Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Die
Rückkehr der Heuschrecke
Auf dem
Filmfestival in Cannes wird Oliver Stone enthüllen, wie sein
Kapitalismus-Thriller "Wall Street" nach 23 Jahren
weitergeht. Darauf wollten wir nicht warten. Ein Setbesuch in New
York, ein neuer Gordon Gekko und die Frage: Ist Gier immer noch gut?
Tobias Kniebe,
Süddeutsche Zeitung, 08.05.2010
Der Mann im
schwarzen Anzug bewegt sich durch die Tische des Galadinners. Blicke
folgen ihm. Augenbrauen heben sich: Den kennen wir doch. Ewig nicht
gesehen. Sieht gut aus für sein Alter. Irgendwie hungrig. Kein Gramm
Fett am Leib.
Er balanciert ein
Whiskeyglas in der Hand, strebt zur Mitte des Saales. Wo die
Schwergewichte sitzen. Die alten Freunde, besonders aber die alten
Feinde. Und ein paar Jungstars, die seinen Namen bisher nur aus
Legenden kannten.
"Guten Abend",
sagt er freundlich und grinst. Ein Grinsen voller Mutwillen,
Sarkasmus, Verachtung - und ungebrochener Energie. Gordon Gekko ist
zurück.
Das ist schon was,
ihn wieder in Aktion zu sehen. Zurück im Spiel, zurückgeholt vom
Regisseur Oliver Stone. Das Scharfe, Gnadenlose, das Michael Douglas
in dieser Rolle schon immer hatte, ist noch etwas schärfer und
gnadenloser geworden. Die Haare sind jetzt fast weiß.
Oliver Stone wirkt
bullig und freundlich dagegen. Ein Schwerarbeiter in Handwerkerhosen
und grauem Sweatshirt, der sich mit einem roten Taschentuch den
Schweiß von der Stirn wischt. Hier am Set in Downtown Manhattan, nur
einen Steinwurf von der echten Wall Street entfernt, dirigiert er den
großen Auftrieb: maßgeschneiderte Smokings, Guccischuhe, großer
Protzuhren-Wettbewerb, die Frauen lebende Marmorbüsten, angeschafft
für genau solche Benefizabende, wo man eine Million in Diamanten an
sie hängen kann.
"Wall Street"
war der Film, der die Mitte der achtziger Jahre entstehende
Raubritter-Mentalität der Broker und Firmenaufkäufer im New Yorker
Finanzdistrikt auf den Punkt brachte - und dann noch ein ziemlich
fettes Ausrufezeichen dahintersetzte. Auch aus einem Gefühl der
Empörung heraus. Zugleich hat der Film, heute einer der wenigen
Klassiker der Dekade, diese Mentalität aber verstärkt und überhaupt
erst sexy gemacht.
Jetzt kommt "Wall
Street II: Money Never Sleeps". Dreiundzwanzig Jahre und
zweieinhalb Systemzusammenbrüche später ist die Premiere in Cannes.
Es musste wohl sein. Und Gordon Gekko, der gnadenlose Profitgeier und
Firmenzerschlager, die Ur-Heuschrecke mit ihrem endlos zitierten
"Gier ist gut"-Motto, ging am Ende zwar unrühmlich ins
Gefängnis - als Figur aber ist er nie ganz aus dem Bewusstsein der
Kultur verschwunden.
Ein prophetischer
Charakter, wenn man so will. Als Prototyp des gewissenlosen
Insiderhändlers kam er weltweit in die Kinos, als die großen
Insider-Skandale der Wall Street noch gar nicht passiert waren. Er
propagierte eine Form von Exzess, der nur im bösesten Erwachen enden
konnte, und das erste böse Erwachen kam schon kurz nach Drehschluss
im großen Crash vom Oktober 1987. "Natürlich hatten wir die
Zukunft nicht vorhergesehen, als wir das damals drehten", sagt
Oliver Stone in einer freien Minute. "Wir spürten nur, dass
etwas grundsätzlich falsch läuft."
Die Szene, die er in
diesem Moment dreht, mit dem neuen, alten, nach vielen Jahren endlich
aus dem Gefängnis entlassenen Gordon Gekko, der wieder mitmischen
will, spielt im Jahr 2008. Der neue Zusammenbruch der Finanzmärkte,
dessen Folgen uns derzeit noch plagen, hat in diesem Skript gerade
begonnen, eine erste traditionsreiche Brokerfirma ist bereits
untergegangen - sie erinnert sehr an das erste reale Krisenopfer,
Bear Stearns.
