Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Ab
in die Grube
Stuttgarts
Hauptbahnhof soll für Milliarden Euro unter die Erde. Politiker
jubeln. Bürger toben. Nun zeigt eine Studie, wie recht sie haben mit
ihrem Protest. Eine Geschichte darüber, wie Politikverdruss entsteht
Arno Luik, stern,
08.07.2010
Sind Sie auch
wirklich der, der Sie vorgeben zu sein?" Es war schwierig, die
Person, die ihren Namen nicht nennen will, zu treffen.
Sie will den
Personalausweis sehen, sie sagt: "Entschuldigung, das ist kein
Spaß für mich, meine Existenz steht auf dem Spiel." Und dann
überreicht sie eine schwarze Kladde - darin ein Gutachten zu
Stuttgart 21. In Auftrag gegeben vom Land Baden-Württemberg,
kassiert und unter Verschluss gehalten vom Innenministerium, weil das
Gutachten sagt:
Das ist Unsinn, was
ihr da macht.
Stuttgart 21 -
hinter dieser Chiffre steckt ein gigantisches Projekt:
Der Hauptbahnhof
soll teilweise abgerissen, unter die Erde gelegt, um 90 Grad gedreht
werden, aus dem Kopfbahnhof wird ein Durchgangsbahnhof.
Richtung Ulm soll
eine neue Trasse gebaut werden - mit einem zweiröhrigen Tunnelsystem
von jeweils 30 Kilometern Länge, dazu noch ein mehr als neun
Kilometer langer Tunnel vom Hauptbahnhof zum Flughafen.
Stuttgart 21: Es ist
eines der teuersten Bahnprojekte aller Zeiten in Deutschland. Es geht
um acht, zehn, zwölf Milliarden Euro. Und es geht um wenige Minuten.
Aber es geht auch um die Frage, ob ein paar Menschen im Gegensatz zu
einer großen Mehrheit wissen, was richtig ist; es geht um ein
Projekt, um das seit Jahren erbittert gestritten wird, es geht um die
Frage: Wem gehört die Stadt?
Die Befürworter des
Projekts versprechen Großes: eine neue Stadt inmitten der alten
Stadt. Sie versprechen: Zukunft. Arbeitsplätze.
Investitionen.
Parks. Mehr Wohnraum. Sie versprechen: Der Verkehr wird schneller.
Stuttgart wird angeschlossen an die Magistrale Paris-Bratislava.
Stuttgart werde das "neue Herz Europas".
Vor zwei Jahren gab
das Land Baden-Württemberg, vertreten durch die
Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg, beim Zürcher Büro SMA
die Studie in Auftrag.
Sie sollte die
Fahrplankonsequenzen und -möglichkeiten von S 21 errechnen. Das fast
60-seitige Dossier, das dem stern vorliegt, kennen nur zwei Dutzend
Experten in Deutschland.
Die Firma SMA ist in
Europa führend in Sachen Planung von Eisenbahnverkehr. Sie hat die
"integralen Taktfahrpläne" entwickelt, die die Schweiz zum
internationalen Vorbild für Eisenbahner machte. Sie arbeitet viel
für die Deutsche Bahn, sie ist eine der wenigen Firmen weltweit, die
das Know-how haben, die überaus komplexen Strukturen eines
Fahrbetriebes exakt zu analysieren.
Das Fazit der
S-21-Studie: In einem bislang störungsfreien Verkehrssystem werden
"Engpässe" entstehen. "Konflikte zwischen
Hauptbahnhof und Flughafen mit dem Regionalverkehr" werden
festgestellt, das alles sei "nicht kompatibel mit den
angenommenen Fernverkehrszügen in Stuttgart".
"Fahrzeitverlängerungen" beklagen die Gutachter, ICEs
werden hinter S-Bahnen herzuckeln. Die Zürcher prognostizieren
"Infrastrukturengpässe" am "Abzweig Neckartal",
wo künftig die ICEs mit Regionalzügen kreuzen und abbremsen müssen.
Seitenweise geht das
so mit der Kritik, und so kommen die Zürcher zu diesen Ergebnissen:
"Hohes Stabilitätsrisiko", "knapp dimensionierte
Infrastruktur", "Gestaltung des Fahrplans nur in sehr
geringem Maße möglich". Fast verzweifelt fragen sie ihren
Auftraggeber:
"Letztes Wort
bezüglich Infrastruktur-Dimensionierung gesprochen?
