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In Berlin ist am 2. Dezember 2019 der 11. Deutsche Reporterpreis vergeben worden, der Preis von Journalistinnen für Journalistinnen. Fünf prominent besetzte Jurys hatten am gleichen Tag über 90 nominierte Beiträge debattiert, ehe der Preis am Abend im Tipi am Kanzleramt in elf Kategorien verliehen wurde.

Bitte findet hier den Reader zum Reporterpreis 2019 - mit allen prämierten Arbeiten.


REPORTAGE: Die Welt, von der niemand wissen soll 


Harald Maass, SZ Magazin


INVESTIGATION: Die Ibiza-Affäre


Gemeinsam eingereicht von "Spiegel" und "Süddeutscher Zeitung": Bastian Obermayer, Frederik Obermaier, Leila Al-Serori, Oliver Das Gupta, Peter Münch, Martin Knobbe, Wolf Wiedmann-Schmidt, Alexandra Rojkov, Walter Mayr, Vera Deleja-Hotko, Maik Baumgärtner


LOKALREPORTAGE: Die toten Babys von Neukölln


Julius Betschka und Martin Nejezchleba, Berliner Morgenpost


INTERVIEW: "Ich stand vor ihr wie vor einem Richter"


Anna Kemper, ZEITmagazin


SPORTREPORTAGE: Ja! Jaa! Jaaa!


Nicola Meier, DIE ZEIT


WISSENSCHAFTSREPORTAGE: Wunschdenken


Patrick Bauer, Patrick Illinger und Till Krause, SZ Magazin

 

FREIE(R) REPORTER(IN): Aus den Augen


Katrin BlumSZ Magazin


KRITIK: Spiel mit dem Tod


Gabriela Herpell, SZ Magazin


ESSAY: Kriegerin


Else Buschheuer, SZ Magazin


MULTIMEDIA: #bienenlive


Ali Akinci, Alina Andrazcek, Isabelle Buckow, Joachim Budde, Stefanie Fischer, Thomas Hallet, Anna Heidelberg-Stein, Jannis Konrad, Till Prochaska, Marc Saha, Robert Schäfer, Ole Schleef, Anika Schnücke, Grit Schuster, tvision - Team, Jakob Vicari, Sandra Wahle, Axel Weber, Michael Weidler, Bertram Weiß. 


DATENJOURNALISMUS: Wer profitiert vom Berliner Mietmarkt?


Lubena Awan, Andreas Baum, Michael Gegg, Sidney Gennies, Hendrik Lehmann, David Meidinger, Helena Wittlich, Tagesspiegel


Reportage 


Die Jury prämiert Harald Maass „Die Welt, von der niemand wissen soll“ als den Text mit der größten Relevanz und einer großartigen Reporterleistung. Harald Maass porträtiert erstmals im deutschen Sprachraum nüchtern und unaufgeregt die Monstrosität einer digitalen Diktatur, die in China zur Überwachung einer ganzen Region und ihrer Minderheiten Verwendung findet.  


Investigation


Der Deutsche Reporterpreis für Investigation geht an die Arbeit, die 2019 zu den größten Konsequenzen in der Politik und zu einer Erschütterung Österreichs und darüber hinaus geführt hat. Autorenteams von „Spiegel“ und „Süddeutscher Zeitung“ haben ein zugespieltes, dubioses Video mit Akribie ausgewertet, so dass aus stundenlangen Aufnahmen jene Minuten herausgefiltert und verifiziert wurden, die zum Rücktritt von Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache und damit zum Sturz der Regierungskoalition von Bundeskanzler Sebastian Kurz führte. Die Recherche-Leistung dieses Skandals war der kleinere Teil, weil die Geschichte an sich schon recherchiert war. Die Leistung bestand darin, sich der heiklen Story mit Mut und Risikobereitschaft anzunehmen, der Sache auf den Grund zu gehen, sie so aufzubereiten, dass etwas sehr Schmutziges ans Licht kommt. Mit der Spiegel-Story „Joschi, mach das jetzt klar“ und dem SZ-Bericht „In der Falle“ wurde die Ibiza-Affäre aufgedeckt - und mit wem sich Kurz eingelassen hat: Mit einer Partei, die Macht über Journalisten gewinnen und die Demokratie manipulieren wollte.  


„Die Ibiza-Affäre“, gemeinsam eingereicht von "Spiegel" und "Süddeutscher Zeitung": Bastian Obermayer, Frederik Obermaier, Leila Al-Serori, Oliver Das Gupta, Peter Münch, Martin Knobbe, Wolf Wiedmann-Schmidt, Alexandra Rojkov, Walter Mayr, Vera Deleja-Hotko, Maik Baumgärtner. 


