Reporter Forum Logo

Autoren-Interview

Ariane Bemmer „"Ich mag Dialoge, weil sie so unmittelbar sind"


Liebe Ariane Bemmer, herzlichen Glückwunsch! Sie schreiben in Ihrer preisgekrönten Reportage über den Alltag in einem Jugendamt am Rand von Berlin. Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?


Das Jugendamt Berlin-Spandau war in finanzielle Nöte geraten und die mit Sparauflagen konfrontierten Mitarbeiter hatten einen Offenen Brief geschrieben, in dem sie darauf aufmerksam machten, dass sie mit weniger Geld nicht mehr arbeiten können. Darüber wurde im Rahmen von Meldungen im Lokalteil des „Tagesspiegel“ berichtet. Mir sind die Meldungen aufgefallen und ich habe mich gefragt, ob ein in Not geratenes Jugendamt vielleicht – anders als andere – Journalisten hereinlassen würde. Das Großthema „Wie arbeitet ein Jugendamt richtig“ lag nach mehreren Fällen von Kindesmisshandlungen und Kindtötungen latent seit Jahren in der Luft.

Wie haben Sie recherchiert?

Ich habe Kontakt zur Jugendamtsleiterin gesucht, mich mit ihr verabredet, um ihr zu vorzustellen, was ich mir erhoffe: ein möglichst umfängliches Bild ihrer Arbeit zu bekommen. Die Leiterin hatte Angst vor schlechter Presse, so dass es auch Misstrauen zu zerstreuen galt. Als ich zusicherte, dass Mitarbeiter und Fälle anonym bleiben, wurde zugestimmt. Die insgesamt vier Regionaldirektionen plus Krisendienst mussten ebenfalls einverstanden sein. Als sie das waren, verabredeten wir vier Termine, die je einen halben bis ganzen Tag dauerten.

Gibt es eine Szene, die Ihnen besonders nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist?

Genau genommen: zwei. Zum einen die Mitarbeiterin, die alle Fälle ihrer Regionaldirektion in digitalisiert hat, so dass sie auf ihrem Computerbildschirm wahrhaftig minutenlang durch eine Liste des Elends scrollen konnte – was sie tat, um mir zu zeigen, womit sie es so zu tun haben. Beeindruckt hat mich dabei, wie wenig wütend die Frau auf oder über ihre Klienten war. Nicht mal über das Paar, dem wegen fehlender Erziehungsfähigkeit schon vier Kinder weggenommen worden sind, und das jetzt das fünfte Baby bekam, ärgerte sie sich.

Und zum anderen: Wie unglaublich diszipliniert und uneitel die Mitarbeiterinnen über ihre Fälle diskutieren (jedenfalls während meiner Zeugenschaft). Da wollte keine Recht behalten, die suchten alle gemeinsam nach der besten Lösung.

Ich fand das übrigens auch für den Redaktionsbetrieb, in dem es – aus meiner Erfahrung – sehr oft um Eitelkeiten und Besserwissenwollen geht, sehr vorbildlich und unbedingt nachahmenswert.

Was ist die besondere Herausforderung, wenn man eine Institution porträtiert?

Ich weiß gar nicht, ob es dabei eine besondere Herausforderung gibt. Die Institution lebt halt nicht, aber sie wird ja von Lebenden, Handelnden am Leben gehalten, über die die Beschreibung dann stattfindet.

Welche Reaktionen gab es auf Ihre Reportage?

Die Mitarbeiterinnen des Jugendamts waren einverstanden mit der Schilderung ihrer Arbeit. Und es kamen Anrufe von verzweifelten Menschen, die – wie es am Anfang des Textes erwähnt ist - beklagen, dass ihnen ein Jugendamt die Kinder zu Unrecht entwendet hat.

Die Jury lobte unter anderem den Einstieg. Sie schildern den Dialog zwischen einen Mitarbeiter des Jugendamtes und einer Mutter, die Angst hat vor ihrer aggressiven, übergewichtigen Tochter. Solche Dialoge findet man erstaunlich selten in Reportagen. Verwenden Sie sie häufig?

Leider nein. Ich mag Dialoge, weil sie so unmittelbar sind, aber das Gesagte muss sehr viel zum Thema beitragen. Sonst macht so ein Dialog keinen Sinn.

Einziger Kritikpunkt der Juroren: Es finden sich in Ihrer Geschichte keine Beispiele, wo die Arbeit des Jugendamtes gelingt. Die Behörde rette ja auch viele Kinder, merkte einer an. Sind Ihnen solche positiven Beispiele begegnet?

Ja, das Jugendamt rettet auch Kinder, das stimmt. Aber: Das sind meist einfache Fälle, in denen eine Familie ein Problem hat, das Jugendamt eingeschaltet wird, das Jugendamt ein Hilfe anordnet, und diese Hilfe funktioniert. Damit ist diese Familie dann auch wieder aus dem Radar des Jugendamts verschwunden. Will sagen: Sobald ein Kind gerettet ist, ist das Jugendamt raus aus dem Fall. Es beschäftigt sich von seiner Arbeitsbeschreibung her mit jenen, denen nicht so leicht zu helfen ist, deshalb bestimmen solche Fälle den Alltag – und den Text. Ein kleines positives Beispiel findet sich in der Aufzählung der digitalisierten Fälle beim Herunterscrollen:

Dem Mädchen, dessen Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, das jetzt bei den Großeltern ist. Familienhilfe angewiesen.

Das war ein Fall, von dem die Mitarbeiterin meinte, der sei schnell wieder erledigt. Die Großeltern hatten beim Amt um Hilfe gebeten, weil sie Angst hatten, sie könnten der Enkelin in deren Kummer nicht Hilfe genug. Vielleicht hätte ich das durch einen Zusatz wie „ein leichter Fall“ deutlich machen sollen.

Zurück

Ariane Bemmer


Ariane Bemmer volontierte an der Axel-Springer-Journalistenschule und arbeitete als Redakteurin bei der Tageszeitung „Die Welt“ in Hamburg. Danach ging sie zur „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ (Potsdam) und 2001 zum „Tagesspiegel“ (Berlin), wo sie seit 2008 zur Redaktion der Seite 3 gehört.
Links
Flüstern oder schreien

erschienen in:
Reporter-Forum,
am 13.12.2011

 

Kontakt: Reporter Forum e.V. | Sierichstr. 171 | 22299 Hamburg