Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Angriff
auf Noam
In einer
Kleinstadt in Sachsen-Anhalt wird ein jüdischer Junge an einer
Bushaltestelle verprügelt. Warum werden die Hintermänner von vielen
Menschen im Ort gedeckt?
Von Jana Simon,
Zeit, 10.06.2010
Als Noam Kohen am
16. April mit dem Regionalzug aus Naumburg zurückkehrt, ist sein
Leben in Deutschland noch in Ordnung. Es ist 18 Uhr, er kommt vom
Friseur, alles sieht nach einem ganz gewöhnlichen Abend aus. Ein
paar seiner Schulfreunde sitzen an der Bushaltestelle vor dem Bahnhof
in Laucha, Sachsen-Anhalt. Noam setzt sich zu ihnen. Kurz darauf
kommt Alexander P. vorbei. Er ist 20 und trägt Glatze. Ohne Warnung
schlägt er Noam ins Gesicht und brüllt: »Geh zurück, wo du
hergekommen bist. Du Judenschwein!«
Noam versucht zu
fliehen, rennt die Straße hinunter. Alexander P. verfolgt ihn, zerrt
an der Jacke des Jungen, wirft ihn zu Boden, schlägt und tritt ihn.
Sechs Zeugen sehen dabei zu, sie versuchen den Täter stoppen –
»verbal«, wie es später im Polizeideutsch heißen wird. Sie
greifen nicht ein. Bis ein Autofahrer anhält und Noam rettet.
Noam ist vor acht
Jahren mit seiner Mutter und seinem Bruder aus Israel nach Laucha
gezogen. Seine Mutter hatte sich während eines deutsch-israelischen
Sportleraustausches in den Deutschen Olaf Osteroth verliebt. Noam ist
nicht der richtige Name ihres Sohnes, den echten will sie nicht in
der Zeitung lesen. Noam ist 17. Und seine Mutter hat Angst um ihn.
Olaf Osteroth, Noams
Stiefvater, sitzt in seinem Jeep vor dem Bahnhof und zeigt auf den
Tatort. Es regnet, graue Häuser säumen die Straße. Menschen sind
nicht zu sehen. Laucha liegt an der Unstrut, mitten im
Weinanbaugebiet, die Landschaft ist lieblich. Osteroth will gerade
weiterfahren, als ein Auto vor seinem Jeep stoppt. Ein Mann in einem
blauen Arbeitsanzug steigt aus. Der Elektromeister von Laucha. Der
Mann kommt auf Osteroth zu und beginnt zu reden, klagt über zu wenig
Arbeit, zu wenig Aufträge, zu wenig Geld. Den Angriff auf Osteroths
Stiefsohn erwähnt er mit keinem Wort. »Hast du gehört, was
passiert ist?«, fragt Osteroth ihn schließlich. »Ja«, sagt der
Elektriker und schaut weg. Er kennt die Familie des mutmaßlichen
Täters schon lange, einmal hatte er einen Auftrag von einer der
Töchter. »Die hat die Rechnung sofort bezahlt, da kannste nicht
meckern«, sagt er. Darauf wird geachtet in der Kleinstadt. Dass
alles ordnungsgemäß läuft. Osteroth sieht irritiert aus. Für ihn
hat sich alles verändert, für den Elektromeister ist alles gleich
geblieben. Seit eine israelische Zeitung über den Angriff auf Noam
berichtete, klingelt bei Osteroth zu Hause andauernd das Telefon.
Verwandte seiner Frau aus Israel fragen, was in Deutschland los sei.
Warum sie dort blieben.
Wie sollen Osteroth
und seine Frau erklären, dass in Deutschland im Jahr 2010 ein Junge
auf der Straße verprügelt wird, weil er Jude ist?
»Lutz Battke«,
sagt Osteroth. Immer wieder fällt dieser Name in Laucha: Battke.
Alexander P., der Name des mutmaßlichen Täters, rückt dabei fast
in den Hintergrund. Für Osteroth ist Battke die heimliche Hauptfigur
im Ort. Der Mann, der ein Klima geschaffen hat, in dem der Angriff
auf Noam möglich wurde.
Lutz Battke ist
Bezirksschornsteinfeger und sitzt als Parteiloser für die NPD im
Stadtrat und im Kreistag. Die NPD kam bei den letzten Kommunalwahlen
2009 in Laucha auf 13,5 Prozent, das beste Ergebnis in ganz
Sachsen-Anhalt.
Außerdem trainiert
Battke die Fünf- bis Siebenjährigen beim Lauchaer Fußballklub BSC
99, auch Alexander P. spielte für den Verein. Osteroth zieht eine
direkte Verbindung zu Battke: »Die Saat ist aufgegangen.«
Auf der
Internetseite des Klubs halten mehrere Spieler eine Fahne in Rot,
Weiß und Schwarz hoch. Es sind die Farben des Vereins – und der
Reichskriegsflagge. Auf der Fahne steht das Wort audorea , lateinisch
für Sieg. Zweimal pro Woche hat Alexander P. bis vor Kurzem im Klub
trainiert, am Wochenende hatte er Spiele. Alexander P. gehörte
gemeinsam mit Battkes Adoptivsohn zur ersten Mannschaft.
Landesweit bekannt
wurde Battke, als das Landesverwaltungsamt versuchte, ihm aufgrund
seiner politischen Einstellung den Kehrbezirk zu entziehen, damit
aber vor Gericht scheiterte. Die Begründung: Battkes politische
Überzeugungen hätten sich nicht auf seine Berufspflichten
ausgewirkt. Jeder in Laucha kennt Battke, als Schornsteinfeger kommt
er in jedes Haus. Viele sind durch den Fußballverein mit ihm
verbunden. Auch der Elektromeister sagt: »Ich komme mit dem klar.
Zum Geburtstag ruft er mich an.« Und seine rechtsradikalen
Ansichten? »Von dem Scheiß will ich nichts wissen.« Den Angriff
auf Noam könne man Battke nicht anlasten.
Ähnliche Sätze
sagen jetzt viele in Laucha.
Als Olaf Osteroth
vom Bahnhof aus weiterfährt, sieht er bestürzt aus. Von selbst
spricht ihn niemand auf den Angriff an. Von selbst erkundigt sich
auch kaum jemand, wie es seinem Stiefsohn geht. Er muss nachfragen,
er muss daran erinnern. Meist beginnen seine Gesprächspartner, von
ihren eigenen Problemen zu erzählen. Als sei dies eine Erklärung
für das, was in Laucha geschehen ist.
Osteroth ist 47
Jahre alt, er stammt aus Hamburg, seit 1994 lebt er in Laucha. Damals
war er Leiter der Deutschen Luftsportjugend. Er half mit, den alten
Flugplatz wiederzubeleben. Inzwischen betreibt Osteroth eine Firma,
die Heißluftballonfahrten organisiert. Bis zum Überfall hatte er
den Eindruck, er sei gut integriert. Nun muss er der jüdischen
Familie seiner Frau erklären, warum er sie mit ihren beiden Söhnen
ausgerechnet in diese Kleinstadt im Osten geholt hat. Er muss sich
für seinen Wohnort rechtfertigen. Osteroth sieht aus dem
Wagenfenster, Regentropfen laufen die Scheibe herunter. »Das ist
hier die Toskana Deutschlands«, sagt er.
Er hält vor einem
kleinen hellblauen Haus hinter dem Gymnasium der Stadt. Seine Frau,
Tsipi Lev, öffnet die Tür. Sie ist 50, groß, trägt ihre blonden
Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Im Wohnzimmer stehen antike
Holzmöbel, an der Wand hängen Bilder, die sie selbst gemalt hat.
Tsipi Lev hat das Haus und das Land dahinter gekauft, sie wollte in
Laucha bleiben. Seit dem Angriff stellt sie sich selbst die Frage,
die sie von ihren israelischen Verwandten am Telefon hört: Warum
lebst du in Deutschland, im Land der Täter?
Der Angriff auf Noam
erregt wegen ihrer Familiengeschichte besonders viel Aufmerksamkeit
in Israel. Die Familie von Tsipi Levs Vater, Noams Großvater, wurde
aus dem Warschauer Ghetto nach Auschwitz verschleppt und dort
umgebracht. Nur der Vater konnte sich verstecken, überlebte als
Einziger den Zweiten Weltkrieg und wanderte nach Palästina aus.
Seiner Tochter hat er nie viel über seine Vergangenheit erzählt.
Als ein amerikanisches Fernsehteam mit ihm über sein Leben sprechen
wollte, bekam er einen Herzinfarkt, mit 47. Noams anderer Großvater
war Trainer der israelischen Leichtathleten bei den Olympischen
Spielen in München 1972. Er wurde bei der Geiselnahme von
palästinensischen Terroristen getötet. Er starb auch, weil ein
Versuch der deutschen Polizei scheiterte, die Geiseln zu befreien.
Und nun der Angriff auf Noam. »Es war ein Schock«, sagt Tsipi Lev.
»Ich wurde hysterisch. Es kann nicht sein, dass die dritte jüdische
Generation nach dem Holocaust in Deutschland nicht frei auf der
Straße herumlaufen kann.«
Bevor Tsipi Lev 2002
mit ihren beiden Söhnen nach Laucha kam, hatten sie und Olaf
Osteroth lange darüber diskutiert, wo sie leben sollten. Am Ende
entschieden sie sich für Deutschland, das Leben hier erschien
ungefährlicher, friedlicher als in Israel. Anfangs pendelte Lev noch
zwischen Tel Aviv und Laucha. Sie arbeitete als Chefchoreografin der
Makkabiade, einer Art jüdischer Olympischer Spiele in Israel. Jetzt
entwirft Tsipi Lev Schmuck und verkauft ihn auf Märkten überall in
Deutschland. In der ersten Zeit in Laucha, sagt Tsipi Lev, habe sie
sich gefühlt wie in einem »Röntgeninstitut«: Wo sie auch hinging,
stets folgten ihr die Blicke der Einheimischen. In Laucha hatte sich
herumgesprochen, dass sie aus Israel kam. Bis zu dem Überfall auf
Noam habe sie aber nie offenen Antisemitismus erlebt. Jetzt redet
Tsipi Lev öfter von »den Lauchaern«, von »den Deutschen« in der
Pluralform, dann unterbricht sie Olaf Osteroth. Sie fallen sich oft
ins Wort, ihre Stimmen werden laut, überschlagen sich. Sie klagt an,
er beschwichtigt. Eine Familie im Ausnahmezustand. Einig sind sie
sich in ihrer Meinung zu Lutz Battke. »Das Konzept, diese Leute zu
integrieren, ist gescheitert«, sagt Osteroth. Er selbst hat Battke
vor Jahren einmal im Stadtrat erlebt. »Sie als Westdeutscher wollen
uns hier ja erklären, was wir machen sollen…«, ging Battke
Osteroth an, die Stimme theatralisch gehoben. Osteroth hat ihn nicht
ernst genommen. Damals.
Vielleicht haben sie
deshalb auch Noams älteren Bruder fünf Jahre lang beim BSC 99
Fußball spielen lassen. Er war zusammen mit Alexander P. in einer
Mannschaft. Von anderen hörte der Bruder manchmal Sprüche wie:
»Wenn du schlecht spielst, schicken wir dich nach Buchenwald.« Zu
Hause erzählte er davon nichts. Nach dem Abitur zog er schnell in
die Großstadt, nach Berlin. Auch Noam spielte kurz im Verein. Mit
Battke hatten beide kaum Kontakt, er trainiert die Kleinen. Jetzt
denken Tsipi Lev und Olaf Osteroth darüber nach, ob sie zu lange
gewartet, ob sie Battkes Macht unterschätzt haben. »Er gehört aus
dem Verein geworfen«, sagt Osteroth.
Die Kleinstadt und
der Fußballklub, alle Wege führen immer wieder zueinander. Es gibt
kein Entrinnen.
Der Präsident des
BSC 99, Klaus Wege, will nicht mehr über Lutz Battke sprechen und
redet dann doch über ihn. Wege und Battke kennen sich seit Langem.
»Ich sehe menschlich und sportlich keinen Grund, ihn zu entlassen.
Er hat die Gewalttat nicht begangen.« Alexander P. wurde als Spieler
suspendiert. »Wenn er verurteilt wird, wird er aus dem Verein
ausgeschlossen«, sagt Wege und fügt hinzu, dass es von Battke nie
rechtsradikale politische Äußerungen auf dem Fußballplatz gegeben
habe. Wie kann er das wissen? Wege fragt zurück, ob man den Verein
vernichten wolle. Es klingt, als sei Battke der Verein. »Er ist
unser bester Trainer. Wir haben keine große Auswahl, und er hat
Erfolg«, sagt Wege. Außerdem sei die NPD eine legale Partei. »Das
muss die Bundesregierung regeln, nicht der BSC Laucha.« Wie geht es
nun weiter? Klaus Wege schweigt, dann fragt er: »Ja, soll ich jetzt
zurücktreten?« Eher würde der Präsident des BSC 99 Laucha sein
Amt niederlegen, als einen Trainer zu entlassen?
Was ist geschehen in
Laucha? Wie konnte ein NPD-Mitglied sich unentbehrlich machen in
diesem Fußballklub? Wie konnte Lutz Battke ins Herz dieser
Kleinstadt, in die Mitte der Gesellschaft, gelangen?
An der Haustür von
Noams Familie klingelt es, ein junger Mann tritt ein – wuchtiger
Oberkörper, kurze blonde Haare, mächtige Arme: Mario Träbert,
Noams Retter. Wenn er an jenem 16. April nicht gewesen wäre –
Noams Mutter mag diesen Satz nicht zu Ende sprechen, nicht zu Ende
denken. Träbert wollte an jenem Freitagabend noch etwas einkaufen.
Als er in die Straße einbog, die zum Bahnhof führt, sah er, wie
Alexander P. auf Noam einschlug. »Das war keine Kabbelei«, sagt
Träbert. Er bremste und schrie P. an. Der war so erstaunt, dass er
für einen Augenblick von Noam abließ. So konnte Noam in Träberts
Wagen flüchten. Er hatte Schwellungen, einen Fußabdruck auf seinem
T-Shirt, aber keine offenen Wunden.
Warum hat Mario
Träbert eingegriffen? Träbert schaut auf seinen Körper, grinst und
sagt: »Ich bin ein bisschen besser bepackt als andere.« Eigentlich
versteht er auch die Frage nicht ganz, was an seiner Hilfe besonders
sein soll. Träbert ist 28, gerade Vater geworden, wohnt in einem
Nachbarort und macht eine Umschulung zum Kaufmann. Im Rathaus gab es
kürzlich eine Feierstunde zu Ehren des Retters von Noam. Träbert
stand neben dem Innenstaatssekretär von Sachsen-Anhalt, Rüdiger
Erben, und kam sich komisch vor. »Ich habe mich schon gefreut, aber
ich habe etwas getan, was für mich normal ist.« Auf den Fotos von
der Feierstunde steht Träbert in einen grauen Anzug gepresst, drückt
einen Strauß Blumen an seine Brust und schaut verlegen nach unten.
Träbert bekam einen Gutschein über 50 Euro für das Einkaufscenter
»Schöne Aussicht« im benachbarten Leißling. Niemand aus seinem
Umfeld hat ihn bislang auf seinen Einsatz angesprochen. Es gab weder
Zuspruch noch Ablehnung. Nichts. Die Kleinstadt schweigt laut.
Träbert
verabschiedet sich gerade von Tsipi Lev, als Noam aus der Schule
heimkehrt. Er ist groß, kräftig, trägt ein weites rotes TShirt und
setzt sich neben seine Mutter auf das Sofa. Er erzählt nicht gern
von dem Angriff, er möchte kein Vorzeigeopfer sein. Seine Mutter und
sein Stiefvater sprechen für ihn, manchmal werden sie dabei laut,
dann sieht er sie an, als sei ihm alles ein wenig peinlich. Als gehe
es gar nicht um ihn. Noam hat sich kaum gegen Alexander P. gewehrt,
alles ging so schnell, er wurde noch nie angegriffen. Hat sich nun
etwas verändert? Hat er Angst? »Nee«, sagt Noam.
Er wird Alexander P.
und dessen Familie wiederbegegnen – am Bahnhof, im Supermarkt,
irgendwo auf der Straße. Die Wege in einer Kleinstadt führen immer
wieder zueinander. Und der Fußballplatz liegt ganz in der Nähe von
Noams Haus.
Noams Familie hat
einen Monat gewartet, bis sie sich an die Öffentlichkeit wandte. Die
Polizei hatte dazu geraten, damit in Ruhe die Zeugen vernommen werden
konnten. Damit es nachher nicht hieße, die Familie habe Druck
ausgeübt. In Laucha hat das Vorgehen trotzdem zu Irritationen
geführt. Nun heißt es: Warum haben die so lange gewartet? Kann das
überhaupt alles so stimmen?
Nach den ersten
Meldungen in den Medien bekam die Familie viele Anrufe, Mails, Briefe
aus ganz Deutschland. Unbekannte nahmen Anteil, sprachen Mut zu. Aus
Laucha meldeten sich nur drei Menschen. Einer von ihnen war Wilhelm
Ebbinghaus, ein ehemaliger Bürgermeister. Er schrieb: »Ich
verurteile diese Lauchaer Fußballer, die es ermöglichten und
guthießen, dass sich dieser Nazi der Jugend annehmen durfte.«
Die Polizei hat die
Ermittlungen inzwischen abgeschlossen, Noam, Träbert und sechs
Zeugen wurden befragt. »Im Wesentlichen wurden die
Ausgangsinformationen bestätigt«, sagt Jörg Bethmann, Sprecher der
Polizei im Burgenlandkreis. Der Fall liegt jetzt bei der
Staatsanwaltschaft in Halle, sie wird gegen Alexander P. Anklage
wegen Körperverletzung und Beleidigung erheben. Zweimal wurde er
bereits wegen Körperverletzung verurteilt, zweimal wurde gegen ihn
auch wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger
Organisationen ermittelt. Diese Verfahren wurden aber eingestellt.
Alexander P. hat zum Angriff auf Noam bisher nicht ausgesagt, er hat
sich einen Anwalt genommen, Thomas Jauch aus Weißenfels. Mit einer
Zeitung in der Hand hatte er die Kanzlei betreten, auf einen Bericht
über seinen Angriff gedeutet und gesagt, er habe ein Problem. Jauch
sagt, das Gespräch mit seinem Mandanten sei bisher »wenig ergiebig«
gewesen, er warte auf Akteneinsicht. Für ein Interview mit seinem
Mandanten sei es noch zu früh.
Normalerweise landen
die Akten auf dem Tisch der Staatsanwaltschaft in nahen Naumburg,
aber weil diesmal ein politischer Hintergrund vermutet wird, wurden
sie nach Halle weitergegeben. Hans-Jürgen Neufang, Staatsanwalt in
Naumburg, ist Alexander P. gut bekannt: »Wir sind eine kleine
Behörde. Es gibt Namen, die tauchen immer wieder auf. Und das ist so
ein Fall.« Er schaut in seinem Computer nach, findet dort mehrere
alte Vermerke: gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung,
Bedrohung. Auch den Fußballtrainer Battke kennt der Staatsanwalt.
»Wer kennt den hier nicht?«, fragt er. Einmal habe er bei einem
Fußballspiel neben ihm gestanden. »Es hat mir gereicht, was ich da
gehört habe.« Battke habe mit Blick auf einen schwarzen Spieler
gerufen: »Hau den Nigger um.«
Es gibt in Naumburg
und Umgebung viele solcher Geschichten über Battke. Der
Innenstaatssekretär von Sachsen-Anhalt, Rüdiger Erben, erinnert
sich noch daran, als er das erste Mal von Battke hörte. Es muss vor
vier Jahren gewesen sein, als ihm ein Sportfunktionär erzählte,
dass es einen Trainer beim BSC 99 gebe, den die Kinder »unseren
Führer« nennen. Persönlich begegnete Erben Battke am
Volkstrauertag auf dem Weißenfelser Friedhof, wo Erben eine Rede
hielt und Battke mit seinen Mitstreitern versuchte, ihn zu stören.
Auch auf Veranstaltungen, bei denen die Mörder des liberalen
Politikers und Reichsaußenministers Walther Rathenaus verherrlicht
wurden, sei Battke aufgetreten, sagt Erben. Wenn der
Innenstaatssekretär in Laucha nachfragte, hörte er immer nur: »Der
kümmert sich um unsere Kinder.«
Diesen Satz hat auch
Jana Grandi oft gehört. Sie sitzt im Rathaus von Freyburg, einem
Nachbarort Lauchas, blickt auf den sanierten Marktplatz, neben ihr an
der Wand hängt die Karte des Burgenlandkreises. Grandi ist
Bürgermeisterin der Region Unstruttal, zu der auch Laucha gehört.
Sie kennt Battke schon aus dem Stadtrat, da hat sie ihn noch
belächelt. »Inzwischen bin ich sensibilisiert«, sagt sie. Seit
2007 erlebt sie Battke und die NPD im Kreistag, der Fraktionsführer
der Partei trete äußerst aggressiv auf, sagt sie. Battke hingegen
habe in den drei Jahren dort nur einmal etwas gesagt, meist grinse er
einfach. Und dann sagt Grandi: »Ich bin selbst erstaunt, wie lange
der Fußballverein Battke schon gewähren lässt.«
Hätte sie nicht
auch etwas unternehmen können? »Wenn der Staat es nicht
fertigbringt, ihm die Kehrerlaubnis zu entziehen und die NPD zu
verbieten, was sollen wir hier unten dann machen?«, fragt Grandi.
Dann erzählt sie, wie die Region ausblute: Alle Jungen und
Hochgebildeten zögen weg, auch ihr eigener Freundeskreis sei
dezimiert. Und die Kinder von Laucha werden von Lutz Battke
trainiert.
Battke wohnt an
einer der Hauptstraßen von Laucha, im Hof parkt sein Motorroller,
eine braune Schwalbe, darauf kleben Sticker: Ein Herz für Kinder ,
Ein Herz für Deutschland und Unsere Soldaten sind keine Verbrecher.
Die beste Truppe der Welt . Vor der Wohnungstür im ersten Stock
stehen Turnschuhe, ordentlich aufgereiht. Battke öffnet die Tür, er
ist groß, Anfang 50, trägt schwarze Jogginghosen, eine
Vokuhila-Frisur und Hitlerbärtchen. Er grinst, wird schnell sehr
laut und sagt nur, dass er nichts sagen werde. Dabei grinst er noch
immer, als trete er in einer Theaterkomödie auf. Was sagt er zu dem
Vorfall mit dem jüdischen Jugendlichen? Battke knallt die Tür zu,
macht sie wieder auf, ruft: »Was für ein Vorfall? Was gerade in
Palästina passiert, das ist ein Vorfall.«
Als der Fotograf der
ZEIT den Fußballplatz des BSC 99 fotografieren will, übt Battke
dort gerade mit den Kindern. Er verweist den Fotografen des Platzes.
Zuvor holt er sich Hilfe, er ruft den amtierenden Bürgermeister der
Kleinstadt an. Der ist auch Vizepräsident des Klubs. Zur Bestätigung
reicht Battke sein Handy an den Fotografen weiter. Als der das
Gespräch beendet, erscheint auf dem Display als Bildschirmschoner:
ein Porträt von Adolf Hitler.
Wer ist dieser Lutz
Battke, und warum wird er in Laucha nach wie vor geschätzt?
Helmut Schmidt kennt
Battke noch aus DDR-Zeiten. Schmidt ist heute bei der Stadtverwaltung
angestellt, früher spielte er mit Battke zusammen Fußball beim
Vorgängerverein des BSC 99. »Er war ein sehr guter Spieler, überall
einsetzbar«, sagt Schmidt. Sie waren befreundet. Nach dem Mauerfall
verlor Schmidt seinen Job, wurde Platzwart und trainierte eine Zeit
lang gemeinsam mit Battke die Kinder. »Er ist ein sehr strenger
Trainer. Die Kinder stehen wie eine Eins vor ihm.« Bis zum Mauerfall
hatte Schmidt nie rechtsextreme Äußerungen von seinem Freund
gehört, auf dem Fußballplatz sei das auch danach so geblieben. Doch
abends, wenn Battke getrunken hatte, habe er rechtsradikale
Geschichten erzählt. Schmidt sagt, er habe Battke dann einfach nicht
mehr zugehört. »Der hat die Geschichte verschlafen.« Einmal fuhr
er Battke zu einer Kneipe in einen Nachbarort und fand sich auf einer
NPD-Versammlung wieder. Um ihn herum schrien Männer: »Sieg Heil!«.
Danach hat er Battke nie wieder gefahren. Ein anderes Mal wollte
Schmidt ein Kind aus einem Nachbarort in ihre Mannschaft holen. Es
war sehr talentiert, ein Kind mit dunkler Haut. Battkes Reaktion:
»Schwarze spielen bei mir nicht.«
Schmidt kannte auch
Battkes Vater Günter. Der war Gründungsmitglied der NPD im
Burgenlandkreis und starb vor zwei Jahren. Auf der Homepage des
Kreisverbandes der Partei ist ihm eine »Ehrenseite« gewidmet.
Schmidt und Lutz
Battke entzweiten sich 1994. Battke hatte Schmidts Sohn nicht gut
behandelt, und die Schmidts wechselten den Verein. Kurz darauf verlor
Helmut Schmidt auch seinen Job als Platzwart.
Schmidt beschreibt
Battke als Mann mit zwei Gesichtern. Im vergangenen Jahr trafen sich
die beiden zufällig im Wahllokal. Da habe Battke ihm zugezischt: »Du
kriegst deine Strafe auch noch! Dich mache ich fertig in der Stadt!«
Schmidt hatte die Geschichte mit dem schwarzen Spieler der Polizei
erzählt, und Battke hatte es erfahren.
Zu den Eltern der
Spieler aus dem Fußballverein ist Battke stets freundlich. Für sie
ist er der ehrenamtliche Helfer, der sich rührend um ihre Kinder
kümmert. Battke kennt die Großeltern, die Eltern und die Kinder von
Laucha. Zu Ostern oder Weihnachten kann er in der Gaststätte von
Tisch zu Tisch gehen und jede Familie begrüßen. So hat er sich in
die Herzen vieler Lauchaer gegraben.
Lutz Battke handelt
getreu der Strategie der NPD, in Sportvereine, in die
Kommunalpolitik, in »die Mitte des Volkes« vorzudringen. In einer
Broschüre der Partei mit dem Titel Hautnah am Volk steht: »Für die
NPD gibt es keine bessere Außenwerbung als den ordentlichen,
freundlichen und kompetenten Aktivisten, der als Sympathieträger
unserer Sache auftritt. (…) Uns allen muß bewußt sein, daß
Erfolge auf Landes- und Bundesebene eine solide Graswurzelarbeit in
den Gemeinden und Städten voraussetzen. Ohne kommunale Verankerung
lassen sich keine dauerhaften politischen Geländegewinne erzielen.«
Nicht weit von
Battke entfernt, wohnt der mutmaßliche Täter Alexander P. bei
seinen Eltern. Niemand öffnet die Tür, ein Hund bellt. P. macht
eine Ausbildung zum Koch in Naumburg. Die P.s sind eine
alteingesessene Familie in Laucha. Am Ortsrand lebt ein weiterer
Zweig der Familie in einem grauen Haus. Vergilbte Gardinen hängen
vor den Fenstern, drinnen läuft ein Fernseher. Wieder öffnet
niemand. Kurz darauf trifft Lutz Battke in einem weißen
Citroën-Kastenwagen ein. Am Steuer sitzt ein älterer Mann, Battke
selbst hat keinen Führerschein. Er schaut, was vor sich geht. Und
folgt von nun an der Reporterin der ZEIT . Anscheinend will er Macht
demonstrieren, einschüchtern. Battke und sein Fahrer folgen der
Reporterin bis zum Gymnasium. Als sie aussteigt, warten sie, dann
fahren sie weiter. Später steht der Citroën vor dem Haus von
Alexander P..
Vor der Schule
warten ein paar Jugendliche auf den Bus. Einer von ihnen trägt eine
schwarze Bomberjacke und hält schon am frühen Nachmittag eine Dose
Bier in der Hand. Er sagt: »Der Alexander P. ist ein Kamerad von
mir.« Und das »mit dem Juden« finde er gut. Die anderen
Jugendlichen um ihn herum lachen.
Ein Junge sagt, er
kenne Noam. Der sei früher aggressiv gewesen und deshalb vom
Gymnasium geflogen. In vielen Gesprächen in Laucha tauchen jetzt
Gerüchte über Noam auf, werden abgewandelt, Neues wird hinzugefügt.
Die mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt in Halle hatte
Noams Familie gewarnt, dies gehöre zur Taktik der Rechten, im
Nachhinein das Opfer zu diffamieren. Der Direktor des Gymnasiums von
Laucha bestätigt zwar, dass Noam tatsächlich das Gymnasium
gewechselt habe, allerdings wegen Lernschwierigkeiten und auf Wunsch
seiner Eltern.
Der Fußballplatz
und das Vereinsheim liegen gleich neben dem Gymnasium. An der Bande
des Feldes hängen ein paar Werbeplakate. Eins fehlt seit wenigen
Wochen: das der Rotkäppchen-Mumm-Sektkellerei. Seit 1999
unterstützte die Sektkellerei aus dem nahen Freyburg den BSC 99 mit
jährlich etwa 600 Euro. Als ein Journalist der israelischen Zeitung
Ha’aretz nach dem Angriff auf Noam bei der Sektkellerei anrief und
nach Alexander P. und Lutz Battke fragte, wurde am darauf folgenden
Tag die Unterstützung eingestellt und die Bandenwerbung entfernt.
Die Reklame der Heizungs- und Sanitäranlagenfirma Pleitz hängt noch
am Fußballfeld. Die Pleitz GmbH ist ein weiterer Sponsor des Vereins
und einer der größten Arbeitgeber von Laucha. Ihr Geschäftsführer
Olaf Pleitz sagt, er wolle erst die Ermittlungen der Staatsanwälte
abwarten und dann entsprechend reagieren. Was heißt das genau?
»Mensch, das sind Jugendliche. Auf jedem Fußballplatz kloppt man
sich.« Schon Pleitz’ Großvater und Vater spielten im Verein. Die
Familie ist dem Fußballklub seit 100 Jahren verbunden. So etwas
zählt in Laucha. In dem dichten Geflecht aus gewachsenen
Freundschaften spielt Noams Familie keine Rolle. Sie ist zugezogen.
Natürlich kennt Pleitz auch Lutz Battke. »Er opfert sich für den
Fußball auf. Er hat viele Sympathien in der Stadt. Und seine
politische Meinung lässt er auf dem Platz außen vor«, sagt Pleitz.
Zumindest habe er das gehört. Im Augenblick hat Pleitz ein anderes
Problem. Für den Herbst bereitet er ein Fußballturnier vor und weiß
nicht, wie er sich verhalten soll. Nun hat er entschieden: Er lädt
Battke nicht ein, aber auch nicht aus.
Es ist diese
Ambivalenz gegenüber Battke, die das Verhalten der Verantwortlichen
in Laucha prägt. Sie fürchten die Reaktion ihrer Nachbarn.
In der Feierstunde
für Noams Retter Mario Träbert hatte der Bürgermeister von Laucha,
Michael Bilstein, noch klare Worte gefunden. Bilstein sitzt als
Vizepräsident des Fußballklubs im Stadtrat – in Kleinstädten wie
Laucha können auch Vereine und die Feuerwehr für das Gremium
kandidieren. »Wir haben den Fußball als neutrale Zone betrachtet,
das funktioniert nicht«, hatte Bilstein damals öffentlich gesagt.
Wenige Tage später steht Bilstein im Rathaus und will die ZEIT nicht
in seinem Büro empfangen. Er läuft auf dem Flur hin und her und
fühlt sich unwohl. Inzwischen erinnert er sich nicht mehr so gern an
das, was er bei der Feierstunde gesagt hat. Er sei nicht richtig
verstanden worden. »Dieser Vorfall ist nicht gut für die Stadt
Laucha«, sagt er. Der Bürgermeister meint den Angriff auf Noam. Es
klingt, als sorge er sich vor allem um den Ruf seiner Stadt. Was ist
mit Lutz Battke? »Fragen Sie doch mal die Leute auf der Straße, was
die über Battke denken. Die halten ihn für einen Schornsteinfeger,
der ordentlich seinen Job macht und sich als Trainer nichts
zuschulden kommen lässt.« Bilsteins eigener Sohn spielt auch in
diesem Verein. Dann hat der Bürgermeister genug von dem Gespräch,
dreht sich um und eilt davon.
Eines fällt auf
während dieser Recherche: In keinem der Gespräche fällt das Wort
Antisemitismus. Als würden alle hoffen, dass es sich durch Schweigen
auflöse.
Einen Mann gibt es
in Laucha, der immer wieder vor Lutz Battke warnte. Wilhelm
Ebbinghaus ist 67, sitzt in seinem Wohnzimmer und blickt auf eine
riesige dunkelbraune Schrankwand. Ebbinghaus war elf Jahre lang
Bürgermeister, von 1990 bis 2001. Damals gab es NPD-Versammlungen im
Klubhaus, Ebbinghaus hat sie verboten. Immer wieder ermahnte er die
Leitung des Fußballvereins: »Ihr könnt doch nicht so einen Mann
auf die Jugendlichen loslassen.« Und immer wieder reagierte die
Vereinsleitung grantig und unternahm nichts. Nach dem Überfall auf
Noam sieht Ebbinghaus sich bestätigt. »Dass einer wie Battke mit
einer solchen Gesinnung nicht bei der Abseitsregel aufhört, geht
denen nicht in den Schädel.« Ebbinghaus ist nicht sehr vorsichtig
in seiner Wortwahl, er war es nie. Am Ende hatte er viele Feinde in
Laucha und wurde nicht wiedergewählt. Nun sitzt er in seinem
Wohnzimmer und wartet darauf, dass etwas geschieht in seiner alten
Stadt, dass der Verein reagiert.
Darauf warten auch
Noam und seine Familie. Im Prozess gegen Alexander P. werden sie als
Nebenkläger auftreten. Sie wollen kämpfen, und sie wollen in Laucha
bleiben. Vorerst. Auch wenn Noam seine Mutter neulich fragte, woher
dieser Hass komme. Und sie keine Antwort darauf fand.
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