Diese Reportage wurde als "Beste Reportage" beim Deutschen Reporterpreis 2011 ausgezeichnet.
Neulich habe ich mir eine Streubombe gekauft, sie heißt CBU-105. Es ist ein amerikanisches Modell, olivgrün, fast zweieinhalb Meter lang und 421 Kilogramm schwer. Das Besondere an dieser Bombe ist, dass sie nicht explodiert. Sie öffnet sich nur. Sie gleitet durch die Luft, der Stahl springt auf, und heraus fliegen vierzig kleine Sprengkörper, flach und rund, kaum größer als Eishockeypucks. Sie heißen Bombletten.
Im Internet habe ich ein Video über meine Bombe gefunden. Man sieht darauf Panzer, die lautlos auf einen zurollen. Es gibt dieses Video in verschiedenen Versionen. Die Bilder sind dieselben, nur der Text ändert sich. Mal ist von Irakern die Rede, die in den Panzern sitzen, mal von Pakistanern, einmal heißt es nur: die Feinde. Jedes Mal aber ist es ein einzelnes Flugzeug, das die Rettung bringt. Die Rettung ist meine Bombe. Sie öffnet sich, verstreut die Bombletten in der Luft, die Panzer explodieren. Am Ende erscheint ein Satz auf dem Bildschirm: »Eine Bombe, viele Ziele.«
Naser Aayash ist auf dem Video nicht zu sehen.
Er ist ein 39-jähriger Mann, der in einer kleinen Stadt im Süden des Libanon lebt, sie heißt Harouf. Aayash hatte dort früher eine Autowerkstatt. Er hämmerte an Achsen und Ölwannen herum, das Geschäft lief gut. Hinter der Werkstatt steht ein Haus, dort wohnte Aayash mit seiner Frau, seiner Mutter und seinen drei Kindern. Das war sein Leben, damals.
Ich traf Naser Aayash, als ich mehr über die Art von Bombe herausfinden wollte, die ich mir angeschafft hatte. Die Stadt Harouf ist ein guter Ort dafür. Es ist von dort nicht weit bis zur israelischen Grenze, nicht weit zu der Stelle, an der die islamistische Hisbollah-Miliz am 12. Juli 2006 mehrere israelische Soldaten tötete und zwei weitere in den Libanon entführte. Wenige Stunden danach stiegen die ersten Kampfflieger auf. Die Israelis nannten es »Operation gerechter Lohn«.
Die Flugzeuge feuern Raketen und werfen Streubomben. Eine Bombe, viele Ziele. Die Bombletten durchschlagen Fenster und Dächer, sprengen Löcher in Mauern, zerstören Autos. Oft fallen sie nur auf die Erde und bleiben liegen.
Nach vier Wochen ist der Krieg vorbei. Es herrscht wieder Frieden in Harouf. Naser Aayash dankt Gott und ruft seine Familie an. Während der Bombardements hat er seine Frau und seine Kinder zu seinem Bruder in die Hauptstadt Beirut geschickt, dort waren sie sicher. Jetzt kommen sie zurück.
Ein paar Tage später, am Morgen des 18. August 2006, setzt sich Naser Aayash in seinen Wagen und fährt an die Küste. Es ist warm, die Sonne lässt das Meer leuchten. Es ist ein Bild, das zum Frieden passt. Aayash will einen Freund besuchen. Sie wollen ihr Überleben feiern.
Auf dem Weg kommt er an einem Haus vorbei, es steht auf einem Feld. Das Dach ist eingestürzt, von Bomben getroffen. Aayash will sich den Schaden ansehen, er kennt das Haus, ist oft daran vorbeigefahren. Er steigt aus, geht einen Schritt zum Straßenrand. Hohes Gras wächst dort, auf brauner Erde, dicht stehen die Halme. Aayash beachtet sie nicht, es ist ja nur ein Acker, erst später wird er sich erinnern, sich fragen, warum er nicht gesehen hat, was da auf dem Boden lag. Jetzt aber geht er weiter. Der zweite Schritt. Der dritte. Dann bricht das Feuer aus ihm heraus.
So beschreibt er es, heute, fünf Jahre später, auf dem Sofa sitzend, bei verdunkelten Fenstern, an einem sonnigen Frühlingsvormittag in der Stadt Harouf, zu einer Uhrzeit, zu der er früher bei der Arbeit war, in der Werkstatt, die es nicht mehr gibt. Einer seiner Nachbarn wird später erzählen, Aayash sei der beste Sportler der Stadt gewesen. Fast zwei Meter hoch konnte er springen und den Handball werfen wie kein Zweiter. Jetzt sitzt er da und raucht, und an der Wand lehnen die Krücken.
