Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Bruderherz
Die Hamburger
Zwillinge Bernardo und Ralfonso de Lemos haben es ein Leben lang so
gehalten: Der eine macht, was der andere nicht kann. Dann kam der
Tag, an dem einer der beiden sterben wollte.
Von Karin
Steinberger, Süddeutsche Zeitung, 28.08.2010
Er sitzt da, ein
Mann wie ein Baum. Vor ihm steht ein großer Becher Grießpudding mit
Kirschsauce. Hinter dem Haus der dunkelgrüne Volvo. Bernd de Lemos
reißt den Becher auf, löffelt den Pudding, stöhnt leise vor Glück,
löffelt weiter, kratzt die Reste der Kirschsauce heraus.
Und? Wo fangen wir
an? Beim Tod oder beim Leben?
Besser beim Leben.
Aber da ist er schon weg, rennt hinein ins Haus, in die alte Scheune,
klettert eine steile Leiter hinauf, da oben wollte er dem Bruder ein
Bad bauen, nordisches, helles Holz, mit Blick über die Vier- und
Marschlande. Weit gekommen ist er nicht, die Fenster sind eingebaut,
sonst ist die Scheune noch Scheune, voller Gerümpel und Staub. Ein
Kruzifix hängt an einem Balken. Er hat es für den Bruder dort
hingehängt, damit er sich nichts antut. Hat ja auch geholfen. Eine
Zeitlang.
Unter dem Kruzifix
stehen Surfbretter voller Taubenkot. Sieht aus, als hätte Jesus mit
Farbe um sich geschmissen, als er gemerkt hat, dass auch er nichts
mehr tun kann.
Bernd de Lemos
schaut aus dem Fenster, das ein Fenster für den Bruder werden
sollte. Alles an ihm ist groß, der Bauch, der Bart, die Gesten. Der
Garten, in den er schaut. Selbst die Tauben im Garten sind groß wie
Rebhühner. Auch die Namen haben sich aufgebläht: Bernardo und
Ralfonso. Hier in Reitbrook lebten sie zusammen, Hamburg-Bergedorf,
die Brüder de Lemos. Hier starb der eine, mit Hilfe des anderen.
Also doch beim Tod?
Nein, nein, noch
nicht. Bernardo de Lemos ist jetzt erst mal mitten im Leben, rennt
die Leiter wieder runter, mit seinem wuchtigen Körper. „Ist halt
gut verteilt bei mir, oben kein Gramm Fett, ist alles runtergerutscht
in die Beine. Nicht unästhetisch, oder?“ Und dann, so aus dem
Nichts, schwärmt er vom Bruder, dem kauzigen Mann, der in der Welt
herumspazierte wie ein Mensch aus einer anderen Zeit. Als hätte ihn
jemand ins falsche Jahrhundert gebeamt. Verhalten, zurückgenommen,
wagnisbegrenzt. Das komplette Gegenteil von ihm, Bernardo de Lemos,
der mit einem Tempo durchs Leben rauscht, das Angst macht. „Seine
Schiene war einfach anders gelagert.“
Es gibt Bilder, da
sitzt Ralfonso de Lemos im Segelboot neben Menschen in lässigen
Segelshirts, und er mit Strohhut, Hemd, Krawatte, Weste, Blazer und
schwarzem Vollbart. Wie aus der Zeit gefallen. Er hat sich immer
angezogen wie eine Zwiebel, noch eine Schicht und noch eine. Hat den
Bruder damit zur Weißglut gebracht, dieses Zwiebelige, Aufgetürmte,
auch in der Sprache. Da legte er auch immer noch einen Satz drauf,
und noch einen, baute Schachtelsatzungetüme, die das schnelle Leben
des Bruders ins Stocken brachten. „Diese gelassene Art, dieses
Getragene, dieses Vibrato, ich sag Ihnen. Ich wusste immer schon beim
ersten Satz, wo er nach dem fünften hinwollte.“
Dann macht Bernardo
de Lemos die Eisentür auf, die von der Scheune hinübergeht in das
Atelier des Bruders. Der Boden ist voller Fotos, ein ganzes
gemeinsames Leben liegt da wie ein Teppich ausgebreitet. 67 Jahre. Er
hat sich durch die Erinnerung durchgekämpft, es sieht aus wie ein
Schlachtfeld.