Trotzdem ist ein
extravagantes Fundraising-Dinner im Gange: alles nur vom Feinsten,
eine Jazzband spielt, und jeder ist da, der Rang, Namen und ein paar
Milliarden zu verwalten hat. "Denken Sie an den Salon der
Titanic , ein paar Minuten vor dem Eisberg", sagt Oliver Stone.
Dazu passt die Location, Broadway 25: eine ehrwürdige Halle, einst
das Hauptquartier der Cunard-Schifffahrtsgesellschaft, riesige
Deckengemälde mit Segelschiffen und Dampferrouten künden noch
davon. Am Ende des Drehtags wird das Gebäude wieder leerstehen.
Oliver Stone ist,
wenn es so etwas in Hollywood überhaupt geben kann, ein aufrechter
linker Filmemacher. In seiner Freizeit plaudert er gern mit
Politikern wie Kubas Fidel Castro oder Venezuelas Volkstribun Hugo
Chávez, und diese Gespräche bringt er sogar als Filmdokumentationen
heraus, um der Propaganda des rechtslastigen amerikanischen
Krawallfernsehens etwas entgegenzusetzen. Allerdings ist Stone auch
ein ausgesprochen kluger Dramatiker. Als solcher wollte und musste er
seinen Bösewicht Gordon Gekko seinerzeit so überzeugend, so
mitreißend, so plausibel wie möglich auf die Leinwand bringen.
Deshalb schrieb er ihm, als Höhepunkt des ersten Films, diese
unvergessene "Gier ist gut"-Rede.
Diese wenigen
Filmminuten sind bis heute die zugänglichste, schärfste und
zugleich unterhaltsamste Zusammenfassung jener Ideologie, für die
sich erst später wirklich der Name Neoliberalismus etabliert hat.
Gordon Gekko setzt seinen Zuhörern diese alte, aber immer noch
hochexplosive Idee ins Gehirn: Dass der Gierige, gerade weil er
einfach nur seinem Egoismus und seinem Materialismus folgt, am Ende
doch Segensreiches in der Welt bewirkt - nur sein endloser Hunger
nach mehr kann eine fettschwabbelnde, behäbige, sicherheitsfixierte
Wohlstandsgesellschaft überhaupt noch in Bewegung halten.
Und der Mann hat
recht! Denkt man noch jedes Mal am Ende seiner brillanten
Argumentation. In der langen Widerlegung, die man im Jahr 2010 darauf
geben kann und die niemand so recht versteht, kommen toxische
Immobilienkredite vor, teuflische Derivate, deren Risiko angeblich
niemand abschätzen konnte, und Kreditausfallversicherungen mit
hanebüchenen Folgekosten, die das ganze System schließlich zum
Einsturz bringen mussten. Die kurze Antwort, die Oliver Stone gibt,
lautet schlichtweg: Quatsch.
Es gibt aber
Menschen, die glauben ihm das nicht. Die entmachten den Schöpfer
zugunsten seiner Figur. Sie verehren Gordon Gekko bis heute.
Hauptsächlich arbeiten sie an der Wall Street.
"Ich kann Ihnen
gar nicht sagen, wie oft ich das schon erlebt habe", erzählt
Michael Douglas zwischen zwei Takes. "Ich sitze in einem
Restaurant, ich will gerade zahlen, da steht so ein Broker oder
Hedgefonds-Manager hinter mir, klopft mir auf die Schulter und sagt:
Danke, Mann. Ihretwegen bin ich an der Wall Street. Gordon Gekko -
he's the man. Dann will ich immer sagen, hey, er war doch der
Bösewicht - aber ich weiß inzwischen, dass es keinen Sinn hat."
Tja, dumm gelaufen.
Besonders wenn man einen Oscar für diese Rolle gewonnen, seine ganze
weitere Karriere darauf aufgebaut hat. Aber jetzt mal Klartext: Warum
musste Gordon Gekko zurückkommen?
Douglas erzählt,
dass die im Knast reformierte Heuschrecke jetzt eine Art
Untergangs-Zikade ist, wie es sie an der echten Wall Street ja auch
immer gibt. Der neue Gekko zirpt vom kommenden Crash. Im Gefängnis
hat er ein Buch mit dem Titel "Swimming with Sharks"
geschrieben - der mit den Haien schwimmt. Untertitel: Warum Wall
Street nun endgültig zu weit gegangen ist. Er verdient ein bisschen
Geld - Peanuts im Vergleich zu seinen früheren Gewinnen -, indem er
diesen warnenden Vortrag vor interessierten Studenten hält. Und dass
er mal "Gier ist gut" gebrüllt hat, daran kann (oder will)
er sich nicht einmal mehr erinnern.