Aayash beugt sich nach vorn. Ob ich ihn fotografieren dürfe, habe ich gefragt. Er sagt, er wolle sich nicht selbst als Krüppel sehen. Nur von seinen Beinen solle ich ein Bild machen, die sollten die Leute sich anschauen.
Er zieht die Socke von seinem Stumpf, dort, wo früher sein rechter Fuß war, der Fuß, der auf die Bomblette trat. Er zeigt den linken Fuß, der an einem seltsam dünnen Bein hängt, weil die Bombensplitter ihm die Muskeln zerrissen. Vor ein paar Wochen haben die Ärzte ihm wieder ein Stück Metall aus dem Fleisch geschnitten, es war die 21. Operation in viereinhalb Jahren.
Nach Schätzung der Vereinten Nationen enthielten die Streubomben, die auf dem Südlibanon niedergingen, vier Millionen Bombletten. Etwa eine Million prallten auf dem Boden auf, ohne zu detonieren. Manche Blindgänger sind kugelrund, nicht größer als Tennisbälle. Andere erinnern an kleine Getränkedosen, wie man sie in Flugzeugen bekommt. Selten enthalten sie mehr als dreißig Gramm Sprengstoff, genug, um einen Menschen zu töten oder ihn zu verstümmeln.
Naser Aayash zieht die Socken wieder über die Narben. Er setzt zu einem Satz an, bricht ab, zieht an der Zigarette, als könne der Rauch seine Gedanken ordnen. Dann sagt er: »Was ist das für eine Waffe, die den Frieden zum Krieg macht?«
Es ist nicht so, dass ich nichts von Streubomben wusste, als ich die erste Rate für die CBU-105 überwies. Im Gegenteil, im Mai 2008 sah ich im Fernsehen einen Bericht über eine Demonstration von Streubombenopfern. Es waren Krüppel aus der halben Welt. Sie hielten schwarze und gelbe Arme aus Styropor in die Höhe, die abgerissene Gliedmaßen symbolisierten. Mit dicker Farbe hatten sie die Namen ihrer Heimatländer aufgemalt. Äthiopien, Irak, Afghanistan, Serbien, Vietnam, Kambodscha, Kroatien, Libanon. Es sind 36 Länder, in denen Menschen durch Streubomben starben.
Der Grund für die Demonstration war eine internationale Konferenz. Die Vertreter von 107 Nationen trafen sich in der irischen Hauptstadt Dublin, um über Streubomben zu diskutieren. Man kennt das von Klimaverhandlungen: Erst reden alle von dringendem Handlungsbedarf, dann schließen sie einen Vertrag, der zu nichts verpflichtet.
Diesmal war es anders.
Es ist verboten, Streubomben einzusetzen. Es ist verboten, sie weiterhin zu lagern. Es ist verboten, sie herzustellen oder ihre Herstellung zu unterstützen. So steht es heute in den Paragrafen der internationalen Streubomben-Konvention.
Ich weiß noch, wie ich mich ärgerte, dass Militärmächte wie Russland, Indien, Israel oder die USA das Abkommen nicht unterschrieben. Ich war ein wenig stolz, als der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier seinen Namen unter den Vertrag setzte. Steinmeier sagte damals: »Wir wollen ein starkes Signal an andere Staaten senden, unserem Beispiel zu folgen.«
Als Deutscher hatte ich das Gefühl, auf der Seite der Guten zu stehen. Knapp drei Jahre später stieg ich selbst in das Geschäft mit den verbotenen Waffen ein – mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung.
Es war Herr Krüger, der mir die Bombe verkaufte. Ein sympathischer älterer Herr, sorgfältig frisiert und gekleidet, mit Nadelstreifenanzug und Einstecktuch. Er parkte seinen braunen Smart vor der Tür und besuchte mich in meiner Wohnung. Bevor er den Mantel auszog, fragte er, ob er ablegen dürfe.
Krüger, der in Wirklichkeit anders heißt, hatte nicht viel dabei, ein paar Unterlagen, einen teuren Tintenroller, einen Block, auf dem sein Name stand. Später fand ich heraus, dass er sehr viel Kriegsgerät im Angebot hat: Panzer, Flugzeuge, Granatwerfer. Krüger sprach nicht darüber.
Das liegt wohl daran, dass Herr Krüger gar nicht weiß, was er alles verkauft. Auf seiner Visitenkarte steht nicht Waffenhändler. Da steht: »Deutscher Ring«.
