich ist und, wenn er will,
feinstes Oxford-Englisch spricht: Schneller kann die Zeit nicht
vergehen.
S Z: Mister Brand,
in England sind Sie seit ein paar Jahren fast so bekannt wie die
Queen. In Deutschland kennt man Sie bisher nur als zukünftigen
Ehemann von Popstar Katy Perry. Bitte erklären Sie uns mal, für was
Sie eigentlich berühmt sind?
Russell Brand: Am
besten könnte das natürlich meine Mum. Aber ich versuch es mal.
Also, ich bin ein preisgekrönter Stand-up-Comedian. Man kennt mich
als Moderator diverser Comedy-Shows im Radio und im Fernsehen. Aber
auch als Ex-Junkie, der elf Mal verhaftet wurde. Der einen Bestseller
geschrieben hat. Und damit zum Millionär wurde.
Ihr Bestseller heißt
"My Booky Wook"; es ist Ihre Autobiographie. Die verkaufte
sich so grandios, weil Sie darin en detail über Ihre Heroinsucht und
Sexabenteuer schrieben, oder?
Nein, Sie
unverschämte Lady, sondern weil ich das grandiose Talent besaß,
meine eigentlich tragische Lebensgeschichte ziemlich lustig
aufzuschreiben. Und weil die Engländer das Drama an sich, die
Indiskretion und den exaltierten Humor vergöttern.
Sie haben mal
gesagt, Sie seien wie eine Figur aus einem modernen Charles-
Dickens-Roman. Wie viel Oliver Twist steckt denn so in Ihnen?
Charles Dickens, den
ich übrigens über die Maßen vergöttere, hat in seinen Büchern
immer wieder die sozialen Missstände seiner Gegenwart angeprangert.
Im 19. Jahrhundert waren das Kinderarbeit und Armut. Und was sind die
größten sozialen Missstände von heute? Sexsucht und Drogen!
Außerdem habe ich mich als Kind tatsächlich sehr oft wie Oliver
Twist gefühlt.
Sie wirken aber gar
nicht wie ein Waisenknabe. Im Gegenteil, Sie gelten als "loose
canon", wie man in Ihrer Heimat sagt: als Provokateur,
Exhibitionist, Skandalnudel. Weil Sie ständig alle möglichen Leute
beleidigen.
Für einen wie mich,
der ohne Vater und einen Penny in Essex aufgewachsen ist, kommen
Bescheidenheit und Höflichkeit nicht in Frage.
Zwischendurch
fliegen Sie immer wieder mit großem Getöse bei Arbeitgebern wie MTV
oder der BBC raus. Welcher Rausschmiss war Ihnen am unangenehmsten?
Ich mochte jeden
einzelnen. Das waren alles Ereignisse, die mein Leben bereichert
haben. Einmal brachte ich Obdachlose mit in die Radiostation, bei der
ich gerade als Moderator arbeitete, und wir rauchten zusammen "on
air" eine Crackpfeife. Dann verlor ich meinen Posten bei MTV,
weil ich am 12. September 2001 als Osama bin Laden verkleidet auf dem
Schirm auftauchte. Ein anderes Mal flog ich raus, weil ich auf einer
Comedy-Kreuzfahrt Witze über die offensichtlich frisch operierte
Frau eines Gastes machte.
Oh je. Das klingt
nach allerunterster Humor-Schublade.
Komisch ist das,
worüber die Leute lachen. Und ein Witz, der funktioniert, kann so
entspannend sein wie ein Orgasmus.
Zuletzt waren die
Leute empört, weil Sie während Ihrer BBC-Sendung auf dem
Anrufbeantworter von Schauspielikone Andrew Sachs obszöne Sprüche
über seine Enkelin hinterlassen haben.
Rückblickend glaube
ich, dass ich die Reaktion provoziert habe, weil ich im Grunde keine
Lust mehr auf den Job hatte. Rausfliegen kann sehr befreiend sein!
Ich bin wie eine Katze, ich falle immer wieder auf die Füße.
Das glauben Sie doch
alles selber nicht, oder?
