Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Der
Goldhamster
Friedrich
Tiggemann predigt seit Jahrzehnten denselben Anlagetipp: Gold kaufen!
Denn früher oder später werde das Finanzsystem zusammenbrechen.
Lange hielten die Menschen den Hobbyökonomen für einen Spinner. Hat
er womöglich doch recht?
Von Wolfgang
Uchatius, Zeit, 12.08.2010
Der Morgen beginnt
mit einem angekündigten Staatsbankrott. Es ist Mitte Juni, in
Deutschland ist es zu kalt für die Jahreszeit, der
Nachrichtensprecher sagt, nach Griechenland stehe nun auch Spanien
vor der Pleite. Friedrich Tiggemann, zweifacher Handwerksmeister im
Ruhestand, Hobbyökonom und ehemals Besitzer von 31 Kilogramm Gold,
packt sein Kostüm in den Opel Corsa und fährt los. Es verspricht
ein guter Tag zu werden.
Auf einem Parkplatz
in der Altstadt öffnet Tiggemann den Kofferraum. Hattingen an der
Ruhr, eine kleine Stadt zwischen Essen und Wuppertal. Tiggemann sagt,
er sei hier so bekannt wie Coca-Cola. Früher war er auch genauso
beliebt, ein angesehener Unternehmer, ausgezeichnet mit der silbernen
Ehrennadel der Industrie- und Handelskammer für außergewöhnliche
Verdienste um die Wirtschaft. Heute, sagt Tiggemann, hielten ihn die
Leute für verrückt, aber das werde sich jetzt ändern.
Griechenland. Spanien. Euro-Krise. Die Dinge laufen jetzt so, wie er
es immer gesagt hat.
Die ganze Welt wurde
vom großen Crash überrascht. Friedrich Tiggemann nicht. Er hat auf
ihn gewartet, seit Langem schon.
73 Jahre ist er alt,
seine Haare sind so weiß wie sein Hemd, aber seine Stimme ist
kräftig und sein Rücken noch immer gerade. Er holt die Perücke aus
dem Auto, setzt sie auf den Kopf, gewellt ist sie, mit kurzem Zopf im
Nacken. Er bindet den mit Rüschen verzierten Kragen um, schlüpft in
die Weste, zieht den langen grauen Gehrock an. Kein Karnevalsfetzen
aus dem Kaufhaus ist das, sondern fester, gut sitzender Stoff. Beim
Schauspielhaus Bochum hat sich Tiggemann nach einem Kostümverleih
erkundigt, der Qualitätsware führt. Er sagt, ein
Organisationstalent, das sei er schon immer gewesen.
Wie ein gealterter
Schauspieler sieht er aus, auf dem Weg zu seiner letzten großen
Rolle. Eine Komödie könnte es sein, die nun beginnt, wenn die Sache
nicht so ernst wäre, wenn das Stück nicht vom tiefen Fall eines
Mannes handelte und von seinem Versuch, wieder nach oben zu klettern,
ein paar Meter wenigstens. Um gutes Geld wird es gehen, und um
schlechtes, und um die wachsende Furcht vieler Deutscher vor einer
weltweiten Katastrophe. Den ersten Auftritt hat der Graf von Monte
Christo.
Tiggemann hat das
auf den Rücken seines Gehrocks geschrieben, waschmaschinenfest mit
blauer und roter Farbe: Graf von Monte Christo II. Der erste Graf,
der französische, ein Romanheld, war einer, der nie aufgab. Alle
waren gegen ihn, er aber hat gekämpft. Tiggemann sagt, das mache er
jetzt auch: kämpfen.
Er greift sich einen
Packen gelber Flugblätter und läuft los, vorbei an den Hattinger
Fachwerkhäusern, in Richtung Fußgängerzone. Ein paar Straßen
weiter wurde er geboren. Nie ist er weggezogen aus der Stadt, die er
jetzt aufrütteln will. Auf seinen Flugblättern ist ein Bild der
sinkenden Titanic . Daneben stehen Wörter wie Schulden,
Staatsbankrott, Zeitenwende.
Es gibt ziemlich
viel auf der Welt, wofür man kämpfen kann. Friedrich Tiggemann
kämpft für das Geld. Nicht für sein eigenes. Das ist weg. Für das
Geld als solches setzt er sich ein. Tiggemann will es schützen. So
wie andere Leute die Wale verteidigen oder die Menschenrechte.
Wale werden gejagt.
Menschen werden gefoltert. Wer oder was aber bedroht das Geld?
Die Pixel, sagt
Tiggemann, die Bildpunkte. Dazu sei das Geld verkommen, zu einer Zahl
auf einem Monitor. Ein Mausklick, und das Geld überspringt Meere und
Kontinente, verwandelt sich in Aktien und Bonds, in Put-Optionen und
Constant-Maturity-Swaps. Wenn es zurückkommt, hat es sich vermehrt,
falls es gut läuft. Läuft es schlecht, verwandelt es sich weiter,
in Schulden, immer mehr Schulden, und dann reißt es Banken und
Staaten in den Abgrund. Die einzige Rettung: Das Geld braucht eine
neue Gestalt. Seine alte. Es muss sich zurückverwandeln. Das Geld
muss wieder aus Gold sein.