Lokalreportage 


Am Ende gewinnt ein Text, den zunächst nur einer auf dem Zettel hatte: "Die toten Babys von Neukölln" von Julius Betschka und Martin Nejezchleba aus der "Berliner Morgenpost". Auch weil die Jury in die Making-ofs und damit auf Aufwand und Erkenntnis schaut. Der Siegertext gibt Antworten auf eine brisante Frage: Warum sterben in Neukölln mehr Säuglinge als in jedem anderen Bezirk Berlins? Liegt es an der überproportional hohen Rate an Ehen unter nahen Verwandten? Am Ende finden die beiden Autoren keine eindeutige Antwort, zu komplex ist das Thema, zu gering die Zahl der Fälle. Aber wie sie von ihrem Rechercheweg erzählen, das ist erhellend und erschütternd, sie umschiffen Stereotypen und vorschnelle rassistische Zuschreibungen und zwingen jeden, der den Text liest, sich mit der Komplexität des Sachverhalts auseinanderzusetzen. 


Interview 


Das beste Interview hat aus Sicht der Jury in diesem Jahr Anna Kemper im "ZEITmagazin" geführt. Sie traf die Tochter von Johanna Haarer, die 1934 das Buch "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" schrieb und damit zur Ideologin des Mutterbildes im Nationalsozialismus wurde. Spuren von Haarers Methode, Kinder durch erzwungene Kälte und die Verweigerung von Bindung für das Leben zu "ertüchtigen", finden sich bis heute in Erziehungsratgebern. Kemper gelingt es, ihr Gegenüber durch ihre belesene und neugierige Intervierführung zu öffnen und als dem ersten Opfer dieser Zucht einen Einblick in die Doppelmoral der mütterlichen Autorität zu entlocken. Das Interview "Ich stand vor ihr wie vor einem Richter" ist herausragend darin, in die Tiefe einer Haltung zu blicken, die sich in Büchern wie "Jedes Kind kann schlafen lernen" reproduziert. 


Sportreportage

Ein eindeutiges Votum: Es gewinnt "Ja! Jaa! Jaaa!", die Reportage von Nicola Meier in der "Zeit" über vier Männer, die den Weltrekord über 4x400 Meter brechen wollen, in der Klasse M85, der über 85-Jährigen. Nicola Meier beschreibt, wie die Protagonisten über sich selbst hinauswachsen - und wieviel es ihnen bedeutet, gemeinsam dieses Ziel zu verfolgen. Zugeneigt, leichtfüßig und melancholisch verfolgt sie den Weg der vier. Eine Geschichte über das Jungbleiben, die Lust macht aufs Älterwerden.


Wissenschaftsreportage


Ausgezeichnet wird die Reportage "Wunschdenken" von Patrick Bauer, Patrick Illinger und Till Krause aus dem "SZ Magazin", in der sie Machtverhältnisse im Wissenschaftsbetrieb beleuchten. Ein junger Informatiker, ein Nobody ohne große Veröffentlichungen, greift einen Superordinarius an, der behauptet, er könne mit Locked-In-Patienten kommunizieren, vollständig gelähmten Menschen, die nicht einmal mehr ein Augenlid bewegen können. Doch der vermeintliche Durchbruch, so viel im Laufe der Recherche immer klarer, stützt sich auf Statistiken, die keiner Überprüfung standhalten. Die Autorität des Ordinarius aber wirkt lange Zeit mehr als die begründeten Einwände des unbedeutenden Informatikers. Eine Lehrstunde über Mut, über die Suche nach Wahrheit und die Macht mancher Professoren.


Freie(r) Reporter(in)


Die Jury prämiert mit „Aus den Augen“ von Katrin Blum eine Reportage des "SZ Magazins" von großer gedanklicher Tiefe mit vielen Passagen, in denen zentrale Menschheitsfragen aufscheinen. Die Autorin nimmt am Geschehen unmittelbaren Anteil, sie erlangt das Vertrauen der Basketballmannschaft, die sie beim Besuch eines erkrankten Mitspielers begleitet hat. Katrin Blums Text hat Herz, wirft ohne sprachlichen Bombast bewegende Fragen auf, ist anrührend und trifft ihr Thema hundertprozentig.  


Essay


Die Jury prämiert mit "Kriegerin" von Else Buschheuer im "SZ Magazin" den lautesten Text dieses Jahres von einer Autorin, die sich persönlich stark exponiert. In ihrem Essay beschreibt sie einerseits ihre eigene sexuelle Identitätsfindung als auch die Selbstoptimierungsfantasie, die mit einer misslungenen Brust-OP einhergeht. Wie die Autorin in ihrem mitreißenden, aufwühlenden Text diese beiden Suchbewegungen zusammenfasst, ist durchaus eine Zumutung. Doch da Else Buschheuer den Prozess auch sich selbst gegenüber schonungslos zu schildern weiß, hilft sie uns mit ihrer Erzählkunst über die Abgründe hinweg. Ihre Aufrichtigkeit ist inspirierend. 