Puh, Sie sind aber
eine sehr konfrontative deutsche Dame. Schon mal den Spruch gehört:
Eine Tür geht zu, eine andere auf? Ich habe mittlerweile das
verregnete England hinter mir gelassen und lebe jetzt im sonnigen Los
Angeles. Die Amis haben eine Schwäche für exaltierte Briten wie
mich. London ist alt, schmuddelig und wimmelt, Los Angeles ist neu,
jung, schnelllebig. Ich sehe mich dort mehr denn je als Engländer,
und der postkoloniale Engländer definiert sich ja durch seine
Sprache und seinen Humor.
Haben Sie Ihren
rasanten Aufstieg nicht vor allem der Klatschpresse zu verdanken?
Hey, hey, der
Boulevard hat genauso eine Daseinsberechtigung wie das Feuilleton.
Schon der große Anthropologe Desmond Morris sagte: Wenn wir mitten
im Amazonasgebiet einen entlegenen Stamm entdecken und den Gesprächen
am Lagerfeuer lauschen könnten, würden wir keine Diskussionen über
Gott und Mythen hören, sondern den Klatsch über die Leute im
nächsten Dorf. Die Klatschblattkultur ist unser neuer Pantheon, eine
Ansammlung neuer Götter, die sich nicht länger in spirituellen,
sondern in weltlichen Sphären bewegen. Faszinierend.
Ihre Kritiker
monieren, dass Sie Ihre Heroinsucht zur Imagepflege nutzen. Man
könnte auch meinen: Wenn Sie schon wieder so drüber witzeln können,
war vielleicht alles gar nicht so dramatisch?
Ich gebe Ihnen jetzt
eine kleine Lektion in Sachen Comedy. Die Methode, seine eigene
Vergangenheit zu thematisieren, nennt sich biographische Komödie.
Das haben vor mir schon so großartige Künstler wie Lenny Bruce
gemacht, der durch seine Obszönitäten in Amerika bekannt wurde und
später jämmerlich an seiner viel thematisierten Drogensucht starb.
Oder nehmen wir den Schauspieler und Komödianten Richard Pryor. Der
war zig Mal verheiratet, hat sich durch die Unterhaltungsindustrie
gevögelt und genau das immer zum Thema seiner Shows gemacht. Baby:
It's called Showbiz und nicht Imagepflege!
Auf jeden Fall sind
Sie ein gutes Beispiel für die These, dass die modernen Menschen
ihre Privatsphäre zum Teufel jagen. Gerade thematisieren Sie in
allen möglichen Interviews Ihre bevorstehende Hochzeit mit der
Popsängerin Katy Perry.
Ach ja, was haben
Sie denn so gelesen?
Den Antrag machten
Sie auf dem Rücken eines Elefanten im indischen Jaipur. Sie werden
nackt heiraten. Und die Verwandten sollen auch nackt kommen.
Und Sie mussten
nicht lachen, als Sie das lasen? Die Leute erwarten doch Irrsinn von
ihren Stars. Ich habe kein Problem, ihn zu liefern. Der
Nachrichtenwert von Klatsch ist mit dem Nährwert von Zuckerwatte zu
vergleichen: eine Endlosschleife, um Leute davon abzuhalten, sich
über die wirklich wichtigen Dinge im Leben Gedanken zu machen.
Klatsch ist Valium für das Volk.
Aber ist es nicht
traurig, dass alle Welt weiß, dass Ihre Freundin Ihnen eine Reise
zum Mond geschenkt hat, und kaum einer weiß, dass Sie in einer
Shakespeare-Verfilmung neben Helen Mirren spielen?
Die Skandale sind
für mich nur Leuchtstreifen am Horizont, um die Leute neugierig auf
mich zu machen. Wenn sie es sind, erzähle ich ihnen von den Dingen,
die wirklich wichtig sind.
Die da wären?
Was es bedeutet, ein
Mensch zu sein, der mit dem Leben hadert und gegen Depressionen
kämpft. Der ohne Vater aufwuchs, dessen Mutter Krebs hatte, der
ungern alleine ist und eine Blaskapelle auf dem Rücken trägt, damit
man ihn beachtet. Mir ging es in meiner Autobiographie um
Entwicklung, den Willen zur Veränderung und das, was alles möglich
ist, wenn man unten in der Gosse liegt und die Sterne betrachtet, um
es mit Oscar Wilde zu sagen. Und ich würde auch behaupten, dass mein
Buch durchaus Weiterbildungscharakter hat.
Ach ja, an welchen
Stellen genau?