Letztes Wort
bezüglich Konzeption S-Bahn gesprochen?" Im Klartext: S 21
schafft statt eines "neuen Herzens mitten in Europa" einen
Herzinfarkt.
Natürlich, es gibt
auch eine andere Sicht auf S 21, etwa von Professor Ullrich Martin.
Der Leiter des Verkehrswissenschaftlichen Instituts der Universität
Stuttgart hat auch Studien zu S 21 gemacht.
Er ist Nachfolger
von Gerhard Heimerl, jenes Professors, der S 21 mit erfand. Schon vor
ein paar Jahren behauptete Martin in einer Zeitungsanzeige, wenn S 21
nicht komme, "verlieren die Menschen in Baden-Württemberg den
Anschluss".
Auf der Anzeige
standen die Logos der Bahn, der Stadt Stuttgart, des Landes. Auch
heute verteidigt der Wissenschaftler S 21, "es bringt
Verbesserungen".
Tatsächlich? Der
neue Bahnhof hat nur acht Gleise, der alte Bahnhof hat 17 Gleise und
neun Bahnsteige, der neue nur vier. Im alten Bahnhof können für die
Reisenden gleichzeitig acht Anschlusszüge warten, die alle bequem
und, wichtig in einer alternden Gesellschaft, ebenerdig erreichbar
sind.
Der alte
Hauptbahnhof ist einer der besten Großbahnhöfe in Deutschland.
Eisenbahnexperten halten ihn für eine geniale Konstruktion, er
ermöglicht das kreuzungsfreie Fahren in drei Etagen.
Warum also S 21? Das
hat mit einer "Maultaschen-Connection" zu tun. Und mit
Zufällen.
Aber der Reihe nach:
S 21 ist eine Idee des vorigen Jahrhunderts.
Ein veraltetes
Projekt, technisch und ökologisch überholt. In den späten 80er
Jahren wurde es modern, an den Kopfbahnhöfen der Republik
herumzumäkeln:
Unpraktisch seien
sie, man verschwende viel Zeit beim Rein- und Rausfahren der Züge.
Wendezüge, die ohne Zeitverlust vor- und rückwärts fahren können,
gab es damals noch kaum.
Und so entstanden in
Frankfurt, München, Stuttgart und in 22 anderen deutschen Städten
Überlegungen, die Bahnhöfe in der Erde zu versenken. Die Verheißung
war überall gleich: Man würde schneller werden, überdies ließe
sich auf den alten Gleisanlagen neue Stadtzentren errichten, und in
allen Städten nannte man diese Projekte "21".
S 21 ist eine Idee
für den Städtebau.
Eine Idee für
Investoren.
In München,
Frankfurt und in all den anderen Städten verschwanden die Entwürfe
aber schon bald wieder in den Schubladen - zu gigantomanisch.
Anders in Stuttgart.
In den 90er Jahren war die Verkehrspolitik fest in schwäbischer
Hand, im Politikbetrieb als "Maultaschen- Connection"
bekannt: Der Ludwigsburger Matthias Wissmann war Verkehrsminister,
der Stuttgarter Heinz Dürr Chef der Bahn.
Sie verbissen sich
in S 21, und als die Pläne für S 21 im April 1994 vorgestellt
wurden, jubilierten sie, von "einer Art zweiten Stadtgründung"
träumte die "Stuttgarter Zeitung". Den Bürgern verkaufte
man das Projekt so: "`s koschded nix!" Mit dem Verkauf von
Immobilien auf dem frei werdenden Gelände wollte die Stadt S 21
finanzieren.
Der Plan ging nicht
auf.
1999 erklärte der
damalige Bahnchef Johannes Ludewig S 21 für erledigt. Doch im
Stuttgarter Rathaus und im Landtag hielten sie an dem Plan fest. Aber
Berlin blieb widerspenstig.
Und nun der Zufall:
Ministerpräsident Günther Oettinger hielt im April 2007 die
Trauerrede auf Hans-Georg Filbinger und lobte den verstorbenen
Nazirichter als einen Widerstandskämpfer. Ein Eklat. Um politisch
überleben zu können, brauchte er rasch gute Nachrichten, und so
trieb der angezählte Ministerpräsident das Projekt S 21 nun
besonders energisch voran, wissend, dass Stuttgarts Medien von dem
Vorhaben noch immer begeistert waren. Um den Bund zu verführen,
spendierte Oettinger 950 Millionen Euro für das Projekt. Ein
fragwürdiges Geschenk aus der Landeskasse.