Sagt Friedrich
Tiggemann aus Hattingen an der Ruhr, Graf von Monte Christo II. Und
gibt zu, dass dies dem Unkundigen kompliziert erscheinen mag. Heute
Abend aber, da wird er es erklären.
Tiggemann wird dann
einen großen Auftritt haben. Er hat einen Raum gemietet in einem
Kulturzentrum in Essen, hat eine PowerPoint-Präsentation auf dem
Laptop vorbereitet. Jetzt will er noch ein bisschen Werbung machen.
Deshalb die Verkleidung: damit die Leute ihn sehen, damit sie
aufmerksam werden, die Zettel anschauen, auf denen er seinen Vortrag
ankündigt, Geld, Gold und die Wahrheit, heute Abend, 18 bis 21 Uhr.
Griechenland.
Spanien. Die Euro-Krise. Die Bude werde voll, sagt Tiggemann.
Ein Paar schlendert
an ihm vorbei. Die Frau sagt halblaut zu ihrem Mann: »Der Tiggemann
soll ja jetzt im Wald wohnen.«
Tiggemann betritt
ein Geschäft. Das Schaufenster ist voller Flaschen. Weißwein,
Rotwein, teurer Whisky. Tiggemann will nichts kaufen, er will etwas
verkaufen: sich selbst und seinen Vortrag. Der Mann im Laden rückt
gerade einen Bordeaux zurecht.
»Ach, Herr
Tiggemann.«
»Wollte nur mal
guten Tag sagen.«
Tiggemann hatte
früher selbst einen Laden, ein Blumengeschäft, dazu eine
Baumschule. Mit 24 Jahren bestand er die Meisterprüfung zum
Floristen, kurz darauf die Meisterprüfung zum Gärtner. Zwei
Meistertitel in einem Jahr, das hat bis heute kein anderer in der
Gegend geschafft.
Tiggemann machte
sich selbstständig, pflanzte Hecken und Sträucher, dekorierte
Gräber und Hochzeitsautos, und irgendwann fragte er sich, was ihm
blieb von all der Arbeit.
Geld, natürlich,
ziemlich viel sogar. Tiggemann verstand sein Geschäft, die Leute
kauften. Der Unterschied zwischen ihm und einem gewöhnlichen Gärtner
war, dass er sich folgende Frage stellte: War er wirklich wohlhabend,
oder besaß er nur einen Stapel Papier?
Tiggemann las das
Tagebuch seines Onkels. Weimarer Republik, Frühsommer 1923: Ein
Brötchen kostete auf einmal 350 Mark. Im Spätsommer waren es 20.000
Mark. Im Herbst zehn Millionen. Die Regierung hatte Schulden damals,
ungeheure Schulden. Um ihre Verbindlichkeiten zu bezahlen, ließ sie
die Notenpressen rotieren. Sie machte sich nicht einmal mehr die
Mühe, die Rückseiten der Scheine zu bedrucken. Am Ende gab es so
viel Geld, dass es so wenig wert war wie die trockenen Blätter in
Tiggemanns Baumschule.
Was, wenn das wieder
passierte, fragte sich der junge Gärtner Friedrich Tiggemann? Auch
die Bundesrepublik Deutschland machte ständig neue Schulden. Das
meiste Geld war nicht einmal mehr aus Papier. Nur noch eine Zahl auf
einem Konto. Tiggemann wurde misstrauisch.
An einem Tag im
Herbst 1966 kaufte er zum ersten Mal das, was künftig sein Leben
bestimmen sollte. Das, was keine Maschine der Welt nachdrucken kann.
Gold.
Tiggemann sagt, nach
dem Krieg habe seine Mutter jeden Sommer Obst eingeweckt. Gold sei
wie ein Weckglas mit Birnen. Es ist immer da. Die Birnen verschwinden
nicht. Bis man sie braucht, irgendwann.
Eine
Krügerrand-Goldmünze für 200 Mark war der Anfang. Eine Feinunze
Gold, 31,1 Gramm. Tiggemann vergrub sie in seiner Baumschule unter
der Erde, so wie alle Münzen und Barren, die später hinzukamen.
Gold verrottet ja nicht. Gold übersteht Brände und
Überschwemmungen. Gold besaßen die Menschen schon vor Tausenden
Jahren, bevor es Banken, Bundesregierungen und Gemeinschaftswährungen
gab.
»Tja, das mit dem
Euro kann einem wirklich Angst machen.«
Der Weinhändler
hält Tiggemanns Flugblatt in der Hand. Tiggemann hat ihm von seinem
Vortrag erzählt und davon, dass Griechenland und Spanien nur der
Anfang seien. Der große Bankrott sei unvermeidlich. Der Euro werde
zusammenbrechen, der Dollar auch. Bald werde die Bevölkerung ihr
Brot für Gold kaufen müssen.