Der Teil, in dem ich
beschreibe, wie das Drogenkaufen in Camden funktioniert. Danach weiß
man nun wirklich, worauf es ankommt, um nicht abgezogen zu werden.
Ein Beutel Heroin sollte halb so groß wie eine Malteser-Kugel sein
oder doppelt so groß wie eine Erbse. Der Dealer trägt sie im Mund
und spuckt in seine Hand, wenn er das Geld in der Hand hält. Dann
nimmt der Käufer die kleine Kugel direkt von seiner Hand und steckt
sie sich in den Mund.
Appetitlich. Gibt es
irgendetwas, das Sie öffentlich nicht erzählen würden?
Alles, was in meinen
vier Wänden gesprochen wird. Gespräche mit meiner Partnerin, meiner
Mutter, meinen Kumpels. Meine privaten häuslichen Angelegenheiten
sind nicht anders als die von jedem anderen. Menschen, die beim Top
Shop T-Shirts zusammenlegen oder Haftpflichtversicherungen verkaufen,
hätten es gerne anders.
Sehr wahrscheinlich
behandeln diese Leute ihre Süchte oder den Krebs ihrer Eltern diskre
ter als Sie.
Ich bin auch nicht
in erster Linie berühmt für meine Skandale, sondern für meinen
Wortwitz, meine spitze Zunge, meine Schlagfertigkeit. Ich rede eben
gerne über die Themen, die ich interessant finde. Sex gehört dazu.
Drogen auch. Es gibt einen Haufen Künstler, die nur über die Dinge
schreiben, von denen sie eine emotionale Ahnung haben. Jack Kerouac
gehört dazu, genauso wie Johnny Cash und Bob Dylan. Ein
Strafverteidiger würde auch seine persönlichen Erfahrungen mit
Drogen benutzen, um einen Junkie zu verteidigen. Noch mal: Ich bin
ein Komiker, und mein Leben ist mein Kapital. Dinge bleiben bei mir
so lange privat, bis ich entscheide, dass sie die Öffentlichkeit
belustigen dürfen.
In Ihrer
BBC-Radioshow haben Sie Geistesgrößen wie Noam Chomsky oder Louis
Begley interviewt. Jetzt wohnen Sie in Los Angeles und spielen einen
Rockstar in der Komödie "Männertrip". Dessen größte
Leistung es ist, mit einem Beachcruiser durch Hollywood zu fahren.
Hm.
Ach, jetzt machen
Sie den Film nicht so klein! Er ist witzig, unterhaltsam, im Grunde
spiele ich mich darin sogar selber. Und jetzt lasse ich noch ein paar
große Namen fallen, damit klar wird, dass ich meine Zeit in Amerika
nicht vergeude. Neulich war ich mit Oliver Stone mittag- und mit
David Lynch abendessen.
Angeber.
Ja klar! Meine
Freundin sagt über mich, ich sei der charmanteste Angeber, den sie
kennt. Ein tolles Kompliment. Popkultur kann man nur verändern und
mitgestalten, wenn man sich mitten in sie hineinbegibt. Sie schreiben
doch Ihren Artikel auch nicht auf ein Stück Papier und schmeißen es
dann aus dem Fenster. Nein, Sie wollen, dass er in der Zeitung
gedruckt wird. Und ich will gesehen werden. Schräge
Hollywood-Komödien sind eine weitere Episode in meinem Leben, aber
nicht das Ende.
Kurios, dass gerade
die prüden Amerikaner so auf Sie abfahren.
Das liegt an meinem
Akzent, sie halten mich trotz der Schweinereien für schlau. Amerika
wird außerdem immer vorgeworfen, es sei konservativ und puritanisch,
dabei ist es im gleichen Maße radikal und innovativ. Dann wieder ist
es das Land, in dem der Komiker Bill Hicks, der sich als "Chomsky
mit Schwanz-Witzen" bezeichnete, groß wurde.
George Bush nannten
Sie bei den MTV- Awards "einen bekloppten Cowboy, dem man in
England nicht mal eine Schere anvertrauen würde". War das
spontan?
Sagen wir, es war
nicht geplant. Wenn ich auf die Bühne trete, dann schon mit einem
Konzept, so ähnlich wie ein Spickzettel, den man akribisch
vorbereitet, dann aber während der Klassenarbeit gar nicht benutzt.
Meist improvisiere ich, das macht mir mehr Spaß, und die Leute haben
das Gefühl, sie erleben etwas Einzigartiges, Magisches, das sich
nicht wiederholen lässt.
Gibt es auch Momente
in Ihrer Laufbahn, die Sie bereuen? Vielleicht den, als Sie, wieder
bei den MTV-Awards, Bob Geldof und sein Afrika-Engagement
beleidigten?
Hello? Er war zuerst
unverschämt, ich habe nur zurückgeschlagen. Man kann mir schlecht
vorwerfen, dass ich schlagfertig bin und sein enervierendes
Gutmenschentum auf die Schippe nehme. Ich weiß, dass ich gleich
wahnsinnig eitel klingen werde, aber was soll's: Ich habe die Gabe,
dass ich Leute zum Lachen bringen kann. Dieses Talent hat mich vor
einer piefigen Existenz in Essex gerettet, meine Sucht überleben
lassen und nach Hollywood gebracht. Nein, ich bereue nichts, keinen
Spruch, keinen Witz, keine Entgleisung. Wenn es etwas gibt, zu dem
ich stehe, dann zu meinem Humor. Äh, und zu meiner Mutter.
Wie lange sind Sie
eigentlich clean?
Vor siebeneinhalb
Jahren bin ich aus der Entzugsklinik raus. Vermutlich wäre ich ohne
die Drogen-Eskapaden sehr viel früher bekannt geworden. Heroin
verlangsamt das Tempo. Es schießt einen weg und ist so betrachtet
die einzige Droge, die hält, was sie verspricht. Ich bin mit einem
Suchtcharakter gestraft. Ich kann einfach nichts in Maßen tun. Mir
fehlt ein Kontrollimpuls. Bis heute finde ich Leute faszinierend, die
an einem Abend koksen und dann wieder drei Wochen Pause machen. Bei
mir funktioniert nur: ganz oder gar nicht. In oder out. Schon schade.
Warum?
Als Ex-Junkie wird
es einem in Amerika nicht leichtgemacht. Ich hatte Schwierigkeiten,
eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, und jedes Mal, wenn ich einreise,
werde ich doppelt und dreifach gefilzt und gedemütigt, über
Stunden. Partys und Clubs besuche ich dort kaum noch. Warum auch? Ich
trinke nicht mehr, nehme keine Drogen und ich schlafe auch nicht mehr
mit fremden Frauen. Für mich gibt es keinen Grund mehr, mein Sofa zu
verlassen. Langweilig ist mir aber nicht, mein Geist ist wacher als
je zuvor.
Gar keine
Abhängigkeiten mehr?
Ich meditiere
exzessiv. Vergöttere meine Freundin. Telefoniere täglich mit meiner
Mutter. Ich bin fußballsüchtig und verehre meinen Club West Ham
United. Und ohne Lipgloss kann ich nicht leben. Haben Sie welchen
dabei? Ich habe verdammt trockene Lippen.
Ja. Aber der ist
pinkfarben. . .
Umso besser. Den
bevorzuge ich sowieso, seit ich meine auftoupierte Mähne nicht mehr
trage. Ich muss meinem metrosexuellen Ruf schließlich gerecht
werden.
War das jetzt ein
Witz oder einfach nur Russell Brand, sehr privat?
Beides.
Zum Schluss eine
Frage, die mit Demut beantwortet werden sollte: Ihr persönlicher
Albtraum?
Ich mache einen
Witz. Keiner im Saal lacht. Auch ich nicht.
Russell Brand,
geboren am 4. Juni 1975, wuchs bei seiner Mutter in Essex,
Großbritannien, auf. Er besuchte mehrere Schauspielschulen, beendete
keine, sondern wurde Stand-up-Comedian und schrieb 2007 "My
Booky Wook", ein sehr komisches Buch über seine private Tragik:
eine bedrückende Kindheit, das Krebsleiden der Mutter, den
durchgedrehten Vater, seine Bulimie, Drogen- und Sexsucht. Nach dem
Rauswurf als Moderator bei MTV und der BBC strebte Brand eine
Schauspielkarriere an. Nach dem Überraschungserfolg "Nie wieder
Sex mit der Ex" ist er von 2. September an in der Fortsetzung
"Männertrip" im Kino zu sehen
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