Der Deutsche Ring ist ein Versicherungsunternehmen. Es wurde 1913 in Hamburg gegründet, gehört heute aber größtenteils dem Schweizer Versicherungskonzern Baloise. Beim Deutschen Ring kann man sich gegen fast jede Unbill des Lebens versichern, egal ob Unfall, Feuer, Diebstahl, Arbeitslosigkeit oder Wasserschaden.
Mir ging es um meine Altersvorsorge. Ich wollte eine private Rentenversicherung abschließen, eine sogenannte Riester-Rente. Die funktioniert so: Man zahlt jeden Monat einen kleinen Teil seines Gehalts ein, und der Staat gibt einen festen Betrag dazu. Steuerlich absetzbar ist das Ganze auch noch. Man bekommt also zweimal Geld geschenkt. Ich hätte mir so eine Altersvorsorge schon früher zulegen sollen.
Auf den Deutschen Ring kam ich, weil ein Bekannter dort versichert ist. Auch Fachzeitschriften haben das Unternehmen mehrfach für seinen guten Service und die günstigen Tarife ausgezeichnet. Also erkundigte ich mich nach einem Vertreter des Deutschen Rings in meiner Nähe. Es ist Herr Krüger.
Die Versicherung, die er mir anbietet, heißt RingRiesterAktiv top3. Die genauen Konditionen erläutert mir Krüger in meiner persönlichen Kundenmappe. Mein monatlicher Beitrag liegt demnach bei 162,17 Euro, zu überweisen an den Deutschen Ring. Die staatliche Zulage beträgt 154 Euro im Jahr, plus 800 Euro Steuerersparnis.
Zu Rentenbeginn in 26 Jahren hätte ich dann bei durchschnittlicher Konjunkturentwicklung etwa 100.000 Euro zur Verfügung, rechnet mir Krüger vor. 25.000 Euro bekäme ich vom Staat geschenkt. Mir erscheint das als gutes Geschäft.
Bevor ich den Vertrag unterschreibe, überreicht mir Krüger ein kleines Geschenkpaket des Deutschen Rings. Es enthält ein Erste-Hilfe-Set, eine Löschdecke und einen kleinen Ratgeber zur Vermeidung von Unfällen in Haus und Garten. »Sicher ist sicher«, sagt Krüger lächelnd.
Normalerweise wäre die Sache jetzt erledigt gewesen. Ich hätte jeden Monat das Geld überwiesen und beruhigt meinem 67. Geburtstag entgegengesehen. Wäre im Fernsehen wieder ein Beitrag über Streubomben gelaufen, hätte ich mich weiter auf der Seite der Guten gewähnt. Von der CBU-105 hätte ich nichts erfahren, und Naser Aayash hätte ich nie kennengelernt.
Meine Riester-Rente wäre meine Privatsache geblieben. Es wäre keine journalistische Recherche daraus geworden.
Dass es anders kam, liegt an einem Buch, das mir zufällig in die Hände fiel. Es heißt Die Einkaufsrevolution . In diesem Buch beschreibt die Journalistin Tanja Busse, wie seltsam es ist, dass wir alle gegen Kinderarbeit und Tierquälerei sind und trotzdem genau dafür unser Geld ausgeben: weil es uns nicht kümmert, wie die Dinge entstehen, die wir jeden Tag kaufen. Weil wir nur das schön aussehende, von der Werbung angestrahlte Endprodukt vor Augen haben: das T-Shirt, den Teppich, das Steak.
Oder die Rente.
Auch die Versicherung RingRiesterAktiv top3 ist ein Produkt. Es ist eine Art Automat. Oben wirft man viel Geld hinein. Unten kommt noch mehr Geld heraus. Man sieht das auf seinem Konto.
Was man nicht sieht, ist das, was in dem Automaten passiert. Welche Rädchen drehen sich da? Was geschieht mit meinem Geld? Und wo ist es, jetzt, in diesem Moment – bevor es am Ende wieder in meinen Händen landet?
Das waren die Fragen, die ich mir stellte. Die Fragen, von denen ich glaubte, Rod Wright könne sie mir beantworten.
Wright ist Angestellter des amerikanischen Finanzunternehmens Pioneer Investments, das seit einigen Jahren zu der italienischen Großbank UniCredit gehört. Er arbeitet im Geschäftsviertel von Boston an der Ostküste der USA, in einem Haus, das so heißt wie seine Adresse: 60 State Street. Es ist einer dieser Bürotürme aus Glas und Stahl, in denen jeden Tag ein paar Tausend Menschen in klimatisierten Räumen vor ihren Computern sitzen.