Der Weinhändler
runzelt die Stirn. Was soll er halten von diesen Sätzen? Worte eines
Spinners. Oder doch nicht? Man kennt ja die Fakten, fast täglich
stehen sie in der Zeitung. Jede Sekunde wachsen die Schulden des
deutschen Staates um 3500 Euro, inzwischen sind die 1,7 Billionen
überschritten. 1.700.000.000.000 Euro. Wer soll das zurückzahlen?
Was bleibt da noch, außer der Staatspleite?
Vielleicht verhält
es sich mit Tiggemann wie mit den ersten Klimawarnern. Auf die wollte
auch keiner hören, und jetzt schmilzt das Grönlandeis.
Der Weinhändler
legt das Flugblatt auf den Tresen. Er sieht aus, als habe er eine
Sorge mehr. Tiggemann verabschiedet sich. Er sieht aus, als habe er
eine Sorge weniger.
Die Fußgängerzone
ist voll. Die Leute gehen einkaufen, sie sitzen in den Cafés. Ein
paar junge Mädchen kichern an der Ecke, Colaflasche in der Hand,
Strohhalm im Mund.
Man kann das für
ein Indiz halten. Alles halb so schlimm, der Finanzcrash, die
Bankenpleiten, die Euro-Krise. Den Menschen im Land geht es gut. Das
Leben geht weiter, trotz Staatsschulden.
Eine Täuschung,
sagt Tiggemann. Ein letztes Aufbäumen. Es klingt, als wolle er die
so lange herbeigesehnte Krise nicht gehen lassen.
Ein kleiner Mann mit
stattlichem Bauch kommt auf ihn zu. Er scheint sich zu freuen.
»Mensch, Fritz,
lange nicht gesehen!«
»Tach, Helmut.«
»Ich sach dir,
Fritz, ich hab oft an dich gedacht. Wir haben ja immer geglaubt, der
Fritz ist verrückt geworden, aber jetzt, mit dieser Finanzkrise und
dem Euro. Die Banken, die Wall Street, die machen uns doch kaputt. Du
hast recht gehabt.« Tiggemanns Gesichtszüge entspannen sich. Er
lächelt. Er gibt dem Mann ein Flugblatt.
»Na, kommst du?
Heute Abend, in Essen?«
»Klar, Fritz, bin
dabei.«
Tiggemann grüßt
nach links und nach rechts, winkt alten Bekannten, verteilt Zettel.
Er kommt an einer Bankfiliale vorbei. Er sagt, er habe dieser Bank
einmal Blumengestecke geliefert für eine Infoveranstaltung für
Privatanleger. Es war der 21. September 1999, Tiggemann weiß das
genau, er hat den Werbezettel noch zu Hause liegen, der Abend stand
unter dem Motto »Wir beteiligen Sie an den Kursraketen des Neuen
Marktes«.
Als Tiggemann seine
Sträuße lieferte, sagte er dem Mann von der Bank, das werde nicht
funktionieren mit diesen ganzen Internet- und Softwarefirmen, das sei
nur eine Blase, scheinbarer Reichtum, erzeugt von unechtem
Computergeld. Der Mann antwortete: »Herr Tiggemann, Sie verstehen
etwas von Blumen, wir verstehen etwas von Geld.«
Ein paar Monate
später krachte die Börse. Da hatte Tiggemann schon sein erstes Buch
herausgebracht. Das Gold lag ja nicht nur in der Erde unter seinen
Bäumen, es war auch als Gedanke in seinem Kopf. Tiggemann flocht
tagsüber Blumen zu Sträußen, wie die Kunden sie verlangten,
weiß-blaue für Fans des FC Schalke, schwarz-gelbe für Anhänger
von Borussia Dortmund. Abends las er Bücher berühmter
Wirtschaftswissenschaftler. Er besuchte ökonomische Seminare.
Schließlich fing er selbst an zu schreiben.
Das Buch nannte er:
Zinsknechtschaft – Gefahr für Freiheit und Demokratie. Einen
Verlag fand er nicht, also ließ er es auf eigene Kosten drucken.
1000 Stück. 29.000 Mark. Viel Geld damals, aber Tiggemann verdiente
genug. Wobei er es nie behielt, das Geld. Immer kaufte er Gold,
selten als Barren, meistens in Münzform: den kanadischen Maple Leaf,
den chinesischen Panda, den österreichischen Philharmoniker, das
Schweizer Vreneli.
Irgendwo auf der
Welt hatte jemand dieses Gold aus dem Boden geholt. Es war
geschmolzen und zu Münzen gepresst worden. Dann vergrub Tiggemann es
wieder in der Erde.
Bald hatte er
hundert Feinunzen Gold beisammen, bald zweihundert, bald dreihundert.
Tausend Unzen, das war Tiggemanns Ziel. Sein Lebenswunsch. 31,1
Kilogramm Gold.
Im Herbst 1991 hatte
er es erreicht. Der Goldpreis lag bei 350 Dollar pro Unze. Tiggemanns
Schatz war fast 600.000 Mark wert.