Denn nach dem Gesetz
zahlt für Bahn-Neubauten der Bund.
Oettinger ist
inzwischen EUKommissar in Brüssel, aber sein Vermächtnis ist da.
Ein Erbe, über das sich täglich Hunderttausende aufregen werden,
was sich am Prunkstück des Projekts, dem Tiefbahnhof, zeigt: ? Das
Gefälle auf den Bahnsteigen beträgt 1,5 Prozent - sechsmal so viel
wie erlaubt. Das Gefälle ist so groß, dass es, bezogen auf die
Bahnsteiglänge, 6,3 Meter Höhe ausmacht, das entspricht einem
zweigeschossigen Haus.
Damit Kinderwagen
und Rollkoffer nicht weg- oder ins Gleisbett rollen, müssen die
Bahnsteige nach innen gekippt und geriffelt werden, was für Lärm
sorgt und Behinderten Mühen bereitet. ? Der Abstand von den
Rolltreppen zu den Sicherheitsstreifen beträgt nur 100 Zentimeter -
das gesetzliche Minimum. Es wird zwangsläufig und ständig zu Staus
und Drängeleien kommen. ? Was Zugfahren modern und vor allem
attraktiv machen könnte, dass Züge regelmäßig zur gleichen Minute
ankommen und abfahren, optimale Anschlüsse haben ("integraler
Taktfahrplan"), wird fast unmöglich. ? Bei Störungen im
S-Bahn-Verkehr, die täglich passieren, können heute die Züge
problemlos den alten Bahnhof benutzen. In Zukunft ist das nicht mehr
möglich.
Staus, Verspätungen
werden der Normalfall. Jede kleine lokale Störung wird
schwerwiegende Auswirkungen auf das Gesamtsystem haben. Auf die
Magistrale Paris-Stuttgart-Bratislava.
Milliarden fließen
in S 21 - Geld, das anderswo fehlen wird, etwa beim Ausbau der
ungleich wichtigeren Rheintalstrecke zwischen Karlsruhe und Basel.
Warum schweigen die nicht-badenwürttembergischen
Ministerpräsidenten?
Sie müssten sich
gegen S 21 wehren, denn wie ein Kannibale frisst das Stuttgarter
Projekt für mindestens zehn Jahre das Geld für andere Vorhaben auf.
Warum steckt die
Bundesregierung in diesen Zeiten Milliarden in ein Projekt, das nicht
nur in der Bevölkerung heftig umstritten ist, sondern vor dem so
viele Bahnexperten warnen? Warum überhaupt Geld für die
Neubaustrecke von Stuttgart nach Ulm, die im deutschen Bahnverkehr
überflüssig ist? Die überdies so konstruiert wird, dass sie zu
steil für die üblichen Güterzüge ist. Selbst ICEs können darauf
ihre Geschwindigkeit nicht ausspielen.
Es sagt der
stellvertretende Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag,
Volkmar Vogel, CDU: "Wir unterstützen eine moderne Anbindung
des Hauptbahnhofs.
Ein Nadelöhr wird
nun endlich beseitigt." Es sagt der Vorsitzende des
Bundestags-Verkehrsausschusses, der Grüne Winfried Hermann, der sich
seit 1993 mit dem Projekt auseinandersetzt:
"Mit
Milliardenaufwand wird unten ein Engpass geschaffen, oben ein perfekt
funktionierendes System zerschlagen, dazu noch eine aberwitzige
Trasse:
Ein Schwabenstreich,
für den ich mich als Schwabe schäme." Kostet diese Trasse zwei
Milliarden Euro, wie die Bahn vor ein paar Jahren sagte? Und es der
Bundesverkehrsminister, wie eine stern-Nachfrage ergab, auch heute
noch glaubt? Oder mindestens fünf bis sechs Milliarden, wie
unabhängige Experten fürchten?
Wirtschaftlich
amortisieren wird sich die Trasse nicht. Denn sie wird extrem teuer:
wegen der langen Tunnel, die durch porösen, feuchten Karst der
Schwäbischen Alb führen, durch wassergefüllte Höhlen. Experten
sagen, das gehe an die Grenzen des technisch Machbaren. Und wofür?
Wenn für die
Befürworter von S 21 alles optimal läuft, also auch mit der Trasse
über die Schwäbische Alb alles klappt, dann wird man in 10, 20,
vielleicht auch erst in 30 Jahren in knapp zwei Stunden von Stuttgart
nach München fahren können, 26 Minuten schneller sein als heute.