Kritik


Gabriela Herpell hat die beste Kulturkritik geschrieben. Darin war sich die Jury schnell einig. Sie schafft es in "Spiel mit dem Tod" im "SZ Magazin", die Arbeit des europäischen Theaterprovokateurs Milo Rau auf eine Art und Weise zu beleuchten, die keine moralische Anklage ist und dennoch die Widersprüchlichkeit des politischen Theaters heute entblößt. In Herpells Nahbetrachtung, bei der sie Milo Raus Ensemble des Nationaltheaters Gent auf eine Reise ins irakische Mossul begleitet, wird uns das beinahe selbstzerstörerische Verlangen nach Relevanz vorgeführt, dessen notorische Grenzverletzungen sehr viel über die Krise des Theaters sagen. 


Multimedia


Die beste Multimedia-Arbeit kommt in diesem Jahr vom Team "Sensor&Reporter" in Zusammenarbeit mit dem WDR. Unter #bienenlive haben sie sechs Monate lang aus drei Bienenstöcken live berichtet. Die Reporterinnen ermöglichen den Nutzerinnen das "Internet der Tiere" zu erkunden und gewähren unbekannte Perspektiven. Die Recherche zeigt beispielhaft, wie Journalismus durch den Einsatz von Sensoren gewinnen kann und wie man junge Leute per Whatsapp erreichen kann.


Zum Team gehören: Ali Akinci, Alina Andrazcek, Isabelle Buckow, Joachim Budde, Stefanie Fischer, Thomas Hallet, Anna Heidelberg-Stein, Jannis Konrad, Till Prochaska, Marc Saha, Robert Schäfer, Ole Schleef, Anika Schnücke, Grit Schuster, tvision - Team, Jakob Vicari, Sandra Wahle, Axel Weber, Michael Weidler und Bertram Weiß.


Datenjournalismus


In der Kategorie Datenjournalismus gewinnt das Team des "Tagesspiegel" für die datenbasierte Recherche zum Berliner Mietmarkt, "Wer profitiert vom Berliner Mietmarkt?". Sie stellen Zusammenhänge her, die vielen Mieterinnen und Mietern sicherlich nicht bewusst sind. Zum Beispiel, dass sie über ihre privaten Rentenbeiträge ihre eigenen Mieten in die Höhe treiben. Dazu kombinieren sie öffentlich zugängliche Daten mit Informationen, die Tausende von Leserinnen und Lesern zur Verfügung stellen und packen diese in ein umfassendes Dossier, das sich in die Recherche-Reihe «Wem gehört...?» des Recherchezentrums CORRECTIV einreiht.


Zum "Tagesspiegel"-Team gehören: Lubena Awan, Andreas Baum, Michael Gegg, Sidney Gennies, Hendrik Lehmann, David Meidinger und Helena Wittlich.

 

 

Elisabeth Pörnbacher



In jedem Jahr stimmen die Teilnehmer des Reporter-Workshops mit ab über die "Beste Reportage". Dieses Mal vertrat Elisabeth Pörnbacher ihr Votum in der Jury. Sie hatte, wie die Mehrzahl, für die Reportage "Doktor Gammel holt ein Kind", geschrieben von Jonas Breng gestimmt - der später allerdings nicht gewann.

Ein klassischer Vorwurf an Preis-Jurys lautet, dass hinter verschlossenen Türen die vorderen Plätze ausgekungelt werden. Um zu zeigen, dass dieser Vorwurf nicht stimmt, ist die Sitzung der Reporterpreis-Jury stets öffentlich.

Bitte finden Sie hier den Bericht von Elisabeth Pörnbacher, die als Redakteurin beim "Sciences Notes Magazin" arbeitet.

 

Preisverleihung 2019

© Daniel Wolcke

 

Die Siegertexte 2019

 

Der Reader zum Reporterpreis 2019 - die preisgekrönten Texten und die Links zu den Web-Arbeiten.

 

Der Reporterpreis in den Medien

 

Zapp über ein Jahr Relotius (mit vielen Aufnahmen vom Reporterpreis)
NDR, 11.12.19

Der lange Schatten des Claas Relotius
Berliner Morgenpost, 06.12.19


Der Post-Relotius-Reporterpreis

Deutschlandfunk, 04.12.19

 

Alles, was Sie über Impfen wissen müssen
Armin Wolf, 03.12.19

 

Reporterpreis: Bitte mit Beleg
Süddeutsche, 03.12.19

Erster Reporterpreis nach Relotius: Reportage über digitale Diktatur in China und Enthüllung der Ibiza-Affäre prämiert
Meedia, 03.12.19

Berliner Morgenpost mit Reporterpreis ausgezeichnet
Berliner Morgenpost, 02.12.19

Egon Erwin Kitsch
MDR Medien, 02.12.19

Taub für die falschen Töne
FAZ, 02.12.19


Kontakt: Reporter Forum e.V. | Sierichstr. 171 | 22299 Hamburg