Ein Vermögen,
einerseits. Seine beiden erwachsenen Söhne aber sagten: Papa, du
bist verrückt. Seine Freunde erklärten: Friedrich, du spinnst. Leg
das Geld doch vernünftig an, lass dich beraten. Gold bringt keine
Zinsen.
Ich bin vernünftig,
antwortete Tiggemann. Er wollte keinen Berater. Er hatte einen
Spaten. Das einzige Wertpapier, dem er traute, war ein Lageplan
seiner Baumschule, in den er mit Stecknadeln winzige Löcher stach.
Jedes Loch ein Versteck, jeder Pikser eine kleine Goldgrube. Bevor
Tiggemann einen neuen Mercedes kaufte, ging er los und schaufelte
etwas Gold aus dem Boden.
Und Zinsen? Vergesst
eure Zinsen, sagte Tiggemann. Das Scheingeld will bald keiner mehr
haben, der Goldpreis wird steigen. Bald wird mein Schatz doppelt so
viel wert sein wie heute.
Man muss sich den
Friedrich Tiggemann von damals als einen zufriedenen Menschen
vorstellen.
Der Reichtum währte
13 Jahre lang. Im Jahr 2004, der Goldpreis lag bei 400 Dollar, verlor
Friedrich Tiggemann seinen Schatz. Auch sein Haus mit unterirdischem
Schwimmbad, seinen Garten, sein ganzes Leben, wie er es bis dahin
kannte. Seitdem, sagt er, kämpfe er um seine Ehre.
Tiggemann hat sein
Kostüm ausgezogen, ein paar Stunden bleiben noch, bevor er seinen
Vortrag halten wird. Er fährt zu einem kleinen Laden in einem
Hattinger Wohngebiet. Am Schaufenster steht etwas von
Computertechnik. Tiggemann sagt, der Laden sei sozusagen sein Büro.
Von hier aus beobachtet er den Lauf der Dinge, hier verfolgt er, wann
alles auseinanderfliegt.
Ein dicker junger
Mann mit Brille steht hinter dem Tresen. Er hat einen kleinen
Schraubenzieher in der Hand und fummelt an einem rosaroten Gameboy
herum. Auf einem Stuhl wartet ein Mädchen mit rosarotem T-Shirt und
rosaroter Brille.
Der Mann kommt mit
dem Gameboy nicht recht voran. Tiggemann holt ein Notizbuch aus
seiner Umhängetasche. Er findet eine Nummer, tippt sie in sein
Handy. Dann ruft er laut: »Guten Tag, Herr Spannbauer, ein paar
Grüße durch die Leitung vom Friedrich Tiggemann.«
Gerhard Spannbauer
ist Unternehmer und Autor des Buches Finanzcrash. Die umfassende
Krisenvorsorge. Er ist ein Verbündeter. Längst gibt es in
Deutschland Hunderte von Publizisten, Wissenschaftlern,
Vermögensfachleuten, die den finanziellen Untergang herannahen
sehen. Auf den Bestsellerlisten stehen Bücher wie Die
Inflationsfalle oder Der Staatsbankrott kommt!. So wie manche
Umweltschützer der siebziger Jahre eine Welt ohne Bäume
beschrieben, so machen sich die Geldschützer Gedanken über ein
Leben nach dem Crash.
Spannbauer betreibt
einen Onlineshop. Man kann dort Geräte zur Trinkwasseraufbereitung
kaufen und säckeweise Getreide, als Notvorsorge. Heute werde in den
Geschäften ja nichts mehr gelagert, alles werde täglich geliefert,
schreibt Spannbauer in seinem Buch. Wenn morgen der Euro
zusammenbreche, seien übermorgen die Regale leer. Spannbauer bietet
auch eine Armbrust an, zum Schutz gegen Plünderer.
Friedrich Tiggemann
hat einen Plan. Er will nicht nur kleine Vorträge halten, er will
große Seminare geben, mit Zuhörern, die fünfzig oder hundert Euro
Eintritt zahlen. Er hat Kontakt aufgenommen zu Pro Aurum, dem größten
deutschen Edelmetallhändler. Das goldene Pro-Aurum-Gebäude im Osten
von München sieht aus wie ein riesiger Barren. Man kann dort Gold
kaufen, Silber, Platin.
Bei Pro Aurum hat
man Tiggemann gesagt, so ein Seminar sei durchaus möglich, aber
Tiggemann könne nicht allein auftreten, er müsse weitere Redner
mitbringen, renommierte Leute.
»Herr Spannbauer,
ich möchte Sie als Referenten gewinnen«, ruft Tiggemann ins
Telefon. Er erzählt von seinem Vorhaben, spricht von fünfzig,
vielleicht sechzig Besuchern.
»Herr Spannbauer,
der Euro steht auf der Kippe, wir müssen jetzt an die Leute ran!«
Als Tiggemann
auflegt, sagt er, Spannbauer wolle es sich überlegen.
Der junge Mann hat
den Gameboy repariert, er gibt ihn dem Mädchen zurück, dann dreht
er den Monitor auf dem Tresen so, dass Tiggemann ihn sehen kann. Er
weiß, was jetzt kommt.
»Die Goldseiten
bitte«, sagt Tiggemann.