Wie bitte? Kann man
das ernst nehmen? Hat Gekko nicht doch noch drei, vier Tricks in der
Hinterhand? Und warum stört er dann überhaupt dieses Dinner? Da
schaut Douglas verschwörerisch, grinst sein Gekko-Grinsen, verweist
auf seine absolute Verschwiegenheitspflicht. Aber er stellt eine
Gegenfrage, die ungefähr darauf hinausläuft, ob ein Kater je das
Mausen lassen kann. Auf Englisch gibt es diese Redensart allerdings
mit dem Leopard, der seine Punkte nicht verleugnen kann. Was
wesentlich gefährlicher klingt.
Douglas verweist
auch darauf, dass Gekko, trotz seines inzwischen mythischen Status,
nicht allein funktioniert - er braucht einen Schüler, einen
Newcomer, der wenigstens am Anfang moralisch noch nicht völlig
versaut ist. Im ersten "Wall Street" war das Bud Fox,
gespielt von Charlie Sheen. Das Greenhorn. Der von Gekko Verführte,
der dann in letzter Sekunde zu seinen rechtschaffenen
Working-Class-Wurzeln zurückfand. Es kann nicht leicht gewesen sein,
einen Nachfolger für Bud Fox zu erfinden. Wer würde schon, im Jahr
2008, noch unschuldig an die Wall Street kommen? Es gibt ja nur noch
Möchtegern-Gekkos, wohin man auch schaut.
Die Antwort darauf
ist die neue Hauptfigur Jacob Moore, verkörpert von dem agilen
"Transformers"-Bürschchen und Steven-Spielberg-Protegé
Shia LaBeouf. Moore ist als Broker nicht mehr ganz so grün hinter
den Ohren. Er hat, kurz vor dem Kollaps, schon seinen ersten
Millionenbonus eingestrichen. Aber es ist seine Firma, die es als
erste erwischt, und sein Mentor, der deshalb Selbstmord begeht. Da
kann man ja doch kurz ins Grübeln kommen.
Dass er nicht so
dumpf materialistisch ist wie seine Kollegen, zeigt sich auch an
seiner Freundin Winnie. Sie wird von der bezaubernden 23-jährigen
britischen Newcomerin Carey Mulligan gespielt - die gerade mit "An
Education" ihren Durchbruch hatte -, nicht als die übliche
Modeltrophäe, sondern als eine eigenständige Persönlichkeit.
Winnie betreibt eine wichtige linke Politikwebsite à la moveon.org.
Außerdem ist sie Gordon Gekkos Tochter.
Die allerdings, das
erkennt man jetzt,ihrem Vater schwer entfremdet ist. Wenn Michael
Douglas Take für Take zu dem Tisch im Zentrum des Saales vorstößt,
an dem auch Shia LaBeouf und Carey Mulligan sitzen, springt die junge
Engländerin jedes Mal von Neuem auf und stürmt entsetzt aus dem
Blickfeld der Kamera. Den Dialog kann man in diesem Moment nicht
hören, aber es ist klar, dass sie die Gegenwart ihres Vaters nicht
ertragen kann. Umso heikler also, dass Gekko im Lauf des Films dann
Jacob Moores neuer Mentor wird. Vom Handel an der Wall Street ist er
selbst, durch richterliche Auflagen, für immer ausgeschlossen - aber
kann das, was er dem jungen Mann einflüstert, heute trotzdem noch
die Welt verändern?
"Diese Frage
kann ich auf keinen Fall beantworten", sagt Shia LaBeouf, der
viel und schnell redet und vor allem so wirkt, als bewerbe er sich
gerade für den Titel "streberhaftester Jungstar des Jahres".
Zur Vorbereitung auf die Rolle hat er nicht nur Warren Buffett und
Dutzende weitere Finanzmagnaten getroffen, er hat auch für den
Zulassungstest der Wall-Street-Broker gebüffelt - und tatsächlich
bestanden. Jetzt handelt er jeden Morgen selbst, das Brokerhaus
Schottenfeld hat einen Eine-Million-Dollar-Account extra für ihn
eingerichtet. Sein Gewinn in den letzten zweieinhalb Monaten: 300 000
Dollar.