Wright hat einen reizvollen Beruf, auf den ersten Blick. Er geht einkaufen. Die ganze Zeit gibt er Geld aus. Es ist Geld, das er von anderen Leuten bekommen hat, von mir zum Beispiel. Und vom deutschen Staat.
RingRiesterAktiv top3 ist eine sogenannte fondsbasierte Riester-Rente. Das bedeutet: Das Geld, das ich dem Deutschen Ring überweise, bleibt nicht dort, sondern fließt zu einem oder mehreren Investmentfonds, die von dem Geld dann Wertpapiere an der Börse kaufen. So weit war mir die Sache bei Vertragsabschluss noch bewusst.
Herr Krüger hatte mir bei unserem ersten Gespräch eine Liste mit den 22 Investmentfonds vorgelegt, mit denen der Deutsche Ring zusammenarbeitet. »Suchen Sie sich die besten aus«, sagte er.
Besonders ein Fonds fiel mir auf. Es war der U.S. Mid Cap Value Fund der Firma Pioneer. Auf dem Infoblatt, das mir Krüger gegeben hatte, stand, dieser Fonds kaufe Aktien mittelgroßer amerikanischer Unternehmen, sogenannter Mid Caps. Daneben war eine gezackte Linie zu sehen: die Renditekurve. Sie stieg steil nach oben. Der Manager des U.S. Mid Cap Value Fund schien mir ein fähiger Mann zu sein. Die richtige Wahl für meine Altersvorsorge.
Der Manager ist Rod Wright. Ein schlanker 49jähriger Mann, der schnell redet und oft lacht. Seit 15 Jahren leitet er den U.S. Mid Cap Value Fund. Als ich ihn in seinem Büro besuche, um mit ihm über mein Geld zu sprechen, sagt er: »Ich habe eine gute Nachricht für Sie.«
Wright dreht einen seiner drei Computerschirme zu mir und deutet auf eine Tabelle, die gerade auf der Internetseite des Wall Street Journal erschienen ist. Sie zeigt die zwanzig besten amerikanischen Investmentfonds. Der U.S. Mid Cap Value Fund ist einer davon.
Rod Wright erwirtschaftet für seine Anleger eine Rendite von fast 13 Prozent pro Jahr. Wenn er das weiterhin schafft, bekomme ich bei Rentenbeginn nicht 100.000 Euro, wie von Krüger angekündigt, sondern fast dreimal so viel.
»Ihr Geld ist in guten Händen«, sagt Wright und zwinkert mir zu.
Bevor sich Rod Wright für eine bestimmte Aktie entscheidet, trifft er sich manchmal mit dem Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens. Meistens aber bleibt er beim Einkaufen im Büro. Er studiert Renditekurven, Wachstumszahlen, Umsatzzahlen. Sind die Zahlen gut, kauft er die Aktie. Was das Unternehmen herstellt, ist ihm nicht so wichtig.
Im Prinzip verhält sich Rod Wright nicht anders, als ich mich in den ein oder zwei Stunden verhielt, die ich brauchte, um mich für seinen Fonds zu entscheiden. Er schaut auf das Produkt, es muss ihm gefallen. Das Produkt ist die Aktie.
Am Ende unseres Gesprächs gibt mir Rod Wright eine Liste der Unternehmen, in denen er das Geld seiner Anleger investiert hat. Stand: 28. Februar. Neuere Daten gibt Pioneer nicht heraus.
96 Namen stehen auf der Liste. Einige sind dabei, die ich kenne. Der Motorradbauer Harley-Davidson zum Beispiel, das Softwareunternehmen Compuware, der Büromaschinenhersteller Xerox. Andere habe ich noch nie gehört. Smucker. Medtronic. Textron.
Smucker kocht Marmelade. Medtronic baut Herzschrittmacher. Bei Textron ist die Sache komplizierter. Unter www.textron.com erscheinen Hubschrauber, Rasenmäher und Handsägen.
Textron ist ein Mischkonzern. So nennt man Unternehmen, die sich nicht auf eine bestimmte Wirtschaftsbranche beschränken. Als ich auf der Internetseite weiterklicke, tauchen Fotos von Golfmobilen, Propellerflugzeugen und Rollstühlen auf. Neben den Fotos lese ich Werbesprüche wie »Selbst der Beste kann noch besser werden« oder »Draußen und drinnen überlegen«.