Der Mann tippt:
www.goldseiten.de. Es öffnet sich eine Internetseite mit wenigen
Bildern und viel Text. Die Themen sind dieselben wie auf den
Wirtschaftsseiten der großen Zeitungen. Nur die Meinungen sind
gegensätzlich: Die Leitartikler der Zeitungen sehen den sinkenden
Euro-Kurs und die steigenden Staatsschulden mit Sorge, die
Kommentatoren der Goldseiten mit Genugtuung.
Jetzt, in diesem
Sommer, ist die Zufriedenheit besonders groß. Der Euro ist in den
vergangenen Monaten um zwanzig Prozent gefallen, von einem Ende der
Währungsunion ist die Rede, der Goldpreis ist gewaltig gestiegen,
die Feinunze kostet um die 1200 Dollar. Der höchste Wert aller
Zeiten, Tiggemann hat es kommen sehen. Nie zuvor war die Nachfrage
nach Gold so groß. Bei Edelmetallhändlern wie Pro Aurum stehen die
Leute stundenlang Schlange für eine Münze, die Goldseiten werden
jeden Monat mehrere Millionen Mal angeklickt.
Friedrich Tiggemann
ist nicht mehr alleine.
Tiggemann zieht
einen Rollkoffer über die Straße. Er läuft durch Essen, in zehn
Minuten soll sein Vortrag beginnen. Der Koffer ist schwer, voll mit
Büchern, vor allem seinen eigenen. Tiggemann hat noch ein zweites
Buch geschrieben, vor zwei Jahren, Geldmäuse und Crash-Katze –
Eine sehr ernste Warnung heißt es. Diesmal hat er einen Verlag
gefunden, einen etwas speziellen, in dem sonst Werke über Ufos und
Hellseher erscheinen.
Er hofft, nach dem
Vortrag ein paar Bücher zu verkaufen. Zwar kriegt er nur Papiergeld
dafür, aber er kann sich schlecht in Gold bezahlen lassen.
Tiggemann erreicht
das Kulturzentrum. Der Vortragssaal liegt im ersten Stock. Er zerrt
den Koffer die Treppe hoch, zieht ihn über die letzten Stufen, sein
Atem geht schneller. Tiggemann schaut auf die Uhr, ein paar Minuten
ist er zu spät, er betritt den Raum. Dunkle Wände, gedämpftes
Licht, eine Leinwand, keine Fenster, nichts, was von seinen Worten
ablenken kann. Ideal für einen, der von der Wahrheit erzählen will,
da ist nur ein Problem.
Es ist niemand da.
Tiggemann steht
alleine in dem Saal. Er blickt sich um. Schaut noch mal auf die Uhr.
Da kommt keiner mehr.
Friedrich Tiggemann
sieht jetzt nicht aus wie der Graf von Monte Christo. Er sieht aus
wie ein Schauspieler, dessen letzte große Vorstellung ausgefallen
ist. Er murmelt: »Werbung hab ich doch genug gemacht.«
Ein junger Mann in
Jeans und T-Shirt taucht auf. Er arbeitet hier, organisiert
Ausstellungen und Lesungen. Er sagt, er habe das Flugblatt gesehen,
das lese sich ja ganz interessant. Tiggemann öffnet seinen Koffer,
schenkt ihm sein Buch. Sie reden ein wenig. Tiggemann fragt noch, wie
er den Leiter des Kulturzentrums erreichen könne. Er will versuchen,
das Geld für die Raummiete zurückzubekommen.
In der
Abenddämmerung fährt er nach Hause, in seinem alten Corsa, nach
Hattingen und weiter, hinaus aus der kleinen Stadt. Ein paar
Kilometer Landstraße, dann führt ein Feldweg den Hang hinauf. Links
und rechts wachsen Büsche, in enger Reihe, bis sie auf einmal Platz
machen für ein Stück Wiese. Ein Wohnwagen steht da, ein Tisch
davor, ein paar Stühle. Tiggemann sagt, hier könne man sehen, wie
ein Waldmensch lebt.
Er sperrt die Tür
auf, senkt den Kopf, geht hinein in das, was jetzt sein Zuhause ist.
Eine Kaffeemaschine, ein schmales Bett mit geblümter Decke, ein
Tisch mit Eckbank, einst gedacht für fröhliche Camperrunden, zum
Feiern und Skatspielen. Tiggemann sitzt hier oft, aber er spielt
nicht Skat, er sitzt an seinem Laptop und schreibt Gedanken auf, die
ihm der Computerhändler am nächsten Tag ausdrucken wird. Um ihn
herum stehen Ordner, liegen Mappen, türmen sich Papierstapel. Von
außen sieht es aus wie ein Wohnwagen, innen ist es ein Aktenwagen
mit Bett.