Kein Wunder also,
dass ihm an diesem Nachmittag das Adrenalin aus jeder Pore quillt,
dass er ein leidenschaftliches Plädoyer dafür hält, die Märkte
nicht stärker zu regulieren und die Höhe der Wall-Street-Boni nicht
zu begrenzen. "Ich habe hier viele tolle Menschen kennengelernt,
die keineswegs nur von Gier getrieben werden", sagt er, tief
überzeugt. Der Glaubwürdigkeit seines Spiels vor der Kamera, denkt
man da, kann das nur nutzen.
Shia LaBeouf erzählt
außerdem, dass viele echte, millionenschwere Broker in diesem Moment
auf dem Filmset umherschwirren - als Statisten an den gesetzten
Tischen, sogar als Darsteller in kleineren Rollen. Das Zauberwort
Oliver Stone hat gereicht, sie alle anzulocken - und man ahnt, was
sie denken: Könnte hier ein neuer Klassiker entstehen, von dem Wall
Street wieder zwanzig Jahre lang zehren wird? Und wie ließe sich das
gegenwärtige Imagetief überwinden - wenn nicht mit Gekkos
ungebrochenem Überlebenswillen?
"Das passiert
mir nicht noch einmal", sagt Oliver Stone und lacht. "Ich
konnte diesen neuen Film überhaupt erst drehen, weil es den
Zusammenbruch gab. Vorher wäre es darauf hinausgelaufen, Schweine zu
glorifizieren." Aber mehr zur Moral, zur Stoßrichtung von "Wall
Street II" ist ihm dann nicht zu entlocken. Auch Michael Douglas
nicht. Der redet lieber von der Wirklichkeit und seiner Theorie der
Krise: "Diese Vision, dass jeder ein Haus besitzen sollte, auch
jemand, der praktisch nichts verdient - das ist die größte Lüge,
die den Menschen verkauft wurde. Damit fing es wirklich an. Und dann
wollten die Banken plötzlich selbst wie Hedgefonds sein, sie wollten
dieselben Gewinne und dieselben Risiken eingehen. Das muss die
Politik jetzt regulieren, und dann wird alles besser werden."
Ist er denn selbst von der Krise getroffen, oder wenigstens sein
Investment-Portfolio? "Oh yeah", sagt Michael Douglas
leise, und auf einmal sieht man ihm seine 66 Jahre doch an. "Mich
hat's wirklich bös' erwischt."
Der Mann, der
schließlich die Frage beantwortet, was Wall Street selbst zu der
ganzen Sache sagt, ist Anthony Scaramucci, 45 Jahre alt. Er sieht ein
bisschen zu gut und zu jungenhaft enthusiastisch aus, um ganz ernst
genommen zu werden. Vielleicht ist er deshalb hier. In der Szene
zuvor musste er kurz bei Shia LaBeouf am Tisch vorbeikommen und mit
ihm plaudern, er ist also mehr als ein Statist. "Sehen Sie das
Sponsoring-Logo dort oben?" fragt er. "Das ist meine Firma.
Ich unterstütze Oliver Stone zu hundert Prozent."
Tatsächlich prangt
an der Stirnseite der Halle, passend zu einem Fundraising-Dinner,
sein Schriftzug "Skybridge Capital" - real ist das eine Art
Thinktank, der neue Hedgefonds-Ideen finanziert. Was auch heißt,
dass Scaramucci, früher ein höheres Tier bei Goldman Sachs,
persönlich mehr als 80 Millionen Dollar schwer ist. Weiß er nicht,
was Oliver Stone hier vorhat? Dass er endlich richtigstellen will,
was beim ersten "Wall Street" irgendwie aus dem Ruder lief?
Da wird Scaramucci sehr philosophisch. "Kennen Sie ,Demian` von
Hermann Hesse?", fragt er. "Gerade das, was schlecht für
uns ist, sagt Hesse, ist zum Teil eben immer auch gut."
Der Dreh geht noch
weiter, als der Reporter schließlich in die Nacht entlassen wird.
Draußen vor der Tür, auf seinem Dreieck aus Pflastersteinen, steht
der Goldene Bulle des Bowling-Green-
Parks. Die Hörner
gesenkt, angriffslustig wie immer. Und doch auch für immer
festgefroren, mitten in seiner Angriffslustigkeit.
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