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Cordt Schnibben „Journalismus in Zeiten der Trumps

Eröffnungsrede des Deutschen Reporterpreises, verliehen am 5. Dezember 2016 im Meistersaal Berlin


Erstens. Trump, Brexit und AfD, so schreiben jetzt viele, sei die Folge einer Politik und eines Journalismus, „ der die Sorgen der besorgten Bürger nicht ernst“ nehme. Hm. Welche Sorgen sind da gemeint? Die Sorgen der einen oder der anderen, die Sorgen der Bürger, die sich um zu viel Flüchtlinge im Land sorgen, oder die Sorgen derjenigen, die sich um Anschläge auf Flüchtlingsheime sorgen und Trump fürchten? Sind es die Sorgen, das Monatseinkommen mit einem Zweitjob aufbessern zu müssen? Oder ist es die diffuse Angst vor Globalisierung, Digitalisierung und allem Fremdem? Was machen wir, wenn die Sorgen der einen die Hoffnungen der anderen sind? Mehr Empathie macht jeden Text besser, also nehmen wir alle Sorgen ernst. Allerdings verstärkt es die Ängste, wenn wir nicht mehr sind als das Sprachrohr von Angst.

Zweitens. Die Angst der Deutschen vor den 0,9 Prozent Juden im Lande ließ viele Deutsche in den dreißiger Jahren vor einer jüdischen Weltverschwörung zittern und den rechten Arm heben. Die Aufgabe von Journalisten in Zeiten großer Ängste kann es auch sein, so haben wir aus der Geschichte gelernt, den Leuten die Angst zu nehmen.
Drittens. Wir brauchen mehr Correctness, nicht weniger. Correctness definiert den humanitären Konsens einer Gesellschaft, niemand wählt Trump oder die AfD, weil er Neger  nicht Neger nennen darf oder Frauen nicht zwischen die Beine fassen sollte. Correctness definiert die Frontlinie im kulturellen Kampf zwischen den Errungenschaften des menschlichen Miteinander und dem Versuch, zurückzufallen in die Zeiten der Diskriminierung, der Ungleichheit, des Rassismus, des Chauvinismus. Die Grenze des Sagbaren zu verteidigen, das  ist nicht Diktatur des Mainstream, das ist der selbstbewusste Meinungskampf in jeder Demokratie. ZU sagen, „Das ist nicht korrekt!“, ist ein Zeichen von Humanität, nicht von Dogmatismus.

Viertens. Wer als  Journalist oder Politiker die Werte der Mitmenschlichkeit verteidigt, ist weder ein arroganter Gutmensch noch ein moralischer Imperialist. Er möchte in einer Gesellschaft leben, in der sich Arschlöcher als Arschlöcher fühlen sollen und es hoffentlich immer weniger trübe Tassen gibt. „When they go low, we go high!“. Das ist nicht überheblich, das ist wunderbar.

Fünftens. Der größte Fehler in der Auseinandersetzung mit Populismus ist journalistischer Populismus, ist die Anbiederung an den Mann von der Straße und die Frau von der Straße. Proletkult führt nicht zu mehr Demokratie, sondern zur Diktatur der Bohlen, Katzenberger und Geissens.

Sechstens. Wir sollten aufhören unsere Demokratie in Demokratie und Populismus zu unterteilen, jeder Populist nutzt die Demokratie so, wie jeder Demokrat auch Populist ist.

Siebtens. Über Parteien und den politischen Betrieb zu schreiben, wird wichtiger. Pauschale Politikerschelte, Brüssel-Bashing und Elitenhass sind zu wenig, politischer Journalismus muss sich die Mühe machen, komplexe Zusammenhänge durchschaubar zu machen.

Achtens. 40 Prozent der Deutschen glauben, wir sind alle von der Regierung gesteuert. Hm. Wer weiß, wie man darüber schreibt, was nicht ist, bitte nachher bei mir melden.

Neuntens. Deutschland ist nicht USA, aber vielleicht sollten auch deutsche Journalisten stärker über das schreiben, was abseits der großen Städte gedacht und gemacht wird. Unser Vorteil: wir haben noch Lokalzeitung.

Zehntens. Schluss mit der hochnäsigen  Verachtung der sozialen Medien! Ein Journalist der Facebook, Twitter & Co. nicht nutzt als Recherchetool, als Marketingkanal und als Kommunikationsplattform, ist im falschen Beruf. Soziale Medien bieten die Chance, die Leser zu erreichen, die unsere Medien hochnäsig verachten.

Elftens. Macht es Jan Fleischhauer nach und tummelt euch mit einem Fake-Profil in den Facebook-Hohlräumen der Salonhetzer. Jede Expedition in die Parallelgesellschaft der Nichtleser hilft, ein besserer Journalist zu werden.

Zwölftens. Hören wir auf, jeden Furz aus den sozialen Medien zu einem Sturm auf unseren Online-Seiten, in unseren Zeitungen, in unseren Sendungen zu machen. Jeder Tweet von Trump hatte sein verstärkendes Echo in den klassischen Medien, jede Lüge wurde kolportiert, bevor sie diskutiert wurde.

13. Wir brauchen neue journalistische Formate, die in den sozialen Medien wie Factchecker funktionieren. Das Problem: vielen Lesern ist ihre Wut wichtiger als die Wahrheit.

14. Wir sollten transparenter arbeiten, Leser müssen teilhaben können an dem, was wir für Wahrheitssuche halten, sie brauchen ein Verständnis von unserem Bemühen um Recherche, Unabhängigkeit, Handwerk.

15. Wir müssen den mühsamen Kampf aufnehmen um die Qualifizierung der veröffentlichten Meinung im Netz. Nie vorher war die veröffentlichte Meinung in Deutschland vielfältiger, neben der vierten Gewalt hat sich eine fünfte Gewalt etabliert. Aber: Nie vorher war die veröffentlichte Meinung unqualifizierter. Wir brauchen im Netz so etwas wie eine Journalistenschule für Nicht-Journalisten. Wir arbeiten dran, im nächsten Jahr mehr.

16. Wer gut recherchierten und glaubwürdigen Journalismus will, muss dafür zahlen. Punkt. Ausrufezeichen.

17. Wer zahlt, ist unser King, unsere Hoffnung, unsere Zukunft. Jeder Leser, dem wir zuhören, ist ein Bollwerk gegen die Trumps dieser Welt. Enttäuschen wir sie nicht!

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Cordt Schnibben


Cordt Schnibben, geboren 1952 in Bremen, ist Reporter beim Spiegel und Mitbegründer des Reporter-Forums.
erschienen in:
###ARTICLE_PUBLISHER###,
am 05.12.2016

 

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