Aber nur 18 Minuten
schneller als 1995 - damals, als noch nicht für den geplanten
Börsengang gespart wurde, waren Gleise und Züge besser in Schuss.
Warum machen die
das? Ein warmer Sommertag, in der Eingangshalle des Stuttgarter
Rathauses steht ein grauer, hagerer Mann. Er will S 21 - darin liege
die Zukunft der Stadt, des Landes, und deshalb wippt
Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) jetzt immer wieder mit den
Knien.
Denn er steht auf
einem riesigen Foto von Stuttgart, der Blick geht vom Bahnhof auf die
große Gleisanlage, es ist ein Wackelbild, und wenn man in die Knie
geht, kippt das Foto, man sieht plötzlich die Zukunft der Stadt, so
wie Schuster sie haben möchte: Der alte Bahnhof, der viele
Jahrzehnte lang das Wahrzeichen der Stadt war, ist nur noch ein
Torso. Die Gleisanlagen sind verschwunden.
Man sieht frisches
Grün, alles ist sauber, an manchen Stellen stehen klobige
Gebäudekomplexe, Glas, Beton, "aber das", beeilt sich der
OB zu sagen, "sind nur Modelle. Das wird schöner".
Wenn man den
Bürgermeister über seiner Stadt so wippen sieht, wird klar: Er
freut sich, dass er Spuren legen kann, die keiner verwischt. Für 465
Millionen Euro hat die Stadt das Gleisgelände der Bahn abgekauft, 17
000 neue Arbeitsplätze sollen entstehen, 11 000 Wohnungen.
Aber: Überall in
seiner Stadt stehen Büroräume leer, es gibt Brachflächen.
Stuttgart ist eine
konservative Stadt. Aber in diesem Sommer gehen nun Worte um, die die
Behörden nervös machen: Wyhl, Wackersdorf, Brokdorf, Startbahn
West. Montag für Montag, seit November, demonstrieren Tausende
Bürger gegen S 21, wütend darüber, dass man ihr Bürgerbegehren
vor ein paar Jahren mit Winkelzügen verhinderte, wütend darüber,
dass 18 denkmalgeschützte Objekte, darunter der Bahnhof, ganz oder
zum Teil zerstört werden, wütend über 10, 15 Jahre Baustelle
mitten in der Stadt, wütend über die 2400 Lastwagen, die im
30-Sekunden-Takt den Aushub wegkarren werden.
Im Frühjahr 2011
sind Landtagswahlen, und CDU und SPD haben Angst. Bei den letzten
Gemeinderatswahlen in Stuttgart liefen ihnen, weil diese Parteien S
21 haben wollen, in Scharen die Wähler davon. Nun wollen sie und die
Bahn AG Fakten schaffen, die unumkehrbar sind: Die Bauarbeiten haben
begonnen, obwohl für wichtige Bauabschnitte noch Planfeststellungen
ausstehen, also rechtlich noch nicht gesichert ist, ob S 21 gebaut
werden darf.
Martin Vieregg ist
auch an Fakten interessiert. Deshalb haben ihn die Bahngegner
beauftragt, das Projekt durchzuprüfen. Vieregg ist Co-Chef der
Vieregg-Rössler GmbH, eines Büros, das Kommunen, Verbände,
Parteien in Sachen Verkehr berät, das die Wirtschaftlichkeit von
Infrastrukturen und Betrieb des Schienenverkehrs berechnet.
Seit 20 Jahren hat
Vieregg es mit Projekten der Bahn zu tun, seine Erkenntnis: "Es
wird fast immer das Falsche gebaut." S 21 sei dafür ein
Paradebeispiel.
Er hat also 2008 das
Projekt untersucht, vor allem die Kosten.
Seine Studie zeigt,
wie lässig die Verantwortlichen mit einem Megaprojekt umgehen. Ein
Beispiel:
Zum ersten Mal wurde
S 21 1994 vorgestellt, 4,8 Milliarden D-Mark sollte das Projekt
damals kosten. 2007, als wieder über S 21 geredet wurde, sollten es
2,8 Milliarden Euro sein, also kaum mehr als 13 Jahre zuvor. Unlängst
ließ Bahnchef Rüdiger Grube das Projekt nochmals berechnen, und er
kam auf 4,9 Milliarden Euro - weit über der offiziellen
Schmerzgrenze von 4,5 Milliarden. Und so wurde im Berliner Bahntower
nochmals kalkuliert - jetzt soll S 21 4,1 Milliarden Euro kosten.