Schließlich sehe ich die Bombe, grün und schmal, mit vier silbernen Flügeln am Ende. CBU-105. »Klare Siege, saubere Schlachtfelder«, heißt es daneben.
Auf der Liste, die ich von Rod Wright bekommen habe, steht auch, wie viel Geld er in Textron investiert hat. Umgerechnet 15 Millionen Euro. Auch mein Geld ist in diese Aktien geflossen.
In einer E-Mail an die Presseabteilung der Firma Textron frage ich, ob es möglich ist, sich die Fabrik anzusehen, in der die Bombe gebaut wird, das Testgelände, auf dem Offiziere und Ingenieure ihre Sprengkraft erproben. Ich will auch wissen, wohin Textron die CBU-105 verkauft hat.
Ein paar Tage später ruft mich ein Sprecher des Unternehmens an. Er sagt, die amerikanische Regierung gestatte keine Besichtigung der Waffenfabrik. Geheimhaltungsgründe.
Der Zentrale von Textron liegt in der Stadt Providence im amerikanischen Bundesstaat Rhode Island. Es gibt aber noch eine andere Stadt, in der man dem Unternehmen nahe kommen kann, zumindest fünf Tage lang. Es ist Abu Dhabi, die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate.
Eine Betonbaracke steht im Wüstensand. Ein Mann schaut heraus, er hält ein Gewehr in der Hand. Auf einmal explodiert eine Rauchgranate vor dem Fenster, gepanzerte Geländewagen rasen heran. Soldaten sprengen die Tür auf und zerren den Terroristen heraus. Applaus erklingt. Aus einem Lautsprecher mit Tarnüberzug ruft eine Männerstimme: »Beachten Sie die Geschwindigkeit, mit der die Mission erfüllt wurde!«
Auf der Freilichttribüne im Messezentrum von Abu Dhabi sitzen Offiziere in Paradeuniformen und Scheichs in weißem Tuch. Geschäftsmänner in Anzügen sind da und Frauen mit teurem Schmuck. Sie schauen zu, wie Kampfjets im Tiefflug vorüberdonnern und Spürpanzer über Sandhügel springen. Sie hören Granaten krachen und Motoren heulen und riechen den Duft der Kanonen. Es ist die Eröffnungsveranstaltung der International Defence Exhibition & Conference (Idex), einer der größten Waffenmessen der Welt, die alle zwei Jahre in Abu Dhabi stattfindet.
1060 Unternehmen aus 52 Ländern präsentieren auf der Idex ihre Waren. Ich sehe ukrainische Panzer, bulgarische Handgranaten und südafrikanischen Stacheldraht. Minen sind ausgestellt und Minenräummaschinen, Panzerungen, die jedem Geschoss standhalten, und Geschosse, die jede Panzerung durchschlagen. Kriege mögen ein Mittel sein, um Macht auszuüben, in Abu Dhabi zeigt sich, dass sie auch dazu taugen, reich zu werden. Nie zuvor haben die Staaten dieser Welt so viel Geld für Waffen ausgegeben wie im vergangenen Jahr.
Der Textron-Stand ist in Halle A1. Zwei sandfarbene Schützenpanzer stehen auf sandfarbenem Teppich. Ein Araber macht Fotos mit seinem Handy. Meine Bombe ist nicht zu sehen. Das sei keine Überraschung, sagt Brian Johnson-Thomas: »Seit der internationalen Ächtung von Streubomben sind die Hersteller vorsichtig geworden.«
Johnson-Thomas ist ein 64-jähriger Brite, der gerade versucht, sich das Rauchen abzugewöhnen. Beim Sprechen saugt er hin und wieder an einem Nikotin-Inhalator. Er hat einen Bart, eine Brille und einen runden Bauch. Wenn man hört, wie er voll Zuneigung von seinen Enkelkindern erzählt, hält man ihn für einen lieben Opa. Und nicht für den Kenner des Krieges, der er außerdem ist.
Johnson-Thomas diente einst bei der britischen Marine, vier Jahrzehnte ist das her. Während eines Landgangs hatte er einen Autounfall, seitdem sieht er schlecht. Kapitän konnte er nicht mehr werden, also versuchte er sich als Journalist und fing an, über das zu schreiben, was er am besten kannte: Soldaten, ihre Waffen, den Krieg.
