Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Der
Philosoph des 21. Jahrhunderts
Es gibt weltweit
wohl keine zweite Firma, die so lässig und gleichzeitig so mächtig
ist wie der Unterhaltungskonzern Apple. Dessen Gründer und Chef
Steve Jobs, despotisch und mehrmals schwer erkrankt, bestimmt nicht
mehr nur, was wir kaufen – er will bestimmen, wie wir leben.
Von Klaus
Brinkbäumer und Thomas Schulz, Spiegel, 26.04.2010
Es war heiß, kein
Schatten im Stadion von Stanford, die Studenten hatten gesoffen, sie
grinsten und kicherten, und darum dauerte es, bis sie verstanden,
dass dort vorn ein Herrscher der westlichen Welt zum Geständnis
schritt.
Seine Produkte, zu
erkennen am angebissenen Apfel, sind Produkte, die die Menschheit
verlangt, weil die Menschheit offenbar glaubt, dass diese Produkte
das moderne Leben erleichtern, mehr noch: dass modernes Leben aus dem
Besitz dieser Produkte besteht. Der Herrscher aber redet nicht über
sich, normalerweise.
Er sei schüchtern,
sagen manche, die ihn gut kennen. Er sagt nur dann etwas, gütig
lächelnd, wenn er etwas zu verkaufen hat, ein neues Telefon
(iPhone), ein flaches Wunderding (iPad) oder eine neue Werbeplattform
(iAd), oder wenn er, wie vergangene Woche, einen neuen Rekordgewinn
verkünden will: 3,07 Milliarden Dollar im jüngsten Quartal, 90
Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Ansonsten schweigt
er, und er fordert Schweigen von allen, die er in seine Nähe lässt,
und es lässt sich nicht sagen, warum er an jenem Juni-Tag von
Stanford gestand, was ihn treibt, was er fürchtet, was er denkt, nur
dort, dieses Mal und nie wieder.
Drei Geschichten
wolle er erzählen, nicht mehr, „no big deal“, sagte Steven P.
Jobs, Bart- und Brillenträger, die Stirn hoch, er trug eine schwarze
Robe, ein dünner Mann schon damals, vor der Transplantation. Er
zitterte ein wenig, hob die Stimme, atmete schnell.
Drei Geschichten,
keine große Sache.
Die erste Geschichte
solle vom Verbinden der Punkte handeln, sagte Jobs und erzählte, wie
seine Mutter ihn aufgab, wie er adoptiert wurde, wie er sein Studium
abbrach, wie er meilenweit für eine Suppe gehen musste, bis er einen
Freund fand und eine Idee hatte. Die Punkte eines Lebens, sagte Jobs,
seien immer erst im Rückblick zu verbinden, wir müssten vertrauen.
Wir alle. Darauf, dass die Punkte sich zu einem Bild fügen werden,
irgendwann, auf unseren Instinkt, das Schicksal.
Steve Jobs wippte
nun nicht mehr auf und ab. Und die Studenten von Stanford blickten
zur Bühne und hörten zu.
Die zweite
Geschichte handelte von Liebe und Verlust. Steve Jobs sagte, dass er
als 20-Jähriger gefunden habe, was er liebe, Apple, sein Lebenswerk,
und dass er als 30-Jähriger entlassen wurde, doch weitermachte in
der Computer-Welt, weil er sie liebte. „Manchmal trifft euch das
Leben mit einem Stein“, sagte er den Studenten, „verliert euren
Glauben nicht. Die einzige Weise, wie ihr eine großartige Leistung
vollbringen könnt, ist, dass ihr liebt, was ihr tut.“
War das Poesie?
Ethik gar? Küchenpsychologie? Und die dritte Geschichte? Die dritte
Geschichte handelt von Leben und Tod, dazu später mehr.
Es gibt eine Menge
Begriffe, mit denen Steve Jobs umschrieben wird, „Guru“, „Genie“,
„Messias“, solche Begriffe, auch „Diktator“ und
„Menschenschinder“.
Denn Steve Jobs gilt
als diabolisch, als Soziopath, und er hat diesen Ruf zu Recht, das
wird schnell klar, wenn man seine Welt betritt; Apple, einst
Computer-Firma und heute Weltmacht der Unterhaltungselektronik, ist
ein Unternehmen, das stark ist wie wenige andere und zugleich
Schwächen hat, die angesichts seiner Stärke bizarr sind.
Dieser Steve Jobs
hat eine Marke erschaffen und entwickelt, die zugleich cool und
Mainstream ist, das ist der Traum aller Werber. Apple beherrscht den
weltweiten Online-Musikmarkt, und den für Abspielgeräte und den für
Hightech-Telefone erobert Apple gerade: 8,75 Millionen iPhones
verkaufte Apple im letzten Quartal. Das iPad, zwischen Telefon und
Laptop angesiedelt, wurde in den USA hysterisch begrüßt und wird in
Europa hysterisch erwartet, da es Medien- und Buchmarkt im Sturm
nehmen könnte; es hat einen Touchscreen, weshalb die Nutzer mit
archaischen Bewegungen, Fingerdruck und Fingerkreisen, die vielleicht
raffinierteste Technologie des Computer-Zeitalters steuern werden.
Apple, scheinbar
lässige Massenmarke, ist wahrscheinlich das einzige Unternehmen der
Welt, das seit Jahrzehnten eine fanatische Anhängerschaft hat, nicht
ein paar Verrückte, sondern Millionen von Menschen, für die Apple
eine Haltung ist. Das „New York Magazine“ hob Jobs mit der Zeile
„iGod“ auf den Titel. Und als Apple das iPad ankündigte, zeigte
der „Economist“ Jobs als Jesus-Ikone. Ironisch? Ein wenig.
Scheindistanz.
Der ganze Wahnwitz
hat viel mit Design zu tun. Apple-Produkte sind karg, schlicht, sie
sind kompromisslos.
Es hat mit Mut zu
tun. So groß, so maßlos wie Apple denken wenige Firmen, und
vermutlich hat keine andere die eigenen Prinzipien derart oft und
derart rundweg erneuert.
Jobs betritt gern
Arenen, in denen ungeschlagene Gegner zu Hause sind, und hin und
wieder erfindet er eine Branche, um sie im selben Moment zu
monopolisieren.
Nun bringt Apple das
iPad auch in Deutschland auf den Markt, einen knapp DIN-A4-großen,
fingerdicken Computer in Form eines Tabletts. Seit über einem
Jahrzehnt versuchen Apples Konkurrenten so einen Computer zu
etablieren, sie alle sind gescheitert. Aber natürlich ist das iPad
schick und cool und schnell, es ist der bekannte Ansatz: eine
vorhandene Idee zu nehmen und sie so zu verpacken, dass Massen
sie kaufen.
Manche sagen, es sei
ein gedoptes iPhone, bloß größer, damit man Bücher, Magazine,
Zeitungen darauf lesen kann, Filme sehen, im Internet surfen.
Andere sagen, es sei
eben deswegen das elektronische Gerät für die Zukunft, das Ding,
das jeder haben will.
Es ist ein
Fühlgerät. Es schmiegt sich an, ein Kuschelcomputer, kein Knopf zu
viel. Es ist ein Fenster in die Welt der Medien, ein Fenster, mit dem
wir reisen können, ein Fenster, das wir mit ins Bett nehmen wollen,
auf die Couch, ein Buch zum Einschalten, und es verzaubert die
Kunden: Auf Flughäfen, bei Sicherheitskontrollen, war in den
vergangenen Wochen ein Star, wer ein iPad auspackte.
Das Ding hat
Schwächen: Weil Steve Jobs das Programm Flash nicht mag, werden
viele Web-Seiten zur Hälfte geladen, Flash-Filme bleiben leere
Flächen. Und wer dicke Finger hat, vertippt sich leicht. Und bei
Sonnenlicht sieht man nicht viel. Das iPad ist ein passiver Computer,
dessen Sinn es ist zu konsumieren.
Das alles hat viel
mit unserer Zeit zu tun und der Art, wie wir leben wollen. Ein iMac
im Büro, ein MacBook für unterwegs, einen iPod zum Joggen, ein iPad
für die Bildung und ein iPhone für die Verbindung zu all den
anderen ewig Jugendlichen: So will sich der Mensch des 21.
Jahrhunderts offenbar sehen, so will er gesehen werden, und in New
York, Tokio, London, Berlin oder Hamburg lebt er längst so. Das
macht Steve Jobs, 55, zum Philosophen des 21. Jahrhunderts.