Manchmal sind es
Briefe, die er schreibt. An die Geschäftsführer der Bank, von der
er sagt, sie habe ihm seinen Goldschatz genommen. Seine ganze Wut
fasst er in Verse: »Ich bins, Euer lieber Zins. Begleite Euch Tag
und Nacht, damit Ihr um den Schlaf gebracht.«
Es war das
Computergeld, das ihn ruinierte. Tiggemann kaufte nicht nur Gold. Er
kaufte auch Immobilien. Noch so ein Wohlstand zum Anfassen. Dafür
nahm er Kredite auf, Geld, das auf seinem Konto erschien, das aber
auch die Bank verbuchte: als Forderungen gegen den Gärtner Friedrich
Tiggemann.
Der war unbesorgt.
Er hatte ja das Gold, dessen Preis bestimmt steigen würde. Gold ist
stärker als Pixelgeld, sagte er sich. Auch die Immobilien würden an
Wert gewinnen.
Aber sie gewannen
nicht, oder nicht genug. Am Ende wollte die Bank ihr Geld zurück,
und Tiggemann konnte nicht zahlen. Er war überschuldet, pleite.
Weil die Bank ihn
fertigmachen wollte. Sagt Tiggemann.
Weil er sich zu
sicher wähnte, im Vertrauen auf seinen Schatz. Weil er zu sehr über
das Gold und seine Kraft nachdachte, teure Seminare besuchte, einen
bundesweiten Diskussionszirkel gründete, herumreiste und sich zu
wenig um seine Firma kümmerte. Sagen Leute, die ihn gut kennen.
Am Ende trennte sich
Friedrich Tiggemann von dem, was ihm am teuersten war. Seinem Gold,
den 31 Kilo. Er grub sie aus und verkaufte sie. Es reichte trotzdem
nicht. Dem Markt war das Gold weniger wert als ihm, der Goldpreis war
zu niedrig, noch, er näherte sich gerade erst der 500-Dollar-Marke.
Tiggemann musste Insolvenz anmelden. Sein Haus wurde versteigert,
Tiggemann zog in den Wohnwagen.
Ein paar Jahre
später, und sein Gold hätte ihn gerettet. Hätte Tiggemann bis zur
Pleite von Lehman Brothers, bis zu den Staatsfinanzkrisen und dem
Sprung des Goldpreises auf über tausend Dollar durchgehalten, hätte
er vermutlich alle Verbindlichkeiten begleichen können. Sein Schatz
wäre wertvoll genug gewesen, der große Crash hätte den kleinen
verhindert. Er kam zu spät.
Friedrich Tiggemann
lebt jetzt von 250 Euro Rente im Monat. Den Anspruch hat er in seinen
ersten Berufsjahren erworben, damals, als er noch Angestellter war.
Das Sozialamt gibt dem Mann, der einst 31 Kilo Gold besaß, 110 Euro
dazu, damit er den Hartz-IV-Satz erreicht.
Man kann sagen, er
kam zur falschen Zeit auf die Welt. Ins 19. Jahrhundert hätte
Tiggemann gut gepasst. Damals galt der sogenannte Goldstandard, die
Zentralbanken tauschten jeden Geldschein jederzeit zu einem festen
Kurs in Edelmetall um. Das Papier war Gold wert.
Das Problem dabei:
Regierungen und Banken konnten nur so viel Geld in Umlauf bringen,
wie sie Gold besaßen. Bald war ihnen das zu wenig. Sie mussten
Unternehmen finanzieren, manchmal Panzer kaufen. 1971 lösten die USA
unter dem Kostendruck des Vietnamkrieges als letztes Land die
Goldbindung ihrer Währung. Seitdem bestimmt nicht mehr das Gold
darüber, wie viel Geld es auf der Welt gibt, sondern der Mensch. Die
meisten Wirtschaftsexperten halten das für eine gute Sache: Man
könne sich nicht darauf verlassen, dass irgendwelche Bergleute immer
genauso viel Gold aus den Steinen hauen, wie die Wirtschaft braucht.
Die Experten glauben, die Zentralbankpräsidenten und Regierungschefs
hätten aus den Erfahrungen der Weimarer Republik gelernt. Sie werden
nicht massenhaft Geld drucken, um die Staatsschulden zu bezahlen. Sie
werden der Versuchung widerstehen.
Tiggemann und die
Geldschützer glauben das nicht. Das ist der Unterschied.
Wochen später.
Tiggemann hat keine weiteren Referenten gefunden für das Seminar.
Pro Aurum hat abgesagt. Spanien ist immer noch nicht pleite. Der Euro
hat sich erholt, die Zeitungen schreiben schon vom Ende der Krise. Es
sieht nicht gut aus für Friedrich Tiggemann. Je stärker der Euro,
desto schwächer muss er sich fühlen.
Tiggemann arbeitet
jetzt viel in dem kleinen Waldstück, auf dem der Wohnwagen steht, er
nennt es sein Biotop. Er reißt Brennnesseln aus, legt Wege an, spürt
die Sonne auf dem nackten Rücken. Hin und wieder isst er Radieschen
aus dem eigenen Beet.
Schön hat er es auf
seiner kleinen Wiese. Der Dauercamper Friedrich Tiggemann könnte auf
einem Stühlchen sitzen, in den Himmel blinzeln, abends grillen.