Johnson-Thomas war in Bagdad, als dort 1991 amerikanische Lenkraketen einschlugen. Er sah, wie Nato-Truppen 1999 ihre Streubomben über Serbien abwarfen, beobachtete russische Panzer beim Einsatz in Tschetschenien und verdankt sein Überleben der kleinen Ungenauigkeit eines Scharfschützen in Liberia, dessen Kugel an seiner Stirn vorbeischrammte.
Vor zwölf Jahren merkte jemand im Büro der Vereinten Nationen in New York, dass es auf der Welt wenige Menschen gibt, die so viel von Waffen und ihrer Verbreitung wissen wie Brian Johnson-Thomas. So kam er zu seinem heutigen Job und der Visitenkarte, die er jetzt aus der Tasche zieht, als er den Textron-Stand betritt. »Consultant to the United Nations« steht darauf. Berater der Vereinten Nationen.
Johnson-Thomas ist hier, um herauszufinden, was die Streubombenhersteller über ihre eigenen Waffen sagen und wohin sie diese verkaufen. Er hat mir angeboten, ihn zu begleiten. Ein Mitarbeiter der UN erfährt mehr als ein Journalist aus Deutschland, den niemand kennt.
Neben einem Besprechungstisch am Textron-Stand lehnt eine Frau im Kostüm. Johnson-Thomas stellt sich ihr vor. Sie lächelt. »Ich möchte mit Ihnen über Streubomben sprechen.« Das Lächeln ist weg. Die Frau verschwindet hinter einer Tür an der Rückwand des Messestandes.
Ein Mann mit gebräunter Haut und buschigen Augenbrauen kommt heraus, er trägt einen blauen Blazer mit goldenen Knöpfen. Er heißt Avo Boyamian, stammt aus Armenien und ist bei Textron zuständig für Arabien und den Nahen Osten.
Boyamian wirft einen Blick auf Johnson-Thomas’ Visitenkarte und schiebt ihm eine Coladose über den Tisch. Sich selbst öffnet er eine Plastikflasche mit Wasser. Beim Trinken hält er sie so, dass die Öffnung die Lippen nicht berührt. So schützt er sich vor Keimen, die am Flaschenhals kleben könnten. Dann beginnt er zu reden.
Boyamian sagt, anders als andere Streubomben habe die CBU-105 einen Selbstzerstörungsmechanismus. Sprengköpfe, die nicht wie geplant detonieren, vernichteten sich selbst. Blindgänger gebe es kaum. Die Gefahr für Zivilisten sei daher minimal, das hätten Tests bewiesen.
Er sagt, Textron habe versucht, der Bombe einen neuen Namen zu geben. CBU steht für cluster bomb unit, Streubombeneinheit. Textron wollte die Bezeichnung ändern, die Bombe sollte nicht mehr Streubombe heißen. Die amerikanische Armee habe das abgelehnt, sagt Boyamian, es wäre zu teuer, neue Verzeichnisse des Waffenarsenals zu erstellen.
Dann sagt er, die Bombe verkaufe sich sehr gut. Selbstverständlich gebe Textron sie nur an verantwortungsvolle Staaten ab. Indien zum Beispiel, Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei, sie alle hätten die CBU-105 gekauft.
»Reicht das?«, fragt der Textron-Manager und schaut auf seine Uhr.
Johnson-Thomas nickt. Er bedankt sich und geht.
Später wird er erzählen, die meisten Waffen, die er in Kriegen gesehen habe, seien von verantwortungsvollen Partnerstaaten erworben worden. Aber irgendwann waren diese Staaten nicht mehr verantwortungsvoll. Oder keine Partner mehr.
Johnson-Thomas war oft in Afrika, im Sudan, im Kongo, in Ruanda. Mitten in der Savanne, am Rande eines Dorfes, fand er eine Napalmbombe. Noch eine Waffe, die verboten ist. Sie stammte aus Osteuropa.
Von Johnson-Thomas erfahre ich, dass die Amerikaner die CBU-105 im Jahr 2003 im Irakkrieg einsetzten. Auch dort blieben zahlreiche Blindgänger liegen, die Fotos stehen im Internet. Offenbar funktionierte die CBU-105 nicht so wie von Textron behauptet. Ein Schlachtfeld ist kein Testgelände.
Brian Johnson-Thomas war kein Pazifist, als er als junger Mann die Marine verließ. Er ist es in all den schmutzigen Kriegen nicht geworden, die er erlebte. Aber es sollten Soldaten sein, die in Kriegen sterben, nicht Kinder, nicht Zivilisten. Das ist seine Sicht der Dinge.
Johnson-Thomas sagt: »Jeder, der den Bau von Streubomben unterstützt, macht sich zum Verbündeten der Kriegsverbrecher.«
So wie ich.