Vieregg hingegen
geht davon aus, dass S 21 noch teurer wird. Er spricht von - zurzeit
- mindestens 6,3 Milliarden Euro. Dazu soll noch die Neubaustrecke
nach Ulm kommen, was zu Gesamtkosten von zehn bis zwölf Milliarden
Euro führen würde, mindestens.
Ob die Strecke nach
Ulm überhaupt kommt, ist allerdings ungewiss. Es gibt viele
Einsprüche von Kommunen, fünf von sieben Planfeststellungen sind
noch nicht abgeschlossen.
Es kann also
durchaus sein, dass in Stuttgart vier bis sieben Milliarden Euro für
S 21 verbaut werden - und das Ganze nach ein paar Kilometern in
Wendlingen endet. Wendlingen.
Und Bahnchef Rüdiger
Grube?
Der ist stolz, er
will unbedingt das Neue, und aus seiner Sicht hat er Recht: Stuttgart
hat von seinem Konzern das Gleisgelände gekauft, ein Betrag, der
2009 weit über ein Drittel des Konzerngewinns ausmachte. Sehr viel
Geld also, das er bei einem Scheitern von S 21 zurückzahlen müsste.
Die Zürcher
SMA-Studie kennt der Bahnchef nicht, er meint dazu nur, dass er
großes Vertrauen in seine Fahrplangestalter habe, das seien
"absolute Experten", S 21 werde der "modernste Bahnhof
Deutschlands, ja sogar Europas!" Glauben Sie das wirklich?
"Ja! Das trifft
zu! Stuttgart wird an das transeuropäische Netz angeschlossen.
Die Stadt kommt aus
ihrem Verkehrsschatten heraus.
Die Reisezeiten
werden wesentlich kürzer. Auf den Gleisanlagen gewinnt Stuttgart
Platz für Parks, Apartments, Büros. 100 Fußballfelder, die man neu
gestalten kann. Die Stadt wird attraktiver." Stört es Sie, dass
so viele in Stuttgart das anders sehen?
"Mir tut das
einfach leid. S 21 ist ein einmaliges Geschenk an die Stadt. Wir
bezahlen, der Bund gibt Geld, die Stadt, die Region geben Geld, dazu
gibt es noch europäische Gelder. Das wird ein Erfolg, davon bin ich
überzeugt." Die Gegner sind davon überzeugt, dass S 21
Verschlechterungen mit sich bringt, dass es gestoppt wird, weil ...
"Von
Verschlechterungen zu reden ist Unsinn. Wir geben der Stadt zurück,
was die Bahn ihr mal genommen hat: Grünflächen.
Es gibt kein Zurück,
auch weil das Projekt immer wieder politisch legitimiert worden ist.
Die Verträge sind unterzeichnet. Und Verträge, sage ich, die hält
man ein." ... dass es gestoppt wird, weil die Kosten
davonlaufen.
"Nein. Aber bei
so einem Projekt kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren, auf
Heller und Cent lassen sich Infrastrukturprojekte nicht kalkulieren.
Aber wir haben alles
noch mal gerechnet. Wir als Vorstände bringen uns aktiv ein, damit
uns die Kosten nicht davonlaufen." Schuster und Grube. Der erste
ist ein spröder Typ, der andere jovial, freundlich. Aber doch sind
sie sich sehr ähnlich. Ihr Denken ist gleich. Magistrale.
Transeuropäisches Netz. Sie sind beide fasziniert von
Geschwindigkeit, begeistert, Großes gestalten zu können. Kritiker
sind für sie Kleinkrämer, die nicht begreifen, wie gut das ist, was
für sie geschaffen wird.
Längst ist S 21 zu
einem Symbol geworden. Der Protest richtet sich gegen den Bahnhof,
aber nicht nur. Bei dieser Geschichte geht es um viel mehr: wie
Politikverdruss entsteht. Erwachsene Menschen haben es satt, wie
Kinder behandelt zu werden. Sie haben es satt, dass ihnen gesagt
wird, tief unten in der Erde ist es schöner als oben.
Sie haben es satt,
mit Werbesprüchen veralbert zu werden: "S 21 - Das neue Herz
Europas".
Dass das niemand
glaubt, ist den S-21-Befürwortern aufgegangen.
Seit Kurzem heißt
ihr Slogan: "Die guten Argumente überwiegen." Wenn man es
bloß glauben könnte.
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