Tiggemann grillt nicht. Er schreibt, denkt nach, schiebt das Geld im
Kopf hin und her. Er sagt, ihm sei nur eines geblieben: den Leuten
das Gold zu erklären. Das sei sein Vermächtnis.
Sein Handy klingelt.
Ein schwäbischer Unternehmer ist am Apparat. Er stellt sich vor als
Edelmetallhändler aus Eislingen bei Göppingen, zwischen Stuttgart
und Ulm. First United heißt seine Firma, nicht so groß wie Pro
Aurum, aber egal. Der Mann ist zufällig auf Tiggemanns Internetseite
gestoßen. Tiggemann hatte sie vor einer Weile von einer Bekannten
entwerfen lassen.
Sie reden über
Münzen und Barren wie Weinkenner über Rebsorten. Im Englischen gibt
es ein Wort für Leute wie sie: Goldbugs. Der Name geht zurück auf
eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe. Irgendwer kam irgendwann auf
die Idee, die Edelmetallinvestoren so zu nennen. Goldkäfer.
Der Unternehmer ist
angetan von Tiggemann. Später wird er sagen, Tiggemann sei so
authentisch, so leidenschaftlich. Er lädt ihn ein, einen Vortrag für
seine Kunden zu halten. In zwei Wochen, in Eislingen. Wenn Tiggemann
bei den Leuten gut ankomme, sei vieles möglich. Er plane da zum
Beispiel ein Seminar in Prag. 150 Teilnehmer, mindestens,
tschechische Finanzfachleute, alles Profis. Da könne Tiggemann
auftreten. Gold sei sehr gefragt in Osteuropa.
Tiggemann läuft
durch die Fußgängerzone von Eislingens Nachbarstadt Göppingen. Es
ist so weit. In wenigen Stunden wird er seinen Vortrag halten. Er
geht auf einen Laden zu, in dessen Schaufenster ein paar Dutzend
Gläser voller Sand stehen. Auf jedem Glas pappt ein Aufkleber.
»Sahara«, »Malediven«, »Acapulco«, »Bahamas«. Darüber hängen
Angebote für Fernreisen.
Tiggemann geht
hinein, er sieht sich um. Links steht ein geschwungener, aufgeräumter
Schreibtisch mit Computer und Grünpflanze, dahinter sitzt der
Mitarbeiter des Reisebüros und blättert in einem Katalog. Der
Besucherstuhl ist leer.
Rechts warten fünf
Leute vor einem kleinen Plastiktisch. Auf dem Tisch stehen eine
elektronische Waage und ein großer Taschenrechner. Daneben liegen
ein Hammer und mehrere Zangen, mit denen man Gold aus ausgefallenen
Zähnen brechen kann.
Die Frau am
Plastiktisch kauft Altgold. Sie ist Untermieterin des Reisebüros und
hat Anzeigen in der Zeitung geschaltet. Tiggemann will sehen, was
sich dahinter verbirgt.
Ein kleiner,
breitschultriger Mann in abgeschnittenen Jeans ist an der Reihe. Er
trägt ein schwarzes T-Shirt und einen schwarzen Pferdeschwanz, in
der Hand hält er eine Goldkette mit Anhänger. Die Frau am Tisch
lässt die Kette durch die Finger gleiten, sie legt sie auf die
Waage, tippt Zahlen in den Taschenrechner.
»35 Euro?«
Der Mann nickt. »Das
Ding lag nur noch rum.«
Es liegt viel Gold
herum in Deutschland. Nicht im Wald wie einst bei Tiggemann, sondern
in Schubladen und Schachteln, als Ringe, Uhren, Armbänder. Der hohe
Goldpreis lockt jene an, die dringend Papiergeld brauchen, und lässt
die Erinnerung an alte Großtanten verblassen. In fast jeder Stadt
sind Altgoldkäufer unterwegs, in vielen Zeitungen inserieren sie.
Tiggemann sieht zu,
wie die Kette in einem Kästchen verschwindet. Er sieht aus, als
denke er an die Weckgläser, als müsse er zuschauen, wie der Mann
sein Eingemachtes an die Schweine verfüttert. Sein Gold gibt er her
für Papier. Tiggemann sagt, es müsse sich noch viel ändern in
Deutschland.
»Geld, Gold und die
Wahrheit« hat jemand auf eine Tafel geschrieben, den Titel des
Vortrags. Tiggemann steht in einem Besprechungszimmer im
Gewerbegebiet von Eislingen. Es sind die Räume von First United.
Überall liegt Gold herum, auf Tischen, Kommoden, Fensterbrettern.
Man muss es anfassen, um zu merken, dass die Münzen und Barren nur
Feuerzeuge, Flaschenöffner oder Schokoladenstücke sind. Die
Schokolade schmilzt gerade. Es ist Abend, aber die Luft ist noch
immer sommerwarm. Die Fenster sind mit Rollläden verdunkelt. Die
Farbe der Rollläden ist gold.
Tiggemann hat seinen
Scheitel nachgezogen, die Krawatte gebunden, seinen Laptop aufgebaut.