Vielleicht war es ein Versehen. Ein dummer Zufall, dass ich ausgerechnet an den Deutschen Ring geriet und dass diese Versicherung ausgerechnet den Pioneer U.S. Mid Cap Value auf seiner Fondsliste hat. Es gibt in Deutschland 14 Millionen Riester-Verträge. Pro Jahr steckt der deutsche Staat rund vier Milliarden Euro in diese Form der Altersvorsorge. Vielleicht bin ich eine Ausnahme, einer von ganz wenigen, bei denen das Geld in die Produktion von Streubomben fließt.
In Berlin treffe ich Thomas Küchenmeister, einen ruhigen, 53-jährigen Mann, der sich seit Jahrzehnten mit Sprengkörpern beschäftigt. Küchenmeister hat lange die deutsche Sektion der Internationalen Kampagne zur Ächtung von Landminen geleitet, die 1997 den Friedensnobelpreis bekam. Er weiß, welche Unternehmen Streubomben bauen oder bis vor Kurzem gebaut haben. Manche befinden sich in Staatsbesitz, wie die Pakistan Ordnance Factories oder die chinesische Firma Norinco. Andere sind an der Börse notiert. Wer Geld hat, kann sich an diesen Unternehmen beteiligen.
Es sind vor allem amerikanische Konzerne. Textron ist dabei, außerdem die Rüstungsunternehmen Lockheed Martin, General Dynamics, Raytheon und Alliant Techsystems.
Alle paar Monate, an bestimmten Stichtagen, muss jeder Manager eines Investmentfonds offenlegen, an welchen Unternehmen er beteiligt ist. Internationale Informationsdienste wie Bloomberg und Thomson Reuters sammeln diese Berichte. Aus ihren Datenbanken lässt sich nicht nur herauslesen, dass Textron zuletzt einen Jahresumsatz von 10,5 Milliarden Dollar verbuchte. Sondern auch, welche von deutschen Versicherungsunternehmen angebotenen Investmentfonds einen Teil ihres Geldes in die Hersteller von Streubomben gesteckt haben.
Das Ergebnis: Egal, ob Allianz, Condor, WWK, Generali, Volkswohlbund, Stuttgarter, Basler, Neue Leben oder Volksfürsorge – bei mehr als einem Dutzend Versicherungen flossen die Rentenbeiträge in Bombenaktien. Und die Zuschüsse des deutschen Staates gleich mit. Es ist ein Riesengeschäft.
Es gibt jemanden, den dies mehr berühren muss als andere, weil er die Riester-Rente schätzt wie sonst niemand. Es ist der Mann, der sie erfunden hat: Walter Riester, 67 Jahre alt, gelernter Fliesenleger, ehemaliger Bundesarbeitsminister, seit 45 Jahren Mitglied der SPD, seit zwei Jahren Privatier.
Riester ist gerade in Österreich, als wir telefonieren. Er hat sich dort ein Haus gebaut, in Kärnten, in schöner Lage, ist aber oft in Deutschland unterwegs. Riester hält Vorträge, er gibt Seminare, fast immer geht es um die Rente, die seinen Namen trägt. Er ist seiner Erfindung treu geblieben.
Ich erzähle ihm, dass mir dank der Riester-Rente jetzt eine völkerrechtswidrige Waffe gehört. Dass ich nicht der Einzige bin, dem es so geht. Riester schweigt einen Moment. Ich erwarte, dass er gleich von unglücklichen Verstrickungen spricht, das Thema klein macht. Dass er versucht, seinen Namen zu schützen. Riester-Bombe, das hört sich nicht gut an.
Walter Riester macht das Thema noch größer. Er war in seinen letzten Jahren als Bundestagsabgeordneter oft in Entwicklungsländern unterwegs, in Afrika, in Asien. Er sagt, er wisse um die Wirkung von Streubomben. Ihn störe nur eines: dass ich das Problem allein mit seiner Rente in Verbindung bringe. Er sagt, es gebe in Deutschland viel mehr private Lebensversicherungen als Riester-Verträge, sechsmal so viele. Wer wisse schon, wohin dieses Geld fließt, vielleicht auch in Streubomben. Und dann seien da noch die deutschen Banken. »Wem geben die ihr Geld?«, fragt Riester.
Ja, wem?
Thomas Küchenmeister, der ehemalige Leiter der Anti-Landminen-Kampagne, hat vor Kurzem eine neue Organisation gegründet. Sie heißt »Facing Finance – Finanzmärkte im Visier« und soll herausfinden, welche Geldinstitute gegen internationale Normen und Verträge verstoßen.