Schwarz-weiß die
kleinen Zwillingsbrüder, wie sie sich umarmen. Damals waren sie
beide noch vorlaut, nicht zu bremsen. „Eigentlich nicht in den
Griff zu kriegen.“ Daneben der Vater, ehrbarer, hanseatischer
Kaufmann mit Auszeichnungen von der Handelskammer und vom
Patriotischen Bund: „Eine stocksteife Gesellschaft.“ Und dann die
Mutter, russisch schön. „Aber immer etwas zu beleibt.“ Bernardo
de Lemos schaut sich an, seinen Bauch, kichert, wirft Fotos hierhin
und dorthin, wühlt sich durch Berge von Bildern und Alben. Dann hat
er ihn, den Bruder auf dem Boot. „Schau dir das an, wie der späte
Monet, oder der frühe Matisse. Es hat ihn nie gestört, wenn die
Leute geglotzt haben. Er stand über den Dingen.“
Er kniet jetzt auf
dem Boden, wühlt sich durch die Jahre. Die Brüder mit Bart und
ohne, die Brüder mit ihren Frauen, madonnenhaft schön, die Brüder
mit ihren Kindern, mit ihren Häusern. Und dann der Hof in Reitbrook,
den sie sich zusammen kaufen, als sie von ihren Frauen geschieden
sind. Reitbrook im Sommer, im Herbst, die Brüder allein mit sich,
die Espe vor dem Bad leuchtet wie Orangeneis. Dazwischen das Foto von
einem Fuß auf weißem Laken. Totenblass. Größe 46.
„Das
ist der Fuß meines Bruders, als er hier gestorben ist. So
unverbraucht, so jung.“ Er blättert weiter, schreit auf, als er
sich sieht, 1989. „Wie ein abgehobener Inder, guruhaft. Das bin
ich, Bernardo.“ So viele Fotos, so viele Gesichter, chamäleonhaft
viele. Bernardo als Bud Spencer, Bernardo als Terence Hill, Bernardo
als Haile Selassie, Bernardo als Dalí, Bernardo als Hemingway,
Bernardo, der italienische Conte. Bernardo mit D, mit Depression.
„Das war ein echtes Arschgesicht, das ich da hatte.“
Dann Ralfonso mit
35. „Ist er nicht hammerhart schön?“ Doch der Bruder wird immer
seltener. Ralfonso verwaschen, Ralfonso unscharf, Ralfonso aus weiter
Ferne. Er konnte es nicht leiden, fotografiert zu werden. Erst ganz
am Schluss hat er ein Foto von sich machen lassen, vier Tage vor dem
Tod. Bring die Kamera, hat er gesagt. „Das sollte für die Nachwelt
sein“, sagt Bernardo de Lemos. Dann weint er, ganz plötzlich, es
klingt wie ein tiefes Atmen. „In einer solchen Gelassenheit hat er
Abschied genommen, so würdevoll, kein einziges Mal hat er geweint,
immer nur gedankt für alles.“ Er blättert weiter. Ralfonso
blutüberströmt auf seinem geliebten Sofa, feinste Damastware, aus
Texas.
Wie will man Leben
und Tod auseinanderhalten, wenn sich das Sterben über so viele Tage
zieht. Wenn es ein Kampf ist, ein Selbstmord, den der Körper nicht
akzeptiert. Bis der Bruder hilft. Aus Liebe.
Der 22. November
2009 war ein strahlender Novembertag, warm und zuversichtlich.
„Versöhnlich“. Ausgerechnet. Es war der Tag, an dem Bernardo de
Lemos seinem Zwillingsbruder Ralfonso de Lemos beim Sterben half,
weil dieser ihn darum gebeten hatte. Noch nie hat der Bruder dem
Bruder einen Wunsch ausgeschlagen. Wie konnte er also diesen
ablehnen, den wichtigsten?
Im Leben hat
Bernardo de Lemos den Bruder immer überrollt mit seinem Lebenstempo.
Doch jetzt überrollte Ralfonso ihn. Als es ans Sterben ging.