Er sieht zu, wie die Gäste hereinkommen, gepflegte ältere
Herrschaften, Kunden des Edelmetallhändlers. Dreißig Leute sind es,
viel mehr wollten kommen, aber mehr passen nicht in den Raum.
Unternehmer sind unter ihnen, leitende Angestellte, Pensionäre.
Wohlhabende Bürger, die sich Gedanken um ihr Geld machen.
Unterhält man sich
mit ihnen, bekommt man Geschichten erzählt von Lehman-Zertifikaten
und staatlicher Verschwendungssucht. Vom Gefühl, betrogen zu werden,
ist die Rede und davon, dass heutzutage niemand mehr verstehe, was
die Banken mit dem Geld ihrer Kunden anstellten.
Also überlegen sie
jetzt, Gold zu kaufen. So wie sie vor Jahren deutsche
Technologiewerte erwarben oder amerikanische Immobilienfonds. Der
Unterschied ist: Wer Aktien und Anleihen kauft, gibt sein Geld
anderen Menschen, Unternehmen, Staaten, damit die es vermehren. Er
nimmt teil am großen Spiel der Finanzmärkte, er glaubt an die Kraft
des Wirtschaftswachstums und den Sieg des Profits über die Pleite.
Wer Gold kauft, hat
diesen Glauben verloren. Die dreißig Männer und Frauen im stickigen
Besprechungszimmer von First United, die Tausenden, die in diesen
Wochen bei den Edelmetallhändlern nach Gold fragen, haben alle eines
gemeinsam: Sie spielen nicht mehr mit. Sie behalten ihr Geld für
sich und verwandeln es in Münzen und Barren. Gold ist Metall
gewordener Systemverdruss, die Kapitalismuskritik einer schweigenden
Minderheit. Anders als die lärmenden Demonstranten auf den
Wirtschaftsgipfeln und Weltbanktagungen wollen die Goldkäfer nicht
die Welt retten, sondern sich selbst, ihren Wohlstand.
Der Chef von First
United geht im Besprechungsraum nach vorn, um Tiggemann anzukündigen.
Er ist Mitte fünfzig, ein Finanzspezialist, der früher bei einer
Versicherung gearbeitet hat. Er sagt, inzwischen gehörten bekannte
Popstars zu seinen Kunden, eine mächtige deutsche
Unternehmerfamilie. Alle wollten sie jetzt Gold.
Der Mann ruft so
laut, als wollte er mit seiner Stimme eine Konzerthalle füllen: »Ich
begrüße ein absolutes Urgestein!« Er geht zurück zu seinem Stuhl,
und Tiggemann steht jetzt allein da vorn.
Er räuspert sich,
bedankt sich, dass er hier sein darf. Er sagt, er habe so viel Kritik
ertragen müssen in seinem Leben, immer hätten alle nur gesagt:
Schau, da kommt der Gärtner. Dann gleitet er langsam ins Thema
hinein. Er spricht frei, ohne Notizen, ohne auch nur einmal »äh«
zu sagen.
Er sagt: »Die
Politiker und Banker behaupten, es gehe wieder aufwärts, aber
aufwärts geht es nur auf dem Rumpf der Titanic, die gerade im Meer
versinkt.« Es ist, als wären die Sätze schon seit Langem in seinem
Kopf. Jetzt können sie heraus.
Tiggemann drückt
eine Taste an seinem Laptop, auf der Leinwand erscheint ein Bild. Man
sieht den Eiffelturm, unter dem Turm steht ein goldener Würfel.
Klein sieht er aus, im Vergleich zu dem mächtigen Eisenbau. Dieser
Würfel käme heraus, würde man alles Gold der Welt einschmelzen,
sagt Tiggemann. Zwanzig Meter Kantenlänge, mehr nicht. »Gold wird
auf alle Zeiten wertvoll bleiben«, sagt er. »Weil es so wenig davon
gibt.«
Nach einer Stunde
steht der Chef von First United auf und unterbricht Tiggemann. Kurze
Pause, fünfzehn Minuten. Den Zuhörern böte sich jetzt die
Gelegenheit zu gehen. Kurz die Beine vertreten und nicht
wiederkommen, ganz einfach.
Sie kommen alle
wieder, zwängen sich in der verbrauchten Luft auf ihre Stühle,
schwitzen ihre Hemden durch und hören Tiggemann eine weitere Stunde
zu. Als er schließlich sagt, dass dies nun das Ende seiner
Ausführungen sei, da fangen sie an zu klatschen, ein langer,
kräftiger Applaus. Gleich wird ein älterer Herr sich zu Wort melden
und sagen: »Herr Tiggemann, Sie haben uns die Augen geöffnet.«
Tiggemann wird Hände schütteln, Bücher signieren, die Leute werden
ihm Komplimente machen.
Vorher aber, noch
während seine Zuhörer klatschen, zieht Friedrich Tiggemann eine
kleine Kamera aus der Tasche. Er hält sie ans Auge, er drückt den
Auslöser, es blitzt, und dann hat er sich ein Bild gemacht, das ihm
keiner nehmen kann. Von dreißig Menschen, die jetzt an die Kraft des
Goldes glauben.
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