Gemeinsam mit der umwelt- und entwicklungspolitischen Organisation Urgewald und dem holländischen Analyseinstitut Profundo hat Küchenmeister einen Report über die Investitionen deutscher Finanzhäuser erstellt. Darin steht: Die Deutsche Bank und ihre Tochterunternehmen besitzen Aktien und Anleihen von Streubombenherstellern im Wert von mehreren Hundert Millionen Euro. Die Bank hat außerdem im Auftrag von Streubombenherstellern mehrmals Aktien und Anleihen an die Börse gebracht und sich an einem Kredit für einen Hersteller in Höhe von einer Milliarde Dollar beteiligt.
Darin steht außerdem: Auch die Bayerische Landesbank, die Landesbank Baden-Württemberg, die Norddeutsche Landesbank und andere öffentlich-rechtliche Geldhäuser haben noch nach Unterzeichnung der Streubomben-Konvention in die Bombenhersteller investiert.
Nächste Woche wird Küchenmeister nach Frankfurt fahren, zur Hauptversammlung der Deutschen Bank. Gemeinsam mit Vertretern von Urgewald will er dort die Rede auf Muammar al-Gadhafi bringen.
Urgewald liegen Informationen vor, wonach die Deutsche Bank mithalf, das spanische Rüstungsunternehmen zu finanzieren, das den libyschen Diktator mit Streubomben versorgte. Vor wenigen Wochen ließ Gadhafi die Bomben auf Wohnviertel in der Stadt Misrata abwerfen. Konfrontiert mit diesem Vorwurf, sagt mir ein Sprecher der Deutschen Bank, die Bank äußere sich nicht zu einzelnen Kundenbeziehungen.
Finanzströme sind schwer zu überwachen. Sie beginnen und enden auf Computerschirmen, ausgelöst durch Tastenklicks, dazwischen durchlaufen sie ein paar Glasfaserkabel, das ist alles. Walter Riester sagt, das Problem lasse sich trotzdem lösen. Der Bundestag müsste ein Gesetz verabschieden, dann würde den Banken und Versicherungen das Risiko schnell zu groß. Investitionen in Streubomben sind verboten, müsste in dem Gesetz stehen, nichts weiter. Es wäre ein Beschluss, wie es ihn in Belgien, Irland, Luxemburg, Norwegen und Neuseeland bereits gibt.
Die Bundesregierung steht auf einem anderen Standpunkt. Ein Sprecher des Außenministeriums teilt mir mit, man sehe Investitionen in Unternehmen, die Streubomben herstellten, nicht als Verstoß gegen den Vertrag zur Ächtung dieser Waffenart an.
Streng genommen habe ich auch nicht die CBU-105 gekauft, sondern nur die Aktie des Unternehmens, das die Bombe baut. Offenbar ist die Bundesregierung der Meinung, dass das ein großer Unterschied ist.
Ich sehe das anders. Ich habe meinen Vertrag mit dem Deutschen Ring gekündigt. Ich will mich nicht darauf verlassen, dass es Textron gelungen ist, eine Waffe zu bauen, die keine Zivilisten tötet. Ich will mich nicht freuen, wenn das Unternehmen seine Bomben rund um die Welt verkauft. Ich will keine höhere Rente kassieren, weil irgendwo ein Mann wie Naser Aayash sein Bein verliert.
Seit dem Ende des Krieges haben die israelischen Streubomben im Libanon knapp 400 Menschen getötet oder verletzt. Bis jetzt. Nach Schätzung der britischen Organisation Mines Advisory Group, die im Libanon nach Streubomben sucht, wird es noch vier Jahre dauern, bis alle Blindgänger gefunden und entschärft sind.
Der Mechaniker Naser Aayash kann nicht mehr unter Autos kriechen. Er lebt von dem Geld, das sein Bruder mit dem Verkauf von Reinigungsmitteln verdient. Die Werkstatt musste Naser Aayash schließen. Dafür gibt es in Harouf und anderen Städten des Südlibanon jetzt andere Werkstätten. Aus Leder und Kunststoff, Holz und Metall entstehen Produkte, die hier neuerdings recht gefragt sind. Es sind Prothesen.
Postskriptum: Konfrontiert mit den Recherchen der ZEIT, erklärt das Unternehmen Pioneer Investments, der U.S. Mid Cap Value Fund werde alle Aktien der Firma Textron mit sofortiger Wirkung verkaufen.
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