Denn Jobs, Verführer
in schwarzem Rolli und blauen Jeans, mit hoher Stirn, Bart und
Nickelbrille, ist der Mann, der bestimmt, wie wir leben wollen: Er
legt fest, was wir haben können, und redet uns ein, dass es das sei,
was wir haben möchten. Er hat das Kaufverhalten von Massen verändert
und damit Lebensweisen, also Kultur. Aus dem Erfolg seiner Firma
leitet er Ideologien ab und das Recht, Inhalte zu zensieren, die auf
seine Computer gespielt werden. Ist Apple dabei, die einflussreichste
Firma der Welt zu werden? Die iMächtigen?
Wer Apple verstehen
will, muss diesen Jobs verstehen – Apple ist sein Lebenswerk, die
Firma funktioniert, wie er sie haben will.
Es ist nicht ganz
einfach, sich Jobs zu nähern, weil Apple so gut wie nie mit
Reportern spricht, falls diese nicht zuerst Apples Produkte gelobt
haben. Der deutsche Firmensprecher Georg Albrecht schrieb: Apple
„gibt leider keine Einblicke in sein Innenleben … So gerne ich so
eine Story unterstützen würde, weiß ich, dass wir hier Ihnen keine
Gesprächspartner anbieten können“. Wenig später fielen die
Antworten der Amerikaner ähnlich aus: kein Kommentar, zu gar nichts.
Aber es gibt Leute,
die Apple verlassen haben, darunter jene, die Jobs dankbar sind, weil
sie an seiner Seite reich wurden, und andere, die ihn hassen und
wirken, als seien sie traumatisiert. Und auch Leute, die heute für
Apple arbeiten, reden über Apple, wenngleich unter falschem Namen,
denn Jobs ist kein netter Mensch.
Es gibt nur Sieger
und Versager für ihn, genial oder dumm, er hasst Fleischesser, und
Produkte sind entweder „wahnsinnig großartig“ oder „Scheiße“.
Angestellte können heute Genies sein und morgen „bozos“,
Volltrottel, heute unverzichtbar und morgen gefeuert. Die
„Helden-Arschloch-Achterbahn“ nennen Apple-Leute das
Herrschaftsprinzip des Steve Jobs: „the hero-shithead roller
coaster“.
Die Apple-Story, die
eine Jobs-Story ist, lässt sich in sechs Kapiteln beschreiben,
erzählt von sechs Zeitzeugen, von denen jeder seine Zeit hat, von
den Anfängen einer Klitsche bis in die Zukunft einer der mächtigsten
Firmen der Welt.
I. Der Gründer
Die Apple-Geschichte
beginnt, wie könnte es anders sein, in einer Garage in Los Altos,
südlich von San Francisco. Es ist die Garage der Familie Jobs, es
ist 1976, und Jobs schraubt mit seinem Freund Steve Wozniak an einem
Computer-Prototypen herum.
Zwei Jünglinge in
T-Shirts und abgeschnittenen Jeans. Unkalifornisch bleich. Jobs hat
schulterlange Haare, links gescheitelt, braune Augen, dünne Arme.
Sie reden nicht viel, nicht über Mädchen oder Sport, wenn sie
reden, reden sie über Musik oder ihre Idee.
Kennengelernt haben
sie sich fünf Jahre zuvor, sie sind beide Elektronik-Fans,
Studienabbrecher, Außenseiter. „Nerds“ wird man Typen wie sie
später nennen, vielleicht sind die zwei aus der Garage die ersten
Nerds. Sie hören zusammen die Beatles und Dylan, bauen illegale
Geräte für kostenlose Telefonate, und
sie entwickeln
Videospiele. Eines heißt „Breakout“, es wird einer der ersten
Erfolge einer der neuen Firmen der neuen Zeit: Atari. Und sie träumen
von Größerem, einem Computer für jedermann, einer Maschine, die
sich jeder leisten kann.
Es gibt zwei
Variationen ihres Traums. Wozniak träumt davon, diese Maschine zu
bauen, Jobs will sie verkaufen.
Damals sind Computer
vor allem etwas für reiche Unternehmen und die CIA, riesige
Maschinen, die 100 000 Dollar kosten, mindestens. Wozniak aber hat
mit 13 Jahren an seinem ersten Computer gebastelt, er weiß, dass er
Talent hat, ein Gespür für Technik, er versteht, wie Schaltkreise
funktionieren, und er hat keine Ahnung davon, wie revolutionär sein
Talent sein wird. Zum ersten Mal war dieses Talent schon an einem
Sonntagabend im Juni 1975 revolutionär, als er zwei Kabel nahm und
einen seiner Prototypen mit einem Bildschirm und einer Tastatur
verband.
„Ich
habe nicht realisiert, wie bedeutend das war“, sagt Wozniak. Er
lacht. „Es war das erste Mal, dass jemand einen Buchstaben auf
einer Tastatur tippte und den Buchstaben im selben Moment vor sich
auf seinem Computer-Monitor sah“, schreibt er in seiner
Autobiografie.
Im Frühjahr 1976
zeigt der eine Steve (Wozniak) dem anderen Steve (Jobs) den Bauplan
für einen Personal Computer, kaum größer als eine Schreibmaschine,
für wenig Geld zu bauen und für viel mehr Geld zu verkaufen. Jobs
klatscht Wozniak ab, rechnet, und wenn Wozniaks Erinnerungen stimmen,
dann sieht Steve Jobs in diesem Moment vor sich, was möglich ist. Es
ist der Moment der Geburt von Apple. Jobs verkauft seinen VW-Bus für
1500 Dollar, um Bauteile für den neuen Computer kaufen zu können.
Dann überredet er Wozniak, seine Stelle bei Hewlett-Packard
aufzugeben.
Der Apple I ist
nicht viel mehr als eine Holzbox mit einer Platine und einigen
Dutzend Chips, es ist der erste Schritt in eine andere Welt, und Jobs
erkennt es. „Steve hat nicht einen Schaltkreis gebaut und keine
Zeile eines Codes geschrieben“, sagt Wozniak, „aber ich wäre
niemals auf die Idee gekommen, Computer zu verkaufen, das war Steves
Wirken.“
Am 1. April 1976
gründen die beiden Freunde die Firma Apple Computer. Jobs ist 21
Jahre alt, Wozniak 25. Es gibt zwei Geschichten dazu, wie der Name
entsteht: Möglich, dass Jobs den Namen bei den Beatles klaut, deren
Platten bei Apple Records erscheinen; möglich, dass der Name dem
Genialen unter einem Apfelbaum einfällt, jedenfalls kommt Jobs von
jener Farm in Oregon zurück, wo er gern aushilft, und schlägt dem
Kumpel „Apple Computer“ vor. Jobs hört die zweite Geschichte
lieber, sie ist sehr romantisch, doch Wozniak sagt, er habe Jobs nie
gefragt.
Es kommen, damals,
die Wochen ohne Schlaf, es geht darum, den Apple I massenmarktfähig
zu machen. Wozniak kümmert sich um die Technik, Jobs stellt
Mitarbeiter ein, sparsam, es müsse immer mehr Arbeit geben als
Mitarbeiter, sagt er. Er treibt einen Investor auf und organisiert
den Vertrieb für ein Produkt, für das es noch keinen Markt gibt.
Im Juni 1977 kommt
der Apple II auf den Markt. Preis: 1298 Dollar, Tastatur inklusive,
Monitor exklusive. Es ist der erste Bürger-Computer und eine
Weltsensation, die über zwei Millionen Mal verkauft wird. Ein Anfang
– und noch lange kein Ende. Denn Wozniak produziert seine
Erfindungen nun in Serie, er entwirft eine erschwingliche Floppy
Disc, die Farbgrafik, und Jobs macht weiter mit dem Verkauf der
Revolution. 1980 geht Apple an die Börse, Wozniak und Jobs sind
Multimillionäre und Popstars.
Es ist das
Unternehmen „von zwei besten Freunden, die sich so ähnlich waren
in ihrem Denken über Philosophie, die Zukunft, die
Gegenkulturbewegung“, so sagt es Wozniak im Januar 2010. Er sieht
immer noch aus wie damals in den Gründerjahren, Haare und Vollbart
zottelig, der Körper füllig, und immer noch spricht er mit Hingabe
über Apple.
„Alles,
was wir machten, verwandelte sich in Gold, es gab ja nichts, alles
wurde das erste Mal in die Welt gebracht“, sagt Wozniak. Aber er
verlässt Apple 1985. „Steve sah es als die Zukunft einer Firma,
ich sah es als mein ganzes Leben“, sagt er, „ich wollte nicht
mehr im Rampenlicht stehen.“ Will er nicht so werden wie Jobs?
Solche Fragen mag er nicht, er ist ein höflicher Mann.
In den Jahren danach
organisiert Wozniak Rockkonzerte, stattet Schulen mit Computern aus,
immer wieder mal gründet er ein Unternehmen, nichts Weltbewegendes.
Fehlt ihm das Diabolische? Die Gnadenlosigkeit? Fehlt ihm die
schlechtere Hälfte?
Steve & Steve
sehen sich selten. Zum ersten Riss kam es schon 1984, denn damals
erfuhr Wozniak, dass Jobs einst angeblich 5000 Dollar für das erste
gemeinsame Projekt erhalten hatte, das Atari-Spiel; Jobs hatte ihm
erzählt, es seien 700 Dollar, und diese 700 hatten die besten
Freunde geteilt.
War es Betrug?
Verrat?
Was soll es sonst
gewesen sein? Ein Rechenfehler?
Wozniak fühlt sich
25 Jahre später weniger Jobs, aber Apple verbunden, er wird noch als
Mitarbeiter geführt, er wohnt in Los Gatos im Silicon Valley. „Steve
arbeitet genauso wie damals“, sagt er, „er schaut sich eine
existierende Technologie an und fragt, was die Menschen am Ende
wollen – und wie Apple den kürzesten Weg dorthin bereiten kann.“
II. Der Zauberer
In einer Welt der
hochauflösenden Oberflächen und sinnlichen Touchscreens vergisst
man leicht, wie ein PC Anfang der achtziger Jahre aussah. Es gab
grüne Schrift auf schwarzem Grund, Befehle wurden per Tastatur
eingegeben. Es war etwas für Technik-Fans und nur für die.
1979 hatte Apple
begonnen, an einem neuen Computer zu arbeiten. Steve Jobs übernahm
bald die Führung der Entwicklungsabteilung, er wünschte etwas nie
Dagewesenes. Der Mac sollte so sein, wie seine Entwickler die Welt
sahen. „Wir verachteten Hierarchien und Strukturen“, sagt Andy
Hertzfeld. „In den siebziger Jahren waren Computer Instrumente der
Autorität gewesen, wir wollten aus dem Computer ein Instrument der
Befreiung machen, zugänglich für jeden.“
Hertzfeld ist einer
der Entwickler des Mac, er kam 1979 als einer der ersten Angestellten
zu Apple; auf seiner Visitenkarte stand „Software-Zauberer“.
Hertzfeld mag die Firma, er weiß, es waren die besten Jahre seines
Lebens. Was für ein Trip. Er weiß auch, dass es da noch andere
Seiten gibt.
„Er
ist extrem rachsüchtig.“ Das sagt Hertzfeld über Jobs. „Alle
haben Angst vor Steve, insbesondere die Angestellten. Wenn ich Steve
in einem Wort beschreiben müsste: Das Wort wäre ,kontrollierend‘“,
sagt Hertzfeld, „und seine Weltsicht ist, dass seine Regeln für
alle gelten außer für ihn.“
Andy Hertzfeld lebt
nicht wie ein Revolutionär, er hat ein großes Haus in einer
ruhigen, von Bäumen überwucherten Straße in Palo Alto, er ist
klein und untersetzt, er trägt ein schlabbriges T-Shirt und Shorts.
„Wir wollten die Welt verändern“, sagt Hertzfeld. Die Geburt des
Mac war nicht einfach der Start einer neuen Produktreihe, es sei „wie
ein Orgasmus“ gewesen. Der Mac war der erste Massen-PC mit einer
grafischen Oberfläche, mit Symbolen, mit Fenstern, die sich
übereinander öffnen konnten. Und er hatte eine Maus.
„Uns
war klar, dass in der Zukunft jeder Computer in der Welt so sein
würde“, das sagte Steve Jobs Jahre später. Und Andy Hertzfeld
sagt: „Apple will nicht das finanziell einträglichste Produkt
machen oder das technisch beeindruckendste. Es soll die großartigste
Sache an und für sich sein, einfach Perfektion.“
Der Mac wurde am 22.
Januar 1984 vorgestellt, in einem 30-sekündigen Werbespot während
der Super Bowl; der Spot war von Hollywood-Regisseur Ridley Scott
gedreht worden. Zu sehen sind endlose Reihen von Arbeitern, eine
lustfreie Armee, und ein Wesen wie „Big Brother“ aus George
Orwells Endzeitroman „1984“ peitscht sie voran; die Armee ist
IBM, damals noch ein Gegner für Apple. Eine junge Frau stürmt ins
Bild, verfolgt wird sie von bewaffneten Polizisten, sie zerschmettert
Big Brother und befreit die versklavte Menge. Die Frau ist Apple.
Eine Stimme verkündet: „Am 24. Januar stellt Apple Computer den
Macintosh vor. Und Sie werden sehen, warum 1984 nicht wie ,1984‘
sein wird.“
Fast 80 Millionen
Fernsehzuschauer sind fasziniert, und sie sind verwirrt. Dieser Spot
gilt unter Werbeexperten als vielleicht bester aller Zeiten, er macht
so gut wie alle Werber zu Apple-Jüngern, was sie bleiben werden,
durch all die Jahre.
Apple ist gelungen,
was die meisten großen Unternehmen immer nur versuchen: Produkte
aufzuladen mit Emotionen, sie zu überhöhen mit Werten, bis die
Produkte zu Werten werden – Apple verführt. Wer einen Mac kauft,
ist jung und kreativ und revolutionär, also cool. „Think
different“, das wird später der Apple-Slogan, und wer will das
nicht: anders denken?
Dies unterscheidet
Apple von anderen Weltmarken, von Coca-Cola etwa oder von Adidas. Ein
Turnschuh mag Mode werden, dann hat er für eine Weile Erfolg, aber
ein Turnschuh bleibt er doch. „Apple ist angetrieben von
künstlerischen Werten, das ist die Essenz des Unternehmens“, sagt
Hertzfeld. „Bei welcher anderen Firma ist das noch so?“
III. Der Künstler
Es ist ein Haus wie
ein Apple-Computer. Weiß, weit, warm. Draußen gibt es Olivenbäume
und Palmen, drinnen weiße Wände und Chrom, einen Flügel,
chinesische Teegedecke, Meissener Porzellan.
Ins Haus führt ein
Mann, der weiß, wie man sich kleidet und bewegt, auch wenn er
inzwischen erhöht sitzen muss, wegen der neuen Hüfte. Der Mann
trägt Jeans, ein blaues, besticktes Hemd, Bart trägt er, die grauen
Haare strubbelig. Er macht Insalata Caprese, Pesto-Spaghetti, „erst
essen, dann reden“, sagt er. Schließlich, beim Espresso: „Und
jetzt? What do you want to know?“
Hartmut Esslinger
mischt deutsche mit englischen Sätzen, er lebt seit Jahrzehnten in
Kalifornien. Auch Esslinger ist der Größte seiner Welt, er ist
Designer. Esslinger gründete 1969 Frog Design, in einer Garage, in
Altensteig, Schwarzwald.
„Design
ist nicht Verpackung. Design ist eine Art zu denken, Design macht
sich Gedanken um das ganze Produkt“, sagte einst Hartmut Esslinger.
„Design ist nicht nur, wie etwas aussieht und wie es sich anfühlt.
Design ist, wie etwas funktioniert“, sagte ein paar Tage später
Steve Jobs. „Manchmal hört Steve sich etwas an, dann präsentiert
er es als seine These“, sagt heute Hartmut Esslinger, er lacht, er
schätzt Jobs, vor allem seine Kühnheit.
In den Siebzigern
verpackte Esslinger die TV-Apparate der deutschen Firma Wega in
spektakuläre Kunststoffgehäuse. Sony kaufte Wega, und dann kaufte
Sony Hartmut Esslinger. In den Jahrzehnten danach hat er für Sony
Fernseher gestaltet, das Lufthansa-Design überarbeitet, das
fliegende Windows-Fenster gestaltet, und in all den Jahren fragte er
sich, warum Computer so hässlich waren.
Computer sahen aus
wie Feinde. Wie Werkzeuge, für Männer, ausschließlich, Esslinger
sagt: „Alle dachten über neue Prozessoren nach, immer kleinere
Chips, niemand über Design. Niemand fragte sich, warum Büros wie
Gefängnisse wirkten, warum kein Mensch diese grauen Dinger zu Hause
haben wollte. All die Kabel. Den Lärm. Alle Manager taten, was eben
alle Manager taten. Mut ist, Neues zu wagen. Mut ist, sich den
kindlichen Glauben an die Möglichkeit von Perfektion zu bewahren.“
Jobs rief Esslinger
an, weil er ein Design für eine grafische Benutzeroberfläche haben
wollte, aber Esslinger glaubt, „dass Menschen manchmal noch nicht
wissen, was sie wollen“. Er glaubt auch, dass „gutes Design die
exakte Balance zwischen Provokation und Vertrautheit oder zwischen
absurd und langweilig“ finden müsse. Darum schlug er Jobs etwas
anderes vor: weiße Computer. „Kalifornisch weiß“, so nannte er
es. „Die Computer-Industrie hat nie begriffen, dass Menschen eine
emotionale Beziehung zu Dingen entwickeln“, sagte er. Diesen Satz
sagte dann natürlich auch Jobs, wörtlich, in einer Konferenz, Tage
später.
„Be
insanely great“ – „Seid wahnsinnig großartig“, das war Jobs’
Befehl. Und die Frog-Leute bauten Prototypen, Künstler und
Ingenieure im ständigen Austausch, und Jobs ließ sie bauen. 200 000
Dollar bekam Frog pro Monat, viel Geld für etwas, das niemand ernst
nahm im konservativen Silicon Valley.
25 Jahre später
preisen Designer und Werber keine andere Kooperation so sehr wie jene
zwischen Esslinger und Jobs. „Verstehen, was Menschen brauchen.
Dinge entwickeln, die das Leben einfacher und zusätzlich Freude
machen. Das ist das Apple-Geheimnis“, so nennt es Suze Barrett,
Kreativ-Direktorin der Werbeagentur Scholz & Friends in Hamburg.
Während die anderen Computer-Unternehmen technisch getrieben waren,
„setzte Apple auf das für Menschen Nachvollziehbare und Nützliche.
So wurden Apple-Produkte Symbol eines neuen Lebensstils, des ,digital
lifestyle‘, in dem Design die wesentliche Rolle spielt“, sagt
Barrett.
Einfach und
funktional sahen die Geräte aus. Das war durchaus geklaut, von
Braun-Taschenrechnern beispielsweise, aber Apple-Produkte wurden, was
Werber „Must-have-Produkte“ nennen.
Das „i“, das die
wesentlichen Apple-Produkte ziert, stand einst für „Internet“
und steht heute für „ich“. Es geht um Selbstverwirklichung oder
die Illusion derselben. „Muss etwas unbrauchbar sein, wenn es Kunst
ist? Kann keine Kunst sein, was benutzbar ist?“, fragt Esslinger,
der jetzt Professor in Wien ist und Bücher verfasst, „Sehen ist
Glauben, Glauben ist Sehen“, solche Sätze schreibt er hinein.
Esslinger legt nun
ein iPhone und ein BlackBerry auf den Tisch. Er sagt: „Sehen Sie,
was ich meine? Die Kurven, all die Knöpfe, das eine fügt sich nicht
zum anderen, hier ist eine Biegung, dort eine Gerade, das ist
schlampig, was soll das?“ Er schiebt das BlackBerry weg, angeekelt.
Das iPhone
streichelt er wortlos.
2007 brachte Apple
sein Mobiltelefon auf den Markt, wieder war es ein fremder Markt für
eine in ihren Märkten längst etablierte Firma. Das iPhone folgt den
gleichen Ideen wie der iPod, es ist schlank und simpler als alle
sogenannten Smart-Phones, die zuvor auf dem Markt waren. Es liegt gut
in der Hand. Es soll ein Produkt sein, das wir nicht brauchen. Wir
sollen es begehren. Also doch brauchen. Brauchen wollen.
Das iPhone hat
wenige Tasten, es hat einen berührungsempfindlichen Bildschirm, man
kann damit im Internet surfen wie auf einem PC. 185 000 verschiedene
Applikationen, kurz „Apps“, gibt es, erfunden von
Software-Entwicklern rund um die Welt und verkauft über den Apple
iTunes Store, demnächst mit Werbung bespielt über Apples Plattform
iAd.
Den ersten
Esslinger-Rechner, den Apple IIc, präsentierten sie damals in Jobs’
Büro in Cupertino. 25 Modelle, alle weiß. Jobs sah nicht beglückt
aus. „O Hilfe, ich hoffe, dass es funktioniert“, sagte er, „ich
bin nicht überzeugt.“ Am ersten Tag verkaufte Apple 50 000
Exemplare, es war der 24. April 1984. Heute steht der Apple IIc im
Whitney Museum of American Art in New York City.
IV. Der Feind
Aber Jobs war nie
der Unfehlbare, als der er verehrt wird. Er war auch nicht immer der
„beste Vorstandsvorsitzende der Welt“, wie ihn Google-Chef Eric
Schmidt nennt. Er war für eine Weile nicht einmal
Vorstandsvorsitzender.
Nach dem Börsengang
von 1980 und dem Beginn der Expansion will der Apple-Verwaltungsrat
einen erfahrenen Manager als Chef installieren, einen, der den
schwierigen Jobs beaufsichtigen soll, ihm vormachen soll, wie man ein
globales Unternehmen auch führen kann: seriös.
Jobs wehrt sich
nicht, aber er möchte bei der Auswahl mitreden, und er will nur
einen Mann: John Sculley, Chef von Pepsi-Cola, Marketing-Experte und
ahnungslos, was Computer angeht. 18 Monate lang umwirbt er Sculley,
schließlich sagt Jobs: „Willst du den Rest deines Lebens
Zuckerwasser verkaufen, oder willst du eine Chance, die Welt zu
verändern?“
Sculley sagt zu. Und
Jobs mag Sculley, sie gehen wandern in den Hügeln Nordkaliforniens.
Die Presse nennt sie „das dynamische Duo“. Aber nach zwei Jahren
überwerfen sich Sculley und Jobs, weil es zum Showdown kommt: Wer
hat die Macht, Gründer oder Manager, der Visionär oder der Solide?
Der Verwaltungsrat entscheidet sich für Sculley. Im Herbst 1985
verlässt Jobs Apple, sein Baby, sein Leben.
Sculley bleibt. Für
acht Jahre noch.
„Ich
glaube, es war ein riesiger Fehler, mich als Vorstandschef
einzustellen“, sagt Sculley Anfang 2010. Er sitzt an einem schweren
Konferenztisch in New York City, hinter ihm die Fenster zum Central
Park. „Der Verwaltungsrat hätte Steve zum Chef machen sollen“,
sagt Sculley.
Warum sagt er so
was? Welcher Vorstandsvorsitzende redet die eigenen Leistungen klein?
Müsste er nicht darüber reden, wie das Unternehmen unter ihm wuchs,
von 600 Millionen Dollar Umsatz auf acht Milliarden? „Man hätte
mich einfach das Marketing machen lassen sollen, einen
Vorstandsposten oder so“, sagt Sculley, „dann wären Steve und
ich niemals auseinandergegangen.“
Jobs hat nie wieder
mit Sculley geredet. „Ich glaube, er wird mir nie vergeben, und
ich verstehe ihn“,
sagt Sculley. Er sieht müde aus, wie er da über den Straßen
Manhattans sitzt, er ist 71, Partner einer Private-Equity-Firma, hat
ein Anwesen in Palm Beach, aber nach all den Jahren leidet er unter
dem Liebesentzug durch Steve Jobs.
Er selbst sei leider
nicht talentiert genug gewesen, „um so wie Steve Produkte bauen
oder in die Zukunft sehen zu können“, sagt Sculley. 1993 muss auch
er Apple verlassen. Das Unternehmen ist in einer Sackgasse, ideenlos
und führungslos und darum chancenlos gegen den neuen Star der
Computer-Welt: Microsoft.
„Zum
Glück ist Steve wieder da“, sagt Sculley schließlich, Anfang
2010.
Was ein Genie
ausmache, sagt Sculley, sei die Fähigkeit, 20 Jahre vor allen
anderen zu erkennen, was in ferner Zukunft Standard sein werde. „Und
genau das kann Steve, er hat es mit dem iPod bewiesen, er hat es mit
dem iPhone bewiesen, warum sollte er es jetzt nicht auch mit anderen
Branchen machen?“
Und es stimmt ja,
die wahre Kunst des Steve Jobs ist es, Bedürfnisse zu erkennen oder
das Potential unausgereifter Ideen und daraus perfekte Produkte zu
formen.
Das war so, als er
Wozniaks Prototypen eines Personal Computers sah. Apple wurde zum
einflussreichsten Computer-Hersteller der Welt.
Das war wieder so,
als die Musikindustrie keine Mittel fand gegen illegale Tauschbörsen;
Apple wurde zum größten Online-Musikhändler der Welt.
Und als die
Mobilfunkbranche es nicht schaffte, ihre Kunden im großen Stil dazu
zu bringen, mit dem Handy im Internet zu surfen, kam das iPhone auf
den Markt, und längst ist der Einfluss von Apple groß, so groß,
dass Konzerne wie die Deutsche Telekom oder AT&T sich die Preise
diktieren lassen, große Teile ihrer Einnahmen abtreten müssen und
schüchtern erklären, auf keinen Fall etwas Böses über Apple sagen
zu können.
Derart groß ist der
Einfluss, dass bei der Präsentation des iPhone in Deutschland nur
Jobs die Bühne gehören durfte und Telekom-Chef René Obermann nur
zusah.
Auch die
Musikindustrie ist wütend, aber nur inoffiziell. Die Plattenkonzerne
fühlen sich nicht wohl, aber wehrlos im Würgegriff eines Konzerns,
der bestimmt, wie viel ihr Produkt, ihre Musik kosten darf. Die
Aufgabe aller Kontrolle ist der Preis, der für eine Rettung durch
Steve Jobs zu zahlen ist.
V. Die
Männerversteherin
„Steve
ist wie alle Genies“, sagt Pam Kerwin, „wer sagt denn, dass
Mozart ein guter Mensch war?“ Sie lacht. Und dann sagt sie: „Ja,
er kann rau oder geringschätzig sein, aber er ist ein Visionär. Und
andere Manager wollen Geld, Macht, aber er wird von der großen Idee
getrieben. Er hat die Fähigkeit, herausragende Technologie zu
gebären, und es geht ihm nie um kleine Schritte – er will, dass
das, was er macht, einen massiven Einfluss auf die ganze Welt hat.“
Als Pamela Kerwin
und Steve Jobs sich zum ersten Mal begegneten, 1989, war sie
Vizepräsidentin bei Pixar und Jobs ein Mann ohne Ziel, ein trauriger
Mann? „Ja. Er ist ein Hardware-Typ, wir waren der falsche Laden für
ihn.“
Ein Aufgeber?
„Machen Sie Witze?“
Dann erzählt sie:
„Vielleicht ist er als Kleinkind auf den Kopf gefallen, und dadurch
wurden Gegenden seines Gehirns aktiviert, die bei uns anderen
schlafen. Er fühlt, was Leute wollen. Er fühlt nicht, was cool ist,
er fühlt, was cool sein wird. Dann hetzt er Leute, motiviert Leute,
und manche gehen, aber die Besten bleiben. Er bringt die Besten dazu,
das Bestmögliche zu leisten, weniger würde er nicht annehmen. Und
er ist gnadenlos kompromisslos. Sehen Sie sich das iPhone an: Wie
viele Leute sagten, es braucht mehr Knöpfe, es braucht eine
Batterie, die man wechseln kann? Alle sagten das. Aber er denkt:
Nein, das ist nicht verbraucherfreundlich. Und natürlich hatte er
all diese Klarheit auch damals.“
Pamela Kerwin ist
eine der wenigen Frauen aus dem Zentrum der Jobs-Welt. Sie ist auch
eine der wenigen Figuren, die in dieser Welt fähig sind, Jobs
reflektiert zu betrachten. Und sagen, was sie über Jobs denken. Ohne
in Schockstarre zu verfallen. Ohne diese Angst vor dem Entzug von
Wärme, die selbst jene noch treibt, die seit Jahrzehnten bestenfalls
Missachtung durch den erlebt haben, auf den sie ihr Denken
ausrichten.
Viele der Gestürzten
sind noch Jahre später demütig. Vielleicht wollten sie nie viel
mehr vom Leben, als von Jobs beim Vornamen genannt zu werden. Oder
von Jobs angeschrien zu werden.
Dass er dich anhört,
dir „face time“ gibt, ist Zeichen der Bedeutung deiner Aufgabe.
Die iTunes-Store-Leute, jene, die den interaktiven Laden für Musik
und Filme aufbauten, bekamen vor rund fünf Jahren eine Menge „face
time“. Im Moment sind die iPad-Jungs und -Mädchen modern.
Dass er dich
anschreit, bedeutet, dass er sich ernsthaft sorgt.
Dass er dich beim
Vornamen anspricht, dass du „Steve“ zu Mister Jobs sagen darfst,
ist Ausdruck deiner Bedeutung.
Es geht ganz schön
infantil zu im Apfelreich. Eine Frau wie Pam Kerwin wirkt da
bisweilen wie die einzige Erwachsene.
Vielleicht liegt das
daran, dass sie nie bei Apple war, Kerwin ist eine Pixar-Frau, Jobs
hat ihren Laden 1986 übernommen und dann umgekrempelt. Vielleicht
liegt es daran, dass sie Lehrerin an der Ostküste war, Spezialistin
für digitales Lernen, Computer-Labore, ehe sie 1989 ins Silicon
Valley kam. Sie ist blond, trägt Brille und einen schwarzen
Pullover, sie sitzt im Kellerbüro ihres Hauses in Mill Valley,
Kalifornien, weiß sind die Wände.
Pixar, Ende der
siebziger Jahre als Sparte von George Lucas’ Filmimperium
gegründet, war noch nicht eines der erfolgreichsten Studios der
Filmgeschichte, sondern eine von vielen hundert Start-up-Firmen in
Kalifornien. Es gab eine Idee, eine Handvoll begabter Leute, Partys,
Bierfässer, Affären und viel Arbeit. The grand old times. Es gab
diese Unsicherheit: Schaffen wir es zu überleben?
Es ist nicht
einfach, dreidimensionale Bilder zu gestalten. Pixar konnte das, Jobs
sah es. „Das ganze Silicon Valley sagte damals, dass er bei Pixar
sein Geld versenken würde, er sah etwas, was niemand sonst sah. Ich
denke, man könnte das Mut nennen“, sagt Kerwin. Jobs gab George
Lucas fünf Millionen Dollar, fünf weitere steckte er in die Firma,
und für die jungen Leute von Pixar begann eine Reise.
Jobs stellte
Kreative ein, vor allem aber Leute „mit ausgeprägter linker
Hirnhälfte“ (Kerwin), Strategen. Jobs verstand nicht wirklich, wie
die Software funktionierte, „letztlich begriff er nicht, was wir
taten“, sagt Kerwin, „wahrscheinlich schützte uns das vor ihm“.
Klar, er schrie. Ja, er strafte. Er war launisch. Aber er ließ John
Lasseter, den Mann für die Phantasie bei Pixar, machen und kümmerte
sich um das, was er konnte.
Er verkaufte
Pixar-Dienste an Disney. „Er konnte mit den Haien schwimmen, wir
konnten es nicht“, sagt Kerwin, „für alles, was er zu verkaufen
hatte, wollte Steve zehn Millionen Dollar, immer zehn Millionen, auch
wenn es keine zehn Millionen wert war.“ Er zerstörte die Arbeit
von Monaten. Es geschah bei Verhandlungen mit Leuten von Intel, kurz
vor der Unterschrift, dass Jobs schlechte Laune hatte; Jobs pöbelte,
die Intel-Leute gingen gekränkt.
Pam Kerwin sagt: „Er
ist nicht besonders gut darin, Geschäfte mit anderen bedeutenden
Managern zu machen, weil dann Ego gegen Ego steht, und Steve geht
niemals auch nur einen Schritt zurück. Doch wenn er in Jeans und
schwarzem Pullover Produkte an Kunden verkauft, wie ein Messias bei
diesen Präsentationen, dann ist er ein brillanter Mann der Show.
Dann stört ein großes Ego nicht. Ein Showmaster braucht ein großes
Ego.“
Er veränderte die
Richtung der Firma Pixar: Bewegte Bilder wurden zu Kurzfilmen wurden
zu Kinofilmen. Das Drehbuch zu „Toy Story“ entstand, Jobs
bereitete den Börsengang vor. „Das ganze Silicon Valley sagte
damals, dass das nicht funktionieren könne, dass eine Firma, die
noch keinen Dollar Gewinn gemacht habe, an die Börse geht“, sagt
Kerwin. Es ging. „Toy Story“ kam heraus. Viele Jahre später
folgte „Findet Nemo“. Der Kindergarten Pixar ist ein Konzern
geworden, und die, die mit Jobs auf die Reise gingen, wurden
Millionäre.
Und Jobs lernte. Er
saugte auf, zerlegte, setzte neu zusammen, dachte weiter. Es waren
die Pixar-Ideen, mit denen er zu Apple zurückkehrte. Bewegte Bilder.
Vernetzung von Kommunikationsformen. Massenmedien.
Ein Musikliebhaber
und Ingenieur namens Tony Fadell, kein Apple-Mann, trug später Jobs
die Idee an, aus der iPod und
iTunes werden
sollten – und die den Wendepunkt bringen würde; bei Pixar aber
verstand Jobs, was möglich war. In seinem Kopf entstand ein
virtueller Laden, in dem man Filme und Musik kaufen kann, in seinem
Kopf entwickelten sich intelligente Telefone und Computerchen, mit
denen Musik und Filme zu nutzen sein würden. Das alles würde klar
und gerade aussehen und simpel zu bedienen sein. Pixar-Leute sagen,
dass etwas Seltenes geschah: Jobs lächelte, als er in seinen Porsche
stieg und wieder hinüber zu Apple fuhr.
Denn 1996 wurde er
mitsamt seiner Firma NeXT eingekauft und zurückgeholt. Apple war ein
Konzern ohne Richtung geworden und zeigte das öffentlich: Viele
Leute sagten viele widersprüchliche Sätze, Apple hatte viele
Stimmen und darum keine mehr; Jobs registrierte es, dies war der
Ursprung einer mittlerweile sagenumwobenen Geheimnistuerei.
„Steve
wollte die Stimmen so lange reduzieren, bis nur noch einer für Apple
sprach: Steve“, sagt einer, der iTunes mitentwickelt hat. Jeder
Apfelmann unterschreibt Schweigeklauseln, sie gelten auch Jahre nach
einer Kündigung noch; und dass Jobs es ernst meint, hat er bewiesen,
Prozesse hat Apple gewonnen. Sogar Publikationen sind den
Apple-Leuten verboten. Ihren Freundinnen dürfen sie nicht sagen,
woran sie arbeiten, was dadurch erleichtert wird, dass sie es selbst
nicht wissen: Jedes Produkt und jeder Bereich eines Produkts haben
einen Code, Zahlen und Buchstaben, selbst die wichtigsten Ingenieure
kennen nur den Code, und selbst wenn das Produkt fertig ist, kennen
die, die es gebaut haben, zwar den Bauplan, aber nicht das Design.
Der Campus in
Cupertino: ein Hochsicherheitstrakt. Alle hier haben nur die
Code-Karte für jenen Bau, in dem sie gerade arbeiten, schon das
nächste Gebäude ist unerreichbar für alle, nur für Steve Jobs
nicht, der nie eine Karte bei sich trägt, und wenn ihn ein Pförtner
nicht durchlässt, dann fliegt der Pförtner raus.
Die Medienpolitik:
purer Kontrollwahn. Apple spricht mit wenigen, die nicht auf einer
Liste von erwiesenermaßen freundlichen Kritikern stehen. Mag sein,
dass dies den Mythos vergrößert, wie Jobs glaubt, den „Buzz“,
diese weltweite Gier nach Gerüchten, das Flüstern und Rauschen, das
beginnt, wenn nur ein Ingenieur ein neues iPhone in einer Kneipe
liegen lässt. Möglich auch, dass Apple-Jünger die manische
Verschlossenheit für Stärke halten, aber kann das wirklich klug
sein, Anfragen von Kunden, Lieferanten, Politikern und Medien der
Welt nicht mal mit Formbriefen zu beantworten?
Es gibt Tausende
Firmen auf der Welt, die mobile Applikationen entwickeln wollen –
und wenn Apple mal eben beschließt, dass nur noch eine bestimmte
Software dafür benutzt werden darf, dann entzieht Jobs Dutzenden der
Nerds von heute die Grundlagen. Ist Apple nicht längst, was einst
IBM war? Wer wird in der nächsten Krise an der Seite einer Firma wie
dieser stehen? Trifft Selbstherrlichkeit nicht immer den
Selbstherrlichen, irgendwann?
Und wäre ein
Konzern wie dieser nicht noch stärker, wenn er im Innern wie nach
außen halbwegs reif kommunizierte, so richtig erwachsen, mit Zuhören
und Antworten? Oder wenn er die Kunden ernst nehmen würde?
Zu Weihnachten 2008
gingen Rund-Mails in die Welt, in denen Apple darum bat, „ganz
schnell zu bestellen, damit alle Lieferungen pünktlich zur
Bescherung ankommen“; dabei war klar, dass, etwa bei deutschen
Kindern, die Lieferungen nicht mehr pünktlich ankommen konnten, die
Lagerarbeiter wussten das, so gut wie alle bei Apple wussten das.
Nach Weihnachten gab es Tausende Kundenproteste, niemand antwortete.
Und wer,
beispielsweise, ein älteres Mac-Modell besitzt und aus digitalen
Fotos gedruckte Alben machen möchte, landet in einer Falle, von der
die Firma natürlich ebenfalls weiß. Die Falle bringt Geld: Der
Rechner erstellt das Album, was 20 Minuten dauern kann; dann sagt der
Rechner, dass er eine neue Programmversion benötige, iLife, 80
Dollar teuer; und wer nun iLife bestellt und erhält und schließlich
installieren will, erfährt nach dem letzten Klick: iLife kann auf
diesem Rechner leider nicht installiert werden.“
Der Umtausch ist
ausgeschlossen.
Aber ist so etwas
noch wichtig für einen wie Jobs?
Als er wieder anfing
bei Apple, heuerte er Ken Segall an, Kreativ-Direktor der
Werbeagentur TBWA, er erzählte Segall, „wie die Welt Apple
vergessen hat und wie es jetzt als Erstes darum geht, den Geist des
Unternehmens wieder unter die Menschen zu bringen“, so erzählt es
Segall im Frühjahr 2010.
Drei Monate später
laufen die Fernsehspots, sie zeigen Albert Einstein und Martin Luther
King, die angeblich das Gleiche verkörpern wie Apple. Dazu der
Slogan: „Think different“.
„Steve
sagte nur: ,Wir müssen die alten Fesseln abwerfen‘, und war sich
so sicher, dass er darauf das ganze Unternehmen verwettet hätte“,
sagt Segall. „Wenn Steve etwas wirklich will, ist er gnadenlos,
absolut unnachgiebig.“
Im August 1998 kommt
der iMac auf den Markt, das Echo ist riesig, die Verkaufszahlen sind
gut, aber viel wichtiger: Die Fan-Gemeinde lässt sich hinreißen.
Der Apple-Kult lebt wieder, die Kommunikationsidee „Think
different“ macht die Kunden zu Verbündeten, zu Rebellen gegen den
Mainstream, gegen Microsoft und für die eigene Individualität.
Das ist das Image,
und es ist gelogen. Steve Jobs ist kein Rebell mehr: Es geht um
Monopole, Marktbeherrschung, nach der Revolution kommt immer der
nächste Herrscher.
Er ist auch nicht
wirklich ein milder Mensch, nach allem, was zu erfahren ist. Er hasst
Bill Gates. Er war krank, vielleicht ist er es noch, und er hasst die
eigenen jungen, gesunden Angestellten,
das jedenfalls
erzählen junge, gesunde Apple-Leute.
Seine leiblichen
Eltern sind der syrische Politologe Abdulfattah Jandali und die
Amerikanerin Joanne Schieble; Paul und Clara Jobs adoptierten ihn, in
Mountain View und Los Altos an der Pazifikküste wuchs er auf. Steven
Paul Jobs war etwa 30 Jahre alt, als er die Wahrheit erfuhr. Er
begann, seine leibliche Schwester Mona zu suchen, fand sie, sie
wurden Freunde. Dann schrieb Mona einen Roman, „A Regular Guy“,
sie erzählt von einem Multimillionär, der „zu beschäftigt war,
die Toilette zu spülen“, der seinen Ex-Freundinnen Häuser
schenkte, damit sie schwiegen, ein Narziss, der verlangte, dass seine
Geliebten Jungfrauen zu sein hatten. Steve? Es wurde nie dementiert.
Der wahre Jobs war
der Liebhaber ?
der Folksängerin
Joan Baez. Er erzählte, dass er „junge, superintelligente,
künstlerische Frauen“ schätze. 1977 zeugte Jobs eine Tochter,
Lisa, mit seiner damaligen Freundin Chris-Ann, aber von Chris-Ann
trennte er sich, und dann verweigerte er die Anerkennung der
Vaterschaft. Chris-Ann und Lisa lebten von Sozialhilfe, bis Jobs vom
Staat auf Anerkennung der Vaterschaft verklagt wurde. In einem
unterschriebenen Dokument gab Jobs an, er sei steril und unfruchtbar
und deswegen physisch nicht in der Lage, ein Kind zu zeugen. Das
Gericht zwang ihn zu einem Bluttest, der ihn als Vater bestimmte;
lange verweigerte er Unterhaltszahlungen, schließlich schickte er
385 Dollar im Monat.
1991 heiratete er
Laurene Powell, die beiden haben drei Kinder.
Ein ausgeglichenes
Leben? Kann ein Mann, der diese Karriere hinter sich hat, noch
zweifeln? An sich?
Vor etwa zehn Jahren
war Apple 5 Milliarden Dollar wert, heute sind es über 240
Milliarden. Jobs trifft sich mit Bono, dem Sänger, und 2006 bezahlte
Disney 7,4 Milliarden Dollar in Aktien für Pixar, Pamela Kerwins
einstige Klitsche.
VI. Die Soldaten
Die Apple-Kultur ist
konfrontativ und direkt, laut und schroff ist der Umgang, „a
yelling culture“, so sagt es ein junger Programmierer, ein Star der
Firma.
Es gibt zwei
wesentliche Stränge bei Apple, Programmierer und Ingenieure hier und
dort das Management. Man trägt Jeans und T-Shirt, und organisiert
ist das Reich der 34 000 Angestellten in Teams, Gruppen von manchmal
4 und manchmal 25 Leuten, und über die Teams herrschen die
Team-Leiter. Dann kommen die Direktoren, die Vizepräsidenten, die
Executive Vice Presidents, und in einem kleinen Paralleluniversum
gibt es den Verwaltungsrat und die wenigen Kunden und
Vertragspartner, die stark genug sind, Wünsche äußern zu dürfen.
Und über allen thront Jobs.
Es ist viele Jahre
her, da machte Steve Jobs ein Wort populär: „awesome“. Es heißt
„erstaunlich“ oder „grandios“. Heute sagt jeder amerikanische
Teenager „awesome“, es ist ein Massenwort geworden, billig, ein
bisschen eklig. Kann so etwas auch mit den Apple-Produkten geschehen?
„Natürlich
kann es“, sagt der junge Programmierer Michael More (Name
geändert), „in Jahren des Rausches scheint es unvorstellbar, aber
wenn wir zwei Misserfolge haben und wenn Steve stirbt, kann es ganz
schnell gehen.“
Michael More weiß,
wie der iPod entstand, iTunes, das iPhone. Apple-Leute verlassen die
Firma nicht; sie wechseln vertikal, von Team zu Team. More ist noch
jung, aber schon eine Weile dabei, ein bisschen dick, ein bisschen
blass, ein bisschen langhaarig und sehr, sehr gut.
Er sitzt in einem
Café in San Francisco. Er sagt, dass auf gar keinen Fall klar werden
würde, dass er über Apple gesprochen habe: „Wer die
Schweigeklausel bricht, fliegt raus. Kommt auf die schwarze Liste.
Wird nie wieder eingestellt werden. Und gegen die Apple-Anwälte
kannst du nicht gewinnen.“ Die Firma, die der junge Programmierer
beschreibt, ist ungerecht, brutal, manchmal ziellos, dann wieder
scharfsinnig, straff, zugleich kreativ und phantasiegetrieben.
Nie sprach Steve
Jobs mit dem Programmierer, nie auch mit dessen Chef. Was niemand bei
Apple will, ist eine Begegnung mit Jobs im Fahrstuhl, denn dort
stellt Jobs Fragen: Wer bist du, woran arbeitest du, warum brauchen
wir das? Und beim Aussteigen sagt er: „Nein, das brauchen wir nicht
mehr.“
Immer arbeiten
einige Teams im Scheinwerferlicht, also unter Jobs’ Augen, diese
Teams bekommen alle Mittel, alles Geld, alle Zugänge der Welt. Aber
die Scheinwerfer wandern über den Campus. Das bedeutet eine rege
Hauspolitik, viel Gerede, jeder will die Aufmerksamkeit von
irgendwem, und alle wollen seine, Jobs’, Aufmerksamkeit, aber Jobs
will Ergebnisse, nichts als das Ergebnis interessiert ihn wirklich.
Als beste Manager, reine Helden gelten bei Apple jene, die Jobs
besonders oft anbrüllt – und die ihre Untergebenen trotzdem ruhig
ansprechen.
Einer, der lange
dabei war, so lange, bis er gefeuert wurde, ist David Sobotta, und
der sagt, dass die Unsicherheit „systemimmanent“ sei. Sobotta
verkaufte, was in Cupertino entworfen wurde, die Armee, die Nasa und
die Universitäten waren seine Kunden. Heute lebt er in Roanoke,
Virginia, hoch oben auf dem Berg, weit der Blick. „Es zieht sich
durch die Firma“, sagt Sobotta: „Keiner will etwas entscheiden,
weil eine Entscheidung bedeutet, dass Steve sauer werden kann. Es
gibt viel totes Fleisch bei Apple.“
„Dead
meat“, das ist amerikanischer Zynismus, Leute sind gemeint, die
genauso gut arbeitslos sein könnten, niemand würde es bemerken.
Sobotta hat die
grauen Haare über den Schädel gelegt, er hat enorme Ohrläppchen,
er sagt, dass es mal anders war, das waren die Jahre ohne Jobs: „Es
gab die Golden Apple Sales Trips“, Reisen nach Paris, Sydney, Wien,
für die oberen zehn Prozent, die erfolgreichsten Verkäufer. Mit dem
neuen Chef wurde alles anders, besser einerseits, aber andererseits
hieß der neue Chef wieder Steve Jobs. David Sobotta flog mit
Generälen und Professoren nach Cupertino, und niemals gab es einen
Termin, nie das Versprechen, dass Jobs wirklich zu sprechen sei,
immer nur eine Andeutung. „Aber die Generäle flogen hin, jeder
wollte Steve nahe sein“, so Sobotta. Und manchmal erschien Jobs,
„in Shorts und Birkenstocks, unrasiert, und nie beantwortete er
Fragen. Er redete immer über das Thema, über das er gerade reden
wollte. Aber der Raum gehörte ihm. Immer“, sagt Sobotta.
Apple ist eine
Meeting-Firma, ständig tagen sie dort, doch es wird nicht
entschieden, denn dann geht Steve Jobs nach Hause. Er geht denken. Er
hat gelernt, seinen Instinkten zu vertrauen, er hat seit Jahren
nichts anderes gehört, als dass er ein Genie sei. Darum mag er heute
Morgen duschen und ein Projekt beerdigen, das er gestern erst
beschlossen hat. „Keiner weiß, was geschehen wird, bis zu dem
Moment, wenn Steve die Bühne betritt und die Gläubigen anspricht“,
sagt David Sobotta.
Dies sind die
Momente des Ruhmes für die Apple-Armee. Um diese Momente geht es,
denn die Soldaten verdienen natürlich gut, aber nicht überragend;
sie bekommen ihren Sold plus Boni plus Aktien; sie sagen, dass das,
was zähle, die Augenblicke in seinem Licht seien.
Steve Jobs nennt
selten Namen, er sagt: „Dies ist das Team, das das iPhone
entwickelt hat, eine Runde Applaus bitte.“
Sie stehen auf. Sie
drehen sich. Jobs nickt und klatscht. Das ist alles, was sie wollen,
diese fünf Sekunden, dafür haben sie ja seit drei Monaten 20
Stunden pro Tag gearbeitet.
Könnte Apple
erfolgreicher sein, wenn anders geführt würde? Respektvoll,
kommunikativ, modern gar?
Seit Steve Jobs 1997
zu Apple zurückkehrte, schraubte sich der jährliche Umsatz von gut
7 auf knapp 43 Milliarden Dollar hoch. Der Aktienkurs stieg von rund
5 auf über 260 Dollar. 2009 machte Apple einen Gewinn von 8,2
Milliarden Dollar, das sind bei 34 000 Angestellten gut 240 000
Dollar Gewinn pro Mitarbeiter.
34 Jahre nach seiner
Gründung ist Apple kein Computer-Hersteller mehr. Es ist nicht so
einfach zu sagen, was Apple ist, und noch etwas schwieriger zu
erahnen, was Apple künftig sein will: ein Elektronikriese? Erfinder
von Lifestyle-Produkten für das digitale Zeitalter?
Wie Musik
konsumiert, produziert und verkauft wird, all das ist heute anders
als vor zehn Jahren.
Zehntausende Musiktitel passen auf einen iPod, die komplette
Musiksammlung, hosentaschengroß, immer abspielbereit. Konzerne
gingen deswegen in die Knie, iTunes übernahm
die Macht, also
Apple, nirgendwo wird mehr Musik verkauft als in diesem Online-Laden.
Der iPod wurde zu
einem Phänomen, zur „lebensverändernden kulturellen Ikone“, wie
„Newsweek“ drei Jahre nach dem Erscheinen schrieb; da hatte Apple
erst gut drei Millionen iPods verkauft. In den vergangenen drei
Geschäftsjahren waren es 160 Millionen.
Auf so etwas bauen
nun, in Erwartung des iPads, Verlage und Medienunternehmen, die sich
längst ein Wettrennen liefern, weil sie ihre Bücher und Magazine in
elektronischer Form auf dem Gerät anbieten wollen, das Jobs
natürlich „magisch“ und „revolutionär“ nennt.
Auch das iPad wird
nicht einfach ein Geschenk werden für Zeitschriftenkonzerne,
Zeitungshäuser und Fernsehkonzerne. Sie versprechen sich neue Leser
und neue Zuschauer und vor allem endlich neue Einnahmen. Sie alle
hoffen, dass sich auch im digitalen Zeitalter mit den alten Produkten
Geld verdienen lässt. Zeitungen und Magazine bieten Apps für ihre
Print-Ausgaben auf dem iPad an, mit Zusätzen wie auf ihren
Online-Seiten: Videos, interaktive Grafiken. Es soll die Leser
locken, endlich für die digitalen Ausgaben zu bezahlen, vielleicht
mehr als für die Print-Ausgabe.
Die Anzeigenkunden
lockt das alles schon, denn für sie bieten sich Möglichkeiten,
Werbung lebendiger zu machen, interaktiv, mit eingebauten Videos
etwa. 200 000 Dollar für eine Anzeige nimmt „Time“ für seine
ersten iPad-Ausgaben.
Aber natürlich weiß
Jobs das alles, es ist der Grund, warum er das iPad entwickelt hat,
es ist der Versuch, diesmal gleich mehrere Branchen zugleich zu
transformieren und an Apple zu binden. Apple wird mitbestimmen, wie
ein Magazin aussehen muss, damit es auf dem iPad gelesen werden kann,
und wie viel Geld die Verlage dafür nehmen.
Ist ein neuer Markt,
der von Apple dominiert wird, nicht besser als kein Markt?
Es könnte sein,
Jobs’ Konkurrenten jedenfalls sagen das, dass mit dem iPad der
Schlusspunkt der Apple-Dominanz kommt, weil der Markt dann gesättigt
sein wird; damit ginge das Apple-Jahrzehnt zu Ende, aber
wahrscheinlich ist das nicht. Wahrscheinlicher ist, dass das kommende
Apple-Jahrzehnt noch wuchtiger wird als das vergangene, weil die
Firma den Unterhaltungsmarkt im Griff hat, wie niemand sonst, und
sich ständig vermehrt, da sie sich ausbreitet in immer andere, neue
Bereiche modernen Lebens.
Möglich ist auch,
dass es noch eine Weile weiter nach oben geht und dann, ganz abrupt,
die iWelt zusammenbricht. Wenn Steve Jobs zusammenbricht, endgültig.
Und wenn klar wird, dass sein Laden nicht vorbereitet ist auf die
Zeit nach Jobs.
Zum ersten Mal
fehlte Jobs 2004, es war der Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Operation
würde ihn retten, sagten die Ärzte, mindestens zehn Jahre würde er
noch leben. Aber Jobs zögerte. Der Technikpapst traute der
technischen Medizin nicht, Jobs, Zen-Buddhist und Vegetarier,
bevorzugte alternative Methoden. Eine Diät. Die Kügelchen, zu denen
seine Heilpraktiker rieten. Neun Monate lang verweigerte Jobs die
Operation, und während dieser neun Monate diskutierte der
Verwaltungsrat darüber, ob er die Aktionäre über die Krankheit und
auch über die Behandlungsmethoden informieren müsse.
Aber der
Verwaltungsrat besteht aus Leuten, die Steve Jobs verehren. Sie
sagten nichts.
Am 31. Juli 2004
wurde Jobs operiert, am nächsten Tag schrieb er eine E-Mail an die
Mitarbeiter: Er sei lebensbedrohlich krank gewesen, nun sei er
geheilt.
Fünf Jahre später
fehlte er wieder. Er brauchte eine neue Leber, und natürlich bekam
er sie schnell. Von „einem jungen Mann in den Zwanzigern, der bei
einem Autounfall gestorben war“, wie Jobs sagt. Mitte 2009 kehrte
der Herrscher zurück in sein Reich, tat, als sei alles wie vorher;
aber das stimmte nicht.
„Es
hatte sich wie das späte Rom angefühlt“, sagt einer, der in jenen
Phasen dabei war. Kaum war Jobs fort, wurde klar, dass es keine
stabilen Strukturen oder Regeln gab: nicht für die
Produktentwicklung, nicht für die Kommunikation. Senkt Steve den
Daumen, oder hebt er ihn? Das war das Einzige gewesen, was gezählt
hatte.
Nun aber: „Der
Kaiser war krank, und alle Senatoren bewaffneten ihre Privatarmeen
und wollten die Macht“, sagt der Mann, der es wissen muss. Es gab
Racheakte: Jene Leute, die von Jobs bei seinem Wiedereinstieg
mitgebracht worden waren, waren nun, ohne Jobs, Freiwild und
ausgeschlossen von allen Gesprächen, die wichtig waren. „Produkte
wurden angekündigt und zurückgeholt, andere wurden vorschnell
entwickelt und wieder abgeschossen, alles war Hauspolitik.“
Jobs fehlte, und
Apple war eine verunsicherte Ansammlung junger Menschen.
Wenn die Firma ohne
ihn weitermachen muss, so sagt es Andy Hertzfeld, der
Software-Zauberer, dann werde sie zunächst besser werden, weil sie
weniger launisch, daher geplanter handeln würde. Wünsche der Kunden
würden berücksichtigt werden, Apple könnte womöglich wieder so
etwas wie Demut lernen. Nach einer Weile aber, auch das sagt
Hertzfeld, „wird dieser Antrieb fehlen, das bestmögliche Ding zu
erschaffen“. Und Apple könnte eine Firma wie tausend andere Firmen
sein.
Der Boss redet nicht
gern über sich, normalerweise, von Schwächen sagt er sowieso
nichts. Damals in Stanford aber, im heißen Juni 2005, als er im
Stadion zu den Studenten sprach und eine Rede hielt, die wie ein
Geständnis war, erzählte er schließlich seine dritte Geschichte,
die Geschichte von Leben und Tod.
Als junger Mann habe
er ein Zitat gelesen, sagte Jobs: „Wenn du jeden Tag lebst, als sei
er dein letzter, wirst du irgendwann recht haben.“ Seither frage
er sich, ob er tue,
was er tun wollte, falls heute sein letzter Tag sei, und falls die
Antwort „nein“ sei, ändere er den Plan.
Er schluckte. Dann
sagte Steve Jobs, dass er vor einem Jahr um 7.30 Uhr beim Arzt
gewesen sei; die Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs, unheilbar, drei
bis sechs Monate habe er noch, „bringen Sie Ihre persönliche Dinge
in Ordnung“, hätten die Ärzte gesagt. „Ich lebte mit der
Diagnose. Am selben Abend hatte ich noch eine Biopsie.“
Die Ärzte führten
die Schläuche ein, entnahmen Tumorzellen, untersuchten sie, dann
weinten die Ärzte. Eine Operation könne ihn wohl doch heilen, er
sei eine seltene Ausnahme, sagten sie.
Gib es eine Moral?
Es gibt immer eine Moral. „Eure Zeit ist begrenzt. Vergeudet sie
nicht damit, das Leben eines anderen zu leben. Lasst euch nicht von
Dogmen einengen – dem Resultat des Denkens anderer. Lasst den Lärm
der Stimmen anderer nicht eure innere Stimme ersticken. Das
Wichtigste: Folgt eurem Herzen und eurer Intuition, sie wissen
bereits, was ihr wirklich werden wollt.“
Und schließlich
sprach er ein Schlusswort: „Bleibt hungrig. Bleibt tollkühn.“
Zurück |