Bernardo de Lemos war doch immer der Erste. Schon bei der Geburt war
er schneller. Erst mit dem zweiten Schrei kam Ralfonso de Lemos auf
die Welt. Das war am 7. Januar 1943, kurz vor Mitternacht. „Ich
hab zu ihm gesagt, Ralfonso, bleib du mal drin, ich guck erst, ob es
sich überhaupt lohnt.“ Sagt er, dann schaut er mit seinen
türkisfarbenen Augen, mit braun-blauen Einspielungen. Er kann es
einfach nicht lassen, das Witzemachen – und das Flirten.
Er hätte schwören
können, dass er auch im Tod schneller ist. Dass er vor dem Bruder
abtreten wird, der immer sagte, komm runter von deinem Tempo, das ist
ungesund. Kein Alkohol, keine Zigaretten. Eigentlich hätte der
Bruder ewig leben müssen. Und er, der Unvernünftige, der das Essen
liebt und den Alkohol, der ins Leben genau so maßlos greift wie in
eine Schüssel. Und der gebeutelt war von Krankheiten: Tumor im
Kleinhirn, Herzrhythmusstörungen, Vestibularisausfall, und D
natürlich, diese grauenhaften Depressionen. Alles Mögliche hat ihn
im Leben fast umgehauen. Aber er lebt.
Dann muss Bernardo
de Lemos aufs Klo. Drei Nieren hat er. Wie der Bruder. Die verdammten
Nieren. Es ist ja nicht nur das ewige Pinkeln. Beim Bruder fing doch
alles an mit einem Prostataverschluss. Im Juli 2009. Das kam dazu,
zur Schlaflosigkeit, die an ihm zehrte. Zum Tinnitus. Und zur D. Die
hatte jetzt auch den Bruder überfallen. Bernardo hat das sofort
gemerkt. Er kannte das, die Watte, die sich um einen legt, die
lähmende Antriebslosigkeit, die totale Programmverschiebung. Er
wusste, nichts ist jetzt schlimmer, als ihn fallenzulassen oder
anzutreiben, so wie seine Frau ihn damals fallengelassen hatte und
antrieb. Er wusste, dass der Bruder Halt braucht. Und Zeit. Einen
Schritt vor, zwei zurück. Bernardo de Lemos nahm sich die Zeit.
D sagt er, nur immer
D.
Bei der Einlieferung
zur Prostataoperation bekam der Bruder einen Herzinfarkt, drei
Bypässe. So ging es weiter: Bethesda Krankenhaus Bergedorf,
Universitätsklinik Eppendorf. Erster Selbstmordversuch mit einer
Rasierklinge, ein Gemetzel an Pulsadern und Oberschenkeln. Ralfonso
de Lemos überlebt. Dann Reha in Bad Segeberg, AlbertinenKrankenhaus,
Reha Plau am See. Er erfährt, dass er rechtshirnig schwer verkalkt
ist und täglich wieder einen Schlaganfall bekommen kann. Bernardo de
Lemos wird im Schnellverfahren zu seinem Vormund erklärt. Eigentlich
gab es keinen Platz für Suizidneigungen, sagt der Bruder. Aber es
kam einiges zusammen.
Dann ein Schrei. Die
Fotografinnenschuhe, beinahe hätte er sie vergessen. Bei einer
Vernissage war das, er fand die Schuhe extravagant, weil sich die
Spitzen lächerlich weit nach oben bogen. Die Lemos-Brüder habe
immer alles Extravagante fotografiert, meist Frauen, das war ihre
Masche. „Wir als Doppelzange.“ Bernardo de Lemos hat die Frauen
angesprochen, ob sie sich vom Bruder zeichnen lassen wollen. Sagten
die Frauen ja, hat Bernardo ein Foto von ihnen gemacht, nach dem
Ralfonso das Porträt gemalt hat. Sie waren immer ein eingespieltes
Team. Ein Künstler-Team.
„Wir
beide allein.“ Sagt Bernardo de Lemos. Unschlagbar waren sie, mit
ihrer Kauzigkeit und Bärtigkeit und raumgreifenden Präsenz. „Ist
doch ganz einfach. Man kann normal gehen, und man kann mit Geste
gehen.“ Er macht das noch immer gerne, wenn er ausgeht, einfach mal
so in den Raum rufen: Ich grüße alle Anwesenden. Oder: Tochter der
Sonne, wollen Sie Rosen? Dann fällt ihm etwas ein, er rennt in die
Scheune, zieht eines der Sakkos an, die ihm sein Bruder geschenkt
hat. Sehr gewagte Sakkos. Dreht sich im Kreis: „Da legst die Ohren
an.“
Dann kniet er wieder
auf dem Boden, starrt das Fotografinnenschuhefoto an, als gäbe es
nichts Wichtigeres. „Klammeraffen waren wir Brüder nie, wir waren
nicht siamesisch veranlagt oder immer Honigkuchen. Nur eines war
klar: Du bist als Bruder das Beste, was mir begegnen konnte. Bernardo
und Ralfonso haben sich genügt. Bis die Frauen kamen.“ Sagt er und
grinst wie ein Junge vom Perser hoch, den er auf den Teppichboden
gelegt hat. Damit man den roten Fleck nicht sieht. Ralfonsos Blut.
Versteht ja keiner,
wie Bernardo de Lemos vom sterbenden Bruder Fotos machen konnte. Wie
Ralfonso da liegt, auf seinem blutigen Sofa, mit dieser wabernden,
immer weiter brodelnden Wunde am Hals. Weiß ja keiner, wie der
Bruder am Morgen rief: Bernardo. Weil ihm die Mütze vom Kopf
gefallen war. Diese Mütze, die ihn vor den Schmerzen schützte, die
er hatte, wenn sein Kopf nicht bedeckt war. Dann hielten die Brüder
sich an den Händen, stundenlang, tagelang. Bernardo, bleib bei mir.
Bernardo, entschuldige. Bernardo, Bernardo.
Versteht ja keiner,
wie Bernardo den toten Bruder hindrapieren konnte. Wie er das weiße
Tuch unter sein Gesicht legen konnte, damit man das vom Blut
verhärtete Hemd nicht mehr sieht, sondern nur noch sein friedliches
Gesicht. Ralfonsos Totenfoto. Bernardos Abschiedsfoto.
Versteht ja keiner,
dass Bernardo hier leben kann, in diesem Raum, in dem der Bruder
starb: Ralfonso, der hier über Tage versuchte, sich das Leben zu
nehmen. Der sich mit Steakmessern in das Herz bohrte und am Hals die
Schlagadern aufschnitt. Aus dem hier langsam das Leben austropfte.
Viel zu langsam. Der flehte, keine Hilfe zu holen. Der
Abschiedsbriefe schrieb, blutgetränkt: „Mein lieber Bernardo, du
bist der beste Zwillingsbruder, den ich mir nur wünschen kann.“
Und in dem er ihn
schließlich um das Letzte bat: Hilf mir beim Sterben.
Das „Finalthema“
nennt Bernardo de Lemos diese letzten Tage zu Hause. Wenn er vom
Finalthema redet, spricht er wie ein Anwalt beim Diktat.
Konzentriert, fehlerfrei und irgendwie leiernd.
Er hat es ja immer
wieder erzählt, wie es war, ganz am Ende. Die Zettel überall. Bitte
kein Notarzt. Das Blut und der Urin aus dem abgerissenen Katheder,
dieser unfassbare Gestank, das tagelange Händehalten. Und dann:
Trance, Ohnmacht, den Dingen nicht mehr gewachsen sein. Er hat es dem
bulligen Polizisten erzählt, der nach seinem Anruf am Montag kam und
ihn ins Gefängnis Bergedorf abführen ließ. Dem Richter in der
Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis. Und später bei der
Verhandlung im Amtsgericht Bergedorf der Richterin. Tötung auf
Verlangen, sein Bruder wusste, dass ihm da einiges bevorsteht. Er hat
sich im Sterben noch entschuldigt dafür, dass er Bernardos Hilfe in
Anspruch nehmen muss.
Bernardo de Lemos
dachte nur immer an das Gesicht seines Bruders, wie er da lag, ganz
friedlich. Nicht verkrampft, nicht schmerzverzerrt. Davor hatte er
die größte Angst. Vor dem Gesicht.
Zehn Monate auf
Bewährung. „Bernardo, du hattest sie alle im Griff“, sagte ein
Nachbar nach der Verhandlung. Vielleicht war es auch der Hut des
Bruders, den er im Gerichtssaal trug. Ralfonso hatte ihn darum
gebeten, um vor der Justiz behütet zu sein. Er schaut, ob man auch
verstanden hat. Be-hütet.
„Leben
kann schön sein“, sagt Bernardo de Lemos plötzlich. Er schreit es
fast. Sein Mantra. Dann holt er Brot, halbfette Margarine,
Rügenwalder, extra alten Gouda und setzt sich raus in den Garten.
Auf dem Tisch wieder ein Fotoalbum. „Bilder aus meinem alten
Leben“, sagt er. Auf manche hat er ein D geschrieben. Weil er ihn
sonst nicht ertragen kann, seinen Depressionsblick, der ihn damals
die Farbe aus den Pupillen stahl und das Leben aus dem Gesicht.
Dann fällt ihm
etwas ein. Er schiebt das Brot in den Mund, kaut und lacht und möchte
am liebsten gleich losreden. Aber die gute Erziehung, das Hamburger
Elternhaus. Er kaut, Rügenwalder, Gouda. Bis alles weg ist. Dann
platzt es aus ihm heraus. „Die Polizei hat übrigens den Schlauch
verhaftet. Der ist jetzt bei der Kripo. Das Tatwerkzeug ist
festgenommen worden, auch der Staubsauger.“ Lacht und lacht, in den
großen Garten hinein, rüber zum „Franzosenhügel“, wo er den
Bart seines Bruders vergraben hat. Weil der es so wollte. Ein
bisschen Asche von ihm solle Bernardo in Reitbrook vergraben, wo sie
so viele Jahre zusammen gelebt haben. Wir beide allein.
Da fiel ihm der Bart
ein. Ralfonsos Bart, den er ihm ein paar Tage vor seinem Tod
abgeschnitten hat. Ach, der Bruder, alles konnte er, zeichnen, kurios
in der Welt herumstehen. Aber seinen Bart, den hatte er nach Meinung
von Bernardo de Lemos nicht im Griff. Bartwucherungen waren das.
Wildwuchs – er hat ihn feierlich verbrannt und die Asche in eine
kleine italienische Urne gefüllt. Die Urne hat er am Franzosenhügel
beigesetzt.
So haben sie es ein
Leben lang gehalten. Der eine macht, was der andere nicht kann. Bart
schneiden. Beim Sterben helfen. Weil ihm das Sterben allein nicht
gelingen wollte: „Jetzt, Bernardo, musst du mir helfen, aber tu mir
einen Gefallen, versuche nicht, mich zu ersticken, wenn ich dann
anfange zu zappeln, das vergisst du bis zum Lebensende nicht mehr.“
An alles hat
Ralfonso gedacht. Wo er doch nicht einmal mehr stehen konnte allein.
Und Bernardo de Lemos hat nachgedacht und sich an einen Feuerwehrmann
im Fernsehen erinnern, wie er erklärte, dass man nur dreimal im
Rauch einatmen müsse, dann falle man in Ohnmacht. Da kam ihm die
Idee mit dem Volvo. Er parkte den Wagen vor der Scheune, schob den
Staubsaugerschlauch in den Auspuff, den gelben Gartenschlauch in den
Staubsaugerschlauch, zog den Schlauch unter dem Kruzifix hindurch zur
Stahltür, zum Sofa, klebte das Schlauchende mit Klebeband an die
Weste des Bruders, die Zwiebellagenweste, dann holte er eine Flasche
Bitter Lemon mit Wodka, hielt den Strohhalm an den Mund des Bruders.
Ralfonso de Lemos trank, schnell und gierig.
Sie beteten zusammen
ein Vaterunser, baten Gott um Verzeihung, weinten, Bernardo de Lemos
küsste Ralfonso de Lemos auf die Lippen, dann zog er ihm die große
Plastiktüte über den Kopf und ging durch die Scheune zum Auto.
Es war 18:33 Uhr,
ein Sonntag, als Bernardo de Lemos in den dunkelgrünen Volvo stieg,
den Motor anließ und Gas gab. 15 Minuten lang. Das war das Letzte,
was er für seinen Bruder tun konnte. Um ihn herum jubelte die Natur,
wie berauscht von sich selbst